Würzburg

»Anlass zur Hoffnung«

Unterschiedliche Religionsgemeinschaften, Jung und Alt, Einheimische und Zugewanderte: Unter dem Motto »Würzburg ist bunt« laufen unter Sambatrommelklängen mehrere Tausend Menschen für Toleranz und Menschlichkeit durch die Innenstadt. Ganz vorne dabei, das Banner mittragend, ist Josef Schuster, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er spricht an diesem Samstag, zwei Tage vor der 70. Wiederkehr der Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945, nicht in ein Mikrofon. Es ist Schabbat.

Erklärung Zu sagen hat er aber doch einiges, was für ihn die protestantische Stadtdekanin Edda Weise, Dompfarrer Jürgen Vorndran, Zahir Durakovic vom Islamisch-Bosnischen Kulturzentrum und Murat Kücükaydin vom Integrations-, Kultur- und Bildungsverein erledigen. Sie verlesen vor den laut Veranstaltern 7000 Zuhörern – die Polizei spricht von 5000 – eine »Erklärung der Religionen für den Frieden«.

Darin verurteilen sie die von Terroristen im Namen des Islam verübten Anschläge. Sie wehren sich dagegen, dass ihre Glaubensgemeinschaften instrumentalisiert und für machtpolitische Zwecke missbraucht werden. Juden, Christen und Muslime träten für mehr Humanität und gesellschaftliche Solidarität ein, insbesondere gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden. »Gemeinsam stehen wir auf gegen Hass, Gewalt, Antisemitismus und Intoleranz«, heißt es in dem Papier. Explizit geht es auch um die Situation der jüdischen Gemeinschaft: »Es erfüllt uns ebenso mit Sorge, dass Menschen jüdischen Glaubens sich in Europa nicht mehr sicher fühlen«, steht in der Erklärung.

Widerstand In Würzburg jedenfalls können sie es offenbar. Laut Polizei gab es 2013 und 2014 weniger als fünf Straftaten in Stadt und Landkreis, die sich gegen jüdische Personen oder Einrichtungen richteten. Und gegen eine Demonstration von Neonazis tags darauf formiert sich klarer und deutlicher Widerstand. »Ich finde es unerträglich, wenn die geistigen Erben der Nazis die Toten des 16. März für ihre Propaganda missbrauchen«, sagt Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU). Würzburg sage Nein zu Fremdenfeindlichkeit, zu Abschottung und Ausgrenzung. Nein zu Geschichtsklitterung und Revanchismus, Nein zu braunen Parolen.

Von auswärts angereiste Neonazis und Hooligans hätten hier nichts zu suchen, stellt er mit Blick auf die Neonazidemo am Sonntag fest. Die Toten des 16. März 1945 gehörten zu den Opfern der nationalsozialistischen Aggressionspolitik, fügte er an. »Ohne Zuwanderer wäre Würzburg sehr viel kleiner und ärmer«, kommentiert er den Fakt, dass –Vertriebene eingerechnet – inzwischen die Hälfte der Bevölkerung nicht in dieser Stadt geboren wurde.

Wügida
Mit Blick auf die montäglichen Demonstrationen der Pegida und der lokalen Wügida nimmt Schuchardt ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Sie erzeugten ein Klima, in dem Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte und Übergriffe auf Migrantinnen und Migranten stark zugenommen haben. »Die Nächstenliebe gebietet uns, Menschen, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen, gastfreundlich aufzunehmen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen«, sagt er.

Prominente Unterstützung bekommen die mehr als 130 Organisationen, die zur Demonstration aufgerufen haben, von prominenter Stelle. Kabarettist Frank-Markus Barwasser, besser bekannt als »Erwin Pelzig«, spottet über Pegida und die Rechten. Von der auf der Bühne stehenden Gebärdendolmetscherin lässt er mit sichtbarem Spaß »Nazi, verpiss dich!« übersetzen. Und lästert dann über Pegida und Co. »Beschränkte Schnellwahrheitsfinder« von Pegida und Wügida hätten nur Angst, »in einer etwas unglücklichen Kombination mit Denkfaulheit«, sagt er. Und ganz klar bezieht er Stellung zu deren Chef Lutz Bachmann: »Vielleicht muss das Abendland gerettet werden. Aber nicht von solchen Leuten, sondern vor solchen Leuten.«

Gedenkmarsch Sein Appell und der des Oberbürgermeisters, wachsam zu sein in Bezug auf die Neonazidemo, kommt an. Hunderte Gegendemonstranten stehen tags darauf an den Absperrungen, dagegen wird der für 100 Teilnehmer angemeldete Gedenkmarsch unter dem Titel »Kein Vergeben, kein Vergessen« ein Debakel. Gerade einmal 21 Rechte einer freien Kameradschaft verlieren sich in der Innenstadt, wütend begleitet von Sprechchören wie: »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda« oder höhnischen Kommentaren: »Ohne Verfassungsschutz wärt ihr nur zu zweit.« Auf einem Schild steht zu lesen: »Nazis essen heimlich Döner.«

Keinerlei rechtsradikale Misstöne gibt es am Gedenktag selbst, dem 16. März. 1945 starben im Bombenhagel britischer Lancaster mehr als 5000 Menschen, über 85 Prozent der Würzburger Innenstadt wurden zerstört. Das Gedenken daran steht zum 70. Jahrestag im Zeichen von Frieden und Versöhnung. 15.000 Menschen finden sich in der Zeit des Angriffs zwischen 21.20 Uhr und 21.45 Uhr vor dem Dom ein, dessen Glocken wie alljährlich an die Bombardierung und den Fast-Untergang der Stadt erinnern.

Appell
Sie halten Kerzen in der Hand. Der Oberbürgermeister verbindet die Trauer mit einem Appell: »Es gibt keinen Grund, so etwas wie Krieg auf der Welt anzurichten, und wir alle tragen Verantwortung, dass es nie mehr dazu kommt.« Die Opfer sollten daran erinnern, in Würzburg das Leben als höchstes Gut zu achten. »Die vielen Lichter sind ein Symbol des Friedens, der Vergebung und der Erinnerung«, schließt er.

Josef Schusters Bilanz der Tage rund um den 16. März in seiner Heimatstadt fällt erfreulich aus. »Ich denke, dass die Würzburger Zivilgesellschaft ein sehr klares und deutliches Zeichen gesetzt hat für eine plurale und weltoffene Gesellschaft«, sagt er der Jüdischen Allgemeinen. Der 14. März mit der Demonstration von »Würzburg ist bunt« sei ein »erfreulicher Tag« gewesen, für die Jüdische Gemeinde und alle ausländischen Mitbürger. Ebenso begrüßt Schuster den Widerstand gegen die Neonazidemo und deren geringe Teilnehmerzahl: »Das gibt Anlass für viel Hoffnung.«

Jom Haschoa

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