Sterbehilfe

Auf dem letzten Weg

»Und morgen Mittag bin ich tot«: Szenenbild aus dem im Februar angelaufenen Film über eine 22-Jährige Foto: Universum

Seit Mitte Februar läuft in den Kinos der Film Und morgen Mittag bin ich tot. Er erzählt die Geschichte der 22-jährigen Lea, die an Mukoviszidose leidet. Diese Stoffwechselkrankheit ist unheilbar. Lea fürchtet, irgendwann zu ersticken, und entscheidet deshalb, zum Sterben in die Schweiz zu fahren. Dort ist aktive Sterbehilfe erlaubt. In Zürich möchte sie ihr Leben im Kreise ihrer Familie beenden. Kurz, schmerzlos, ohne Qual und selbstbestimmt.

Ein nachvollziehbarer Wunsch? Oder eine für die Eltern und Geschwister grausame Verkürzung der gemeinsamen Zeit und moralisch verwerflich? Das sind nur einige der Fragen, die dieser Film aufwirft. Immer wieder wird in Deutschland diskutiert, ob aktive Sterbehilfe gesetzlich erlaubt werden kann.

Der ehemalige SPD-Minister Franz Müntefering, der seine krebskranke Frau auf dem Weg in den Tod begleitet hatte, sprach sich im Rahmen einer Bundestagsdebatte klar gegen aktive Sterbehilfe und damit gegen den Schweizer Weg aus: »Das Sterben gehört zum Leben«, sagte er. »Sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen ist es von großer Bedeutung, diesen Weg miteinander zu gehen.«

Mord »Wer aktive Sterbehilfe leistet, ist klipp und klar ein Mörder«, bezieht Shlomo Raskin, Rabbiner des Jüdischen Altersheims in Frankfurt, sehr eindeutig Position. Die Schwere von Krankheit und Leiden spiele dabei keine Rolle. Denn es sei allein an Gott, zu entscheiden, wann das Leben enden soll – und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um einen 20- oder einen 90-Jährigen handelt.

Dass das Ende für manche Menschen kaum zu ertragen sein kann, ficht ihn dabei nicht an. Es sei wie bei der Geburt und wie im Leben: Die einen hätten es leichter, die anderen schwerer. Aber alles habe seinen Sinn. So habe, wer mit großen Schmerzen und Qual sterbe, etwa schon seine Sünden abgegolten und dann ein besseres Dasein. Und jeder Tag sei wichtig: »Vielleicht entschuldigt sich ja ein Vater zwei Tage vor seinem Tod bei seinem Sohn dafür, dass er ihn früher geschlagen hat.«

Hätte man sein Sterben beschleunigt, wäre es möglicherweise nicht zu dieser Geste der Versöhnung gekommen, und der Sohn wäre weiterhin belastet statt frei. »Im Judentum glauben wir in erster Linie an die Seele. Der Körper ist nur eine Hülle.« Und die Seele sei nach solch einer Entschuldigung sicherlich freier, betont Raskin.

Frankfurts Gemeinderabbiner Menachem Halevi Klein kann ihm da nur zustimmen. Aus halachischer Sicht sei aktive Sterbehilfe grundsätzlich verboten: »Dein Leben gehört nicht dir, also ist es dir auch nicht erlaubt, es zu nehmen.« Zudem müsse man bedenken, dass die Folgen für den Helfer fatal sein könnten. So sei vor sieben Jahren eine Frau zu ihm gekommen, die ihrem Mann auf Anraten des Arztes den Weg in den Tod verkürzt habe. »Sie bereut das bis heute und fühlt sich als Mörderin«, berichtet der Rabbiner.

Recht Nach geltendem deutschen Recht und auch nach Meinung der Rabbiner grundsätzlich erlaubt ist hingegen die passive Sterbehilfe, also die Gabe von Schmerz- und Betäubungsmitteln – auch, wenn sie vielleicht die Lebensdauer verkürzen. In der Henry-und-Emma-Budge-Stiftung kümmert sich ein jüdischer Palliativarzt um größtmögliche Schonung von Psyche und Physis auf dem letzten Weg. »Sensibel und mit hohen ethischen Werten«, lobt der Rabbiner der Budge-Stiftung, Andy Steiman, die Arbeit des Mediziners.

Dass einer sage: »Hilf mal ein bisschen nach«, sei zum Glück noch nie vorgekommen, erzählt Steiman. Wie seine Rabbiner-Kollegen würde er diesem Wunsch aber auch nicht nachgeben, sondern alles tun, um dem Sterbenden und seinen Angehörigen die letzten Tage oder Wochen so angenehm wie möglich zu gestalten. Woran er sich aber peinlich genau halte, seien Patientenverfügungen, wenn diese notariell beglaubigt vorliegen. »Ich kann nur jedem raten, eine solche Verfügung zu verfassen. Denn diese ist auch halachisch bindend.«

Was aber, wenn jemand, wie im Film, trotz allem nicht auf den natürlichen Tod warten, sondern selbstbestimmt sterben möchte? Dann findet sich im Talmud, wie die Rabbiner Shlomo Raskin und Andrew Steiman konstatieren, ein Notausgang: das »Din demalchuta dina«, das Gesetz, sich nach dem Recht des Landes zu richten. Sprich: Wenn sich ein Jude, wie der israelische Radiomoderator Adi Talmor vor drei Jahren, in der Schweiz beim Sterben helfen lässt, ist dies zumindest halachisch gebilligt.

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