Antisemitismus

Auf offener Straße

Antisemitismus, Israelfeindlichkeit und Hass sind auf die Straße zurückgekehrt. Shmuel Aharon Brodman, der Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, wurde am vergangenen Donnerstag Opfer einer verbalen Attacke.

Der Vorfall ereignete sich mitten in der Münchner Altstadt. Brodman hatte kurz vor 19 Uhr an der Station Zweibrückenstraße die Trambahn der Linie 17 verlassen, um das letzte Stück bis zur Synagoge am Jakobsplatz zu Fuß zurückzulegen. Er trug eine Kippa und war dadurch als Jude erkennbar.

Vier Männer zwischen 20 und 30 Jahren – und vermutlich arabischer Herkunft – verfolgten ihn, pöbelten ihn an und skandierten »Fuck Israel« und andere antisemitische Parolen.

Trotz der bedrohlichen Situation blieb Brodman ruhig, ließ sich nicht provozieren, verständigte aber die Polizei und die Sicherheitsabteilung der IKG, die ihm sofort zur Seite sprang. Als danach ein Streifenwagen am Ort des Geschehens eintraf, waren die vier Männer bereits geflüchtet. Die Fahndung nach ihnen blieb erfolglos.

Gemeinde »Wir sind erschüttert über diesen Angriff mitten in der Altstadt, ganz in der Nähe unseres Gemeidezentrums. Es schmerzt mich, dass unser Rabbiner so etwas miterleben musste«, sagte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch wenige Stunden nach dem Zwischenfall.
Überrascht hat sie die hasserfüllte Attacke auf den Kippa tragenden Gemeinderabbiner nicht.

»Der Angriff«, stellte sie fest, »fügt sich leider in die Entwicklung der letzten Zeit ein: Auch bei uns hier in München nehmen Extremismus und Judenhass zu.« Diese gesellschaftliche Entwicklung, die die IKG-Präsidentin anspricht, hat mit einem »Bauchgefühl« oder ähnlichen Eindrücken nichts zu tun. Die nackten Zahlen des erst vor wenigen Tagen vorgestellten Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2019 spiegeln diese Tendenz wider. 32.000 registrierte Rechtsxextremisten sind ein neuer Negativ-Rekordwert.

Rechtsextremisten Trotz massivem Antisemitismus und Hass, denen Charlotte Knobloch gerade mit ihrer Kritik an der AfD schon oft genug ausgesetzt war, macht sie diese Partei auch öffentlich für den erkennbaren gesellschaftlichen Rechtsruck mitverantwortlich. »Der Aufstieg von politischen Gruppierungen wie der AfD«, so die IKG-Präsidentin, »hat dieser Entwicklung jahrelang den Weg bereitet.«

Gemeinderabbiner Aharon Shmuel Brodman ist das jüngste Opfer von mehreren Attacken in jüngerer Zeit. Erst im August vergangenen Jahres waren in Schwabing ein Rabbiner und seine beiden Söhne Ziel eines antisemitischen Vorfalls. Nach dem Besuch einer Synagoge waren sie zunächst von einem – vermutlich – Obdachlosen beschimpft und dann von einer in einem Auto sitzenden Frau angepöbelt, beleidigt und angespuckt worden. Diese Frau, eine Krankenschwester, konnte von der Polizei auch ermittelt werden.

Maccabi Ein auf Judenhass beruhendes, durchaus bedrohliches Erlebnis musste vor wenigen Wochen auch Max Brym beim Spazierengehen mit seinem Hund im Englischen Garten machen. Er ist Jugendtrainer bei Münchens jüdischem Sportverein, dem TSV Maccabi, und trug eine Vereinsjacke, auf der der Davidstern abgebildet ist.

Das genügte einem unbekannten Radfahrer, ein erkennbarer Corona-Leugner, ihn auf übelste Weise zu beleidigen. Charlotte Knobloch sprach in diesem Zusammenhang von »einer neuen Projektionsfläche von Judenhass«.

Bereits bekannte, von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Judenhass bestimmte Strukturen auf »offener Straße« erlebten in den vergangenen Wochen mehrmals die Besucher der Synagoge mit. Vor dem Eingang der Synagoge und auch des Gemeindezentrums hatte Münchens Pegida-Chef Heinz Meyer mit einem Plakat gegen religiöse jüdische Grundwerte demonstriert und unter Gemeindemitgliedern für Angst gesorgt.

Rechtsstaat Ein konsequentes Einschreiten forderte Charlotte Knobloch nicht nur in diesem Fall. »Ob rechtsextrem, linksextrem oder islamistisch: Der Rechtsstaat«, ist sie überzeugt, »muss seinen Feinden kraftvoll und auch wirksam entgegentreten – bevor es zu spät ist.«

Auf die wachsende Unsicherheit der Gemeindemitglieder, die durch die antisemitischen Vorfälle weitere Nahrung bekommt, hat die IKG-Präsidentin in jüngerer Zeit wiederholt aufmerksam gemacht. Nach der Attacke auf Gemeinderabbiner Aharon Shmuel Brodman ist die Entwicklung für sie klar absehbar: »Geringer wird die Unsicherheit dadurch nicht.«

Jom Haschoa

Geboren im Versteck

Bei der Gedenkstunde in der Münchner Synagoge »Ohel Jakob« berichtete der Holocaust-Überlebende Roman Haller von Flucht und Verfolgung

von Luis Gruhler  05.05.2025

Berlin/Potsdam

Anderthalb Challot in Apartment 10b

In Berlin und Potsdam beginnt am 6. Mai das Jüdische Filmfestival. Die Auswahl ist in diesem Jahr besonders gut gelungen

von Katrin Richter  05.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025