Geschichte

Auf der Seite der Befreier

Als Moritz Neumann klein war, hatte er zwei Berufswünsche. »Amerikaner« oder »Neger«. So dankbar war er den GIs, die im offenen Jeep durch die Stadt fuhren. Und seine Bewunderung für die entscheidende Rolle, die die Alliierten bei der Überwindung des Nazi-Terrors in Deutschland spielten, hält bis heute an. In einer Schublade hat Moritz Neumann die Orden seines Vaters Hans einst entdeckt. Sie wurden ihm für dessen Verdienste bei der Unterstützung der französischen Truppen bei der Befreiung Nazi-Deutschlands verliehen. Dass sie jetzt in einer Vitrine in Berlin ausgestellt sind und glänzen, erfüllt ihn mit einem »eigentümlichen, wohligen Gefühl«, wie er es nennt.

Wie Hans Neumann ging es etwa 30.000 deutschen Juden, die aus Nazi-Deutschland geflohen waren und in der Uniform einer der vier alliierten Mächte zum Ende des Zweiten Weltkriegs in ihre Heimat zurückkehrten, um das Nazi-Regime zu bekämpfen und ein neues Deutschland aufzubauen. Spätestens 1943 waren deutsche Juden in alle alliierte Armeen integriert. Einst in Deutschland verfolgt, waren sie nun die Befreier. 14 dieser Biografien versammelt derzeit eine Sonderausstellung des Alliiertenmuseums in Berlin mit dem Titel »Sieger, Befreier, Besatzer – Deutsche Juden im Dienst der Alliierten«.

Sozialdemokrat Eine der dargestellten Biografien ist die von Hans Neumann, die exemplarisch für dieses denkwürdige Detail der deutsch-jüdischen Geschichte steht. Neumann, ein kämpferischer Sozialdemokrat, meldete sich als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg und später in der Französischen Fremdenlegion.

Das Vichy-Regime verpflichtete ihn jedoch zu Zwangsarbeit, bis ihn 1943 de Gaulles Exilarmee befreite, mit der er die deutschen Nazis aus Frankreich vertrieb. Im Sommer 1945 kehrte er nach Deutschland zurück. »Obwohl de Gaulle ein adliger Konservativer war, war er für Hans Neumann lebenslang ein Held«, erklärt Moritz Neumann zur Eröffnung der Berliner Ausstellung. Er ist extra aus Darmstadt nach Berlin gereist ist, um über seinen Vater zu sprechen. Neumann hat über das Schicksal seines Vaters ein Buch geschrieben. Im Zweifel nach Deutschland heißt es und basiert auf Akten der Fremdenlegion.

Schaukasten Die Ausstellung in dem ehemaligen amerikanischen Outpost-Kino in Berlin-Zehlendorf zeigt neben Hans Neumann auch die verschlungenen biografischen Pfade von unbekannten und prominenten deutschen Juden, die im Dienste der Alliierten standen, wie Stefan Heym, Henry Kissinger, Julius Posener, Ernst Cramer oder Alfred Döblin. Gemeinsam ist ihnen, dass sie aufgrund ihrer Religion in Deutschland verfolgt wurden und als Teil der Anti-Hitler-Koalition zurückkehrten.

In einem Schaukasten liegen nun die französischen Orden, die Hans Neumann (teils erst posthum) verliehen wurden. Er hat sie nie getragen, und sie wurden auch noch nie zuvor gezeigt – symptomatisch für dieses »vergessene« Kapitel der deutsch-jüdischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, das nun erstmals in einer kleinen, aber verdienstvollen Schau gewürdigt wird. Sie will Schicksale und »hochemotionale und widersprüchliche Erfahrungen anschaulich machen«, so die Kuratoren. Einerseits empfanden viele deutsch-jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland mit Eintritt in eine alliierte Armee ein Gefühl des »Empowerments«. »Ich habe geweint, als ich mein Gewehr bekam. Ich war nicht mehr wehrlos. Zum ersten Mal konnte ich mich verteidigen«, schrieb etwa Heym.

Care-Paket Andere fanden sich unversehens als »enemy aliens« tituliert, erneut als »Menschen zweiter Klasse« wieder. Es war oft die Kenntnis der deutschen Sprache und des Landes, die den »Victim Soldiers« half, Karrieren in der Armee oder im Geheimdienst zu machen. Unterschiedlich fielen die Gefühle gegenüber der ehemaligen Heimat aus: Während Protagonisten wie Alfred Döblin an sich selbst beobachteten, dass ihre »Heimatgefühle abgestorben« waren, empfanden andere wie Ernst Cramer eine starke »Pflicht hierzubleiben«.

Nach dem Sieg gestaltete er den Aufbau des Rundfunk- und Pressewesens entscheidend mit. Manche der ehemaligen Flüchtlinge kamen in ihren Heimatorten zum Einsatz, wo sie in Einzelfällen sogar auf ihre Verfolger von einst trafen oder bei der Befreiung von KZs mithelfen mussten. Während einige Deutsche versuchten, den deutsch-jüdischen Soldaten einen »Verräter-Geruch« anzudichten, empfanden sie selbst meist verdienten Stolz, »offen mit den Alliierten gegen die Barbarei gekämpft zu haben«, wie Moritz Neumann sagt. »In der Obhut der Amerikaner haben wir uns wohlgefühlt«.

»An die Care-Pakete mit dem berühmten Trocken-Ei« erinnert er sich noch. »Der Freiheitskampf der deutschen Juden ist nie gebührend gewürdigt worden«, sagt er. Wenn wir an den deutschen Widerstand gegen Hitler denken, fallen meist nur die Stichworte »20. Juli, Stauffenberg und Weiße Rose«. Aber die deutschen Juden sind nicht »wie Schafe zur Schlachtbank geführt worden«, wie manche Ideologen unterstellen. Für die wenigen überlebenden Zeitzeugen ist die Berliner Ausstellung deshalb ein wertvoller Beitrag zur historischen Bildung und politischen Kultur, der über einen Aspekt aufklärt, der bisher zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025