Schüleraustausch

Auf Opas Spuren

Noam Meir besuchte die Schule ihres Großvaters, rechts Gastgeber Stepan Harcenko. Foto: Gregor Zielke

Schüleraustausch

Auf Opas Spuren

Noam Meir aus Haifa besuchte die Jüdische Oberschule

von Christine Schmitt  25.10.2011 09:35 Uhr

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Noam macht sich auf den Weg. Durch die Flure der Jüdischen Oberschule (JOS) geht sie zum Büro der Direktorin, Barbara Witting. In ihren Händen hält die 14-jährige Schülerin aus Haifa in Israel die Postkarte ihres Großvaters. »Es freut mich, dass meine Enkelin Noam unsere alte Schule an der Großen Hamburger Straße besuchen kann«, hat Thomas Geve geschrieben.

Der heute 83-Jährige war in der jüdischen Bildungseinrichtung Schüler, ebenso wie die Brüder seiner Ehefrau. Noam Meir ist mit den Erzählungen ihrer Großeltern aufgewachsen, die es wichtig fanden, dass die Enkeltochter und ihre beiden Geschwister ihre Lebensgeschichte kennen.

Gut 70 Jahre später ist die Schülerin aus Israel für einige Tage zu Gast bei dem Zehntklässler Stepan Harcenko, der die Jüdische Oberschule besucht. Als der und seine Eltern davon erfuhren, dass Gastfamilien für einen Austausch mit dem Leo Baeck Education Center in Haifa gesucht wurden, erklärten sie sich sofort bereit, mitzumachen. Insgesamt sind 19 Schüler aus Israel an die Spree gekommen.

programm Stepan hat sich ein umfangreiches Besuchsprogramm für die gemeinsamen Tage überlegt, denn er möchte Noam möglichst viel von Berlin zeigen. Nach dem Unterricht sind sie unterwegs auf dem Gendarmenmarkt, besichtigen den Reichstag, den Fernsehturm und den Dom. »Ich frage sie jeden Tag, ob es ihr gefällt? Bisher hat sie es bejaht«, sagt der 16-Jährige. Die Unterhaltung läuft in Englisch, da er nicht gut Hebräisch spricht. »Das kann sie besser als ich«, räumt Stepan ein, dessen Familie aus der Ukraine kommt.

Noam sei eher ein ruhiger Mensch. Auch beim Essen gab es keine Probleme, obwohl sie im Gegensatz zur nichtjüdischen Familie Harcenko »kosher style« lebt. »Ihr könnt alles essen, nur ich werde mich bei einigen Speisen zurückhalten«, hatte sie ihnen vorsorglich mitgeteilt. Neben dem üblichen Unterrichtsprogramm sind sie von morgens bis abends auf den Beinen, schließlich gilt es, mit Noam die Berliner Synagogen und das Jüdische Museum zu besuchen.

Die Reisevorbereitungen begannen für Noam schon in Israel. Einmal in der Woche gab es ein Treffen, bei dem auch die Geschichte Deutschlands Thema war. Dort lernte sie zusätzlich, wie sie sich »benehmen soll, um den Staat Israel gut zu repräsentieren. ›Schöne Manieren‹ heißt das.« Der Großvater der Haifaer Schülerin verfolgte alle ihre Vorbereitungen, denn »er war sehr aufgeregt« gewesen, als er erfuhr, dass seine Enkelin als Austauschschülerin für eine Woche in Berlin seine ehemalige Schule besuchen wollte. »Es war ihm wichtig, dass ich den Ort kennenlerne, wo er aufgewachsen und von dem aus er in ein Lager deportiert worden ist«, sagt die junge Israelin.

Seitdem sie in Deutschland ist, müsse sie sehr intensiv an ihn denken. Es sei für sie schwer und ergreifend gewesen, seine Wege und sein Schicksal nachzuvollziehen. Beispielsweise, als sie an der Gedenkfeier am Gleis 17 teilnahm, mit der an den ersten Transport der Juden in die Lager erinnert wurde.

gedenken Von »Gleis 17« wurde auch ihr Großvater mit seiner Mutter abtransportiert. Als Zehnjähriger war er mit den Eltern aus Norddeutschland nach Berlin gekommen, wo er so lange die Jüdische Schule besuchte, bis die Nazis es verboten. Sein Vater, Noams Urgroßvater, emigrierte nach England und bemühte sich vergeblich, seine Frau und seinen Sohn nachzuholen. Noams Großvater musste schließlich auf einem Friedhof arbeiten.

»Er war einer der letzten Juden, die in Berlin noch offiziell gelebt hatten«, sagt sie. 1943, mit einem der letzten Transporte, wurde der damals 13-Jährige zusammen mit seiner Mutter verschleppt. Da er groß und kräftig war, überlebte er als Zwangsarbeiter mit Maurerarbeiten in dem Lager. Seine Mutter sah er zum letzten Mal, als sie in eine der Gaskammern getrieben wurde.

Noams Großvater gehört zu den 903 Kindern und Jugendlichen, die die Konzentrationslager überlebt haben. Seine Erlebnisse verarbeitete er in Zeichnungen, deren Originale sich heute im Kunstmuseum von Yad Vashem befinden. Nach dem Krieg ging er nach England zu seinem Vater, 1950 nach Israel, wo er als Bauingenieur arbeitete.

Wenn Noam ihren Großvater in Israel wiedersieht, dann will sie ihm als Erstes sagen, dass sie glücklich ist, dass er trotz allem lebt. Sie hatte in diesen Tagen viel an ihn gedacht. Heute sehe zwar alles anders aus, versichert sie, aber sie spüre dennoch die Vergangenheit. Trotzdem will sie noch einmal wiederkommen, um nach ihren Wurzeln zu suchen.

Barbara Witting, die Direktorin der Jüdischen Oberschule, zeigte sich sehr berührt, als sie die Postkarte des ehemaligen Schülers bekam. Sie wird mit Thomas Geve Kontakt aufnehmen.

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