Porträt der Woche

»Bänker wäre interessant«

»Wenn es klappt, werde ich bald ein Jahr in Israel verbringen«: Artur Bondarev Foto: Alexandra Umbach

In letzter Zeit hat sich bei mir fast alles ums Abitur gedreht. Inzwischen habe ich es hinter mich gebracht. Ich war gut vorbereitet, das ist die beste Grundlage, um nicht nervös zu sein. Mittlerweile bin ich bei solchen Dingen oft sehr gelassen, weil ich schon viele Stresssituationen erlebt habe.

Im Abitur hatte ich Geschichte und Mathematik als Leistungsfächer, dazu noch Religion und Deutsch. Am Anfang habe ich überlegt, statt Deutsch vielleicht Russisch zu nehmen. Das ist meine Muttersprache, meine Familie kam 1993 aus der Ukraine nach Deutschland. Aber das Fach im Abitur zu haben, wäre sogar für mich zu schwer gewesen. Ich kann zwar Russisch sprechen, aber man muss auch gut lesen und schreiben können. Das gelingt mir nicht perfekt.

Bei den Leistungskursen war mir aber beides wichtig: Mathe und Geschichte, obwohl mir Mathe mehr liegt, darin war ich schon immer gut. Aber Geschichte hat mich auch fasziniert, denn das ist Gesellschaft und Gegenwart, nicht nur Vergangenheit. Ich finde es gut, dass man durch dieses Fach ein großes Allgemeinwissen bekommt.

Dass ich auch Religion nehme, war für mich klar. Es wird gewertet wie jedes andere Fach. Der Unterricht findet in Düsseldorf statt, in der jüdischen Grundschule. Unser Kurs war ziemlich groß, rund 20 Schüler. Davon war, glaube ich, nur eine Teilnehmerin keine Jüdin. Das ist schade, aber ich kann es auch verstehen, es ist wohl zu schwer.

Studium Ich habe mir überlegt, was ich studieren könnte. Ökonomie und Wirtschaftsmathematik interessieren mich sehr. Wenn man in diese Richtung geht, sollte man immer gut informiert sein. So lese ich in der Zeitung neben dem Wirtschafts- auch den Politikteil. Ich spiele regelmäßig bei Börsenspielen mit, und da erkennt man die Auswirkungen der Politik auf den Finanzmarkt ganz schnell. Innerhalb eines Tages kann sich da viel ändern. Deshalb ist gerade auch die Strategie des Daytradings angesagt, also morgens kaufen und abends verkaufen. Mit echtem Geld mache ich das noch nicht, obwohl ich schon ein paar Favoriten hätte, in die ich investieren würde.

Ich beschäftige mich aber auch mit Sachen, die jeder andere 19-Jährige tut. Freunde stehen bei mir ganz oben. Ich möchte den Leuten zeigen, dass mir die Freundschaft wichtig ist. Es gibt viele, die sich nur einmal in der Woche anrufen und dann fragen, wie es so geht. Ich erwarte mehr von einer Freundschaft. Ansonsten ist da noch der Sport, ich gehe oft joggen und mache Kampfsport. Krav Maga gefällt mir besonders, das wird auch in der israelischen Armee unterrichtet. Und dann spiele ich noch Klavier, seit etwa zwölf Jahren.

Eigentlich besteht der Großteil meiner Freizeit aus Arbeit. Das empfinde ich aber nicht so, denn es macht mir Spaß. Ich leite in Düsseldorf eine Jugendgruppe von Lehawa. Das ist ein Projekt, in dem eigentlich Freiwillige aus Israel in verschiedene Länder reisen und dort mit Jugendlichen arbeiten, um ihnen Judentum und Zionismus näherzubringen. Ich fand diese Sache so gut, dass ich – nachdem die letzten israelischen Freiwilligen Düsseldorf verlassen hatten und keine neuen kamen – das Projekt vor eineinhalb Jahren übernommen habe. Die Gruppe bestand schon aus fast 15 Leuten, da muss man doch weitermachen.

Meistens schaffe ich es, für die Lehawa-Gruppe einmal im Monat etwas zu organisieren. Mal treffen wir uns am Schabbat, mal feiern wir Jom Haazmaut. Ich würde gern noch mehr machen, aber dafür fehlt mir die Zeit. Vielleicht haben wir nächstes Jahr auch wieder Lehawa-Leute aus Israel hier, daran arbeite ich gerade.

Knesset Zuletzt war ich wegen Lehawa in Israel. Im Januar haben sich die Leiter der Gruppen getroffen, ich nahm für Deutschland daran teil. Wir waren ungefähr 150 Leute aus 34 Ländern. Es wurde zum Beispiel darüber diskutiert, wie man die Jugendarbeit am besten fortsetzen kann. Ich selbst habe auch gesprochen – in der Knesset! So viel zum Thema Anspannung vor dem Abitur.

Natürlich war ich nervös, denn ich musste auf Englisch reden. Aber es hat gut geklappt. Ich habe die Situation der jüdischen Jugendarbeit in Deutschland geschildert und erzählt, was wir den Leuten mit auf den Weg geben sollten. Ich finde, man sollte den Jugendlichen näherbringen, dass sie auch jüdisch heiraten. Denn so viele sind wir hier ja nicht. Da müssen wir darauf achten, dass wir nicht noch weniger werden.

Wenn ich sonst nach Israel reise, dann eigentlich, um Urlaub zu machen. Trotzdem zieht es mich immer auch in die Lehawa-Zentrale. Vielleicht braucht jemand Hilfe. Ich komme von der Arbeit nicht los.

Ruhe Deshalb bin ich sehr froh, wenn ich am Schabbat mal einen Gang runterschalten kann. Ich bin modern orthodox, das habe ich für mich als den richtigen Weg entdeckt. Meine Eltern sind nicht religiös, bei mir hat das vor vier oder fünf Jahren angefangen.

Mein bester Freund Yahya hat mich eines Tages angerufen und gefragt, ob ich mit zum Rabbiner kommen möchte, er hätte zum Essen eingeladen. Ich dachte: Essen gehen, das ist gut. Wir haben uns also getroffen, und er hat dann gesagt, dass wir vorher noch schnell die Synagoge besuchen. Es war kurz vor Jom Kippur, viele Menschen waren da, haben gesungen. Eine tolle Stimmung! Das hat mir sehr gefallen. Auch das Essen war gut. In der nächsten Woche rief ich meinen Freund an und fragte ihn, ob wir nicht wieder in die Synagoge gehen wollen. So hat es angefangen.

In der Öffentlichkeit oder in der Schule habe ich nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Jude bin, obwohl ich der einzige an der Schule war. Meine Kippa habe ich dort aber nicht getragen, ich möchte nicht provozieren. Trotzdem kam es da auch zu Konfrontationen. Als ich mal einen Anhänger in Form des Magen David um den Hals trug, wollte ihn mir einer abreißen. Man trifft immer wieder auf Intoleranz und Hass. Aber das ist mir egal. Für Israel und mein Judentum würde ich alles geben.

Jeschiwa Wenn es klappt, werde ich bald ein Jahr in Israel verbringen. Da gibt es ein Programm von Bnei Akiva, bei dem man das Land hautnah erleben kann. Man befindet sich alle zwei Monate an einem anderen Ort. Erst kommt die Jeschiwa, wo ich auch beginne, die Sprache zu lernen. Dann arbeitet man zwei Monate in einem Kibbuz, lernt weiter, sucht sich mithilfe des Programms eine eigene Arbeit und eine Wohnung, wo man mit anderen lebt. Am Ende stehen zwei Monate beim Militär, in denen man die Grundausbildung macht. Man kann auch zum Magen David Adom gehen, was dem Roten Kreuz entspricht. Ich würde wohl das Militär wählen. Insgesamt ist das wirklich eine Hammer-Sache!

Meine Eltern finden in Ordnung, was ich mache. Mein Vater ist wieder in die Ukraine zurückgekehrt, um dort zu arbeiten. Meine Mutter fährt alle zwei Wochen hin und bleibt auch 14 Tage. Deshalb konnte ich zum Beispiel zu Hause ohne Probleme auf das Essen achten, als ich angefangen habe, mich an die Kaschrut zu halten. Meine Eltern wünschen sich nur, dass es nicht in blindem Fanatismus endet. Aber ich habe ja meine Stufe gefunden, auf der ich bleiben möchte.

Nach dem Jahr in Israel möchte ich auf jeden Fall wieder nach Deutschland zurückkommen und hier studieren. Trotzdem bleibt es natürlich attraktiv für mich, eines Tages in Israel zu arbeiten. Ich möchte ins Investment-Banking oder in die Versicherungs-Branche gehen. Das kann auch erst mal in Deutschland passieren, aber irgendwann – das steht für mich fest – werde ich Alija machen.

Aufgezeichnet von Zlatan Alihodzic

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