Terror

»Alles war anders«

V.l.n.r.: Roman Deininger, Uwe Ritzer, Joachim Herrmann, Charlotte Knobloch, Emanuel Rotstein und Shlomo Levy. Foto: Astrid Schmidhuber

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» Mit diesem Satz des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein moderierte die Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München, Ellen Presser, am vergangenen Sonntag eine Gedenkminute für die Opfer des Terroranschlags vom 5. September 1972 an. Mit einer Schweigeminute gedachten die zahlreichen Besucher im Hubert-Burda-Saal der Opfer, während die Namen verlesen wurden: David Berger, Seew Friedman, Josef Gutfreund, Elieser Halfin, Josef Romano, Amizur Shapira, Kehat Shorr, Mark Slavin, André Spitzer, Jaakow Springer, Mosche Weinberger sowie Anton Fliegerbauer.

«Unbestreitbar klar ist, dass am 5. September 1972 der Anschlag palästinensischer Terroristen die heiteren Olympischen Spiele in München in blutige verwandelten. Elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist verloren ihr Leben. Ein Teil der Attentäter überlebte und kam kurz danach auf obskure Weise frei», fasste Ellen Presser die Ereignisse zusammen.

Dokumentation Was geschehen war, haben Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrem 527 Seiten starken, bei dtv erschienenen Buch «Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland» festgehalten. Mit ihnen sprachen auf dem Podium über das Geschehen von damals Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch, Innenminister Joachim Herrmann und Augenzeuge und Fotograf Shlomo Levy, moderiert von Emanuel Rotstein.

Schnell wurde klar, dass nach dem Zuschlag der Olympischen Spiele für München das Konzept hieß: Heitere Spiele. Nichts sollte an Olympia 1936 in Berlin unter den Nationalsozialisten erinnern. Polizei war so gut wie nicht zu sehen. Auch auf erkennbare Sicherheitsmaßnahmen wurde bewusst verzichtet. Die Terroristen hatten ebenso wie alle anderen Einblick in die jeweiligen Abläufe, auch was ihre Verbrechen betraf.

Mit einer Schweigeminute
gedachten die Besucher im
Hubert-Burda-Saal der Opfer.

Shlomo Levy, damaliger Kontaktmann und Dolmetscher für die israelischen Sportler, hatte mit einer Fotoausrüstung aus einem wenige Stockwerke höher gelegenen Appartment das Geschehen in der Wohnung der Terroropfer dokumentiert.

Hätten Polizei und Politik besser vorbereitet sein müssen? Attentate palästinensischer Terroristen hatte es bereits im Vorfeld gegeben wie zum Beispiel den Anschlag auf eine El-Al-Maschine auf dem Münchner Flughafen Riem. Dennoch: Die Welt sollte ein Bild von einem heiteren Sportfest erleben. Die Polizei war kaum sichtbar und unzureichend ausgerüstet.

Angebot Warum nahm die Politik in dieser außergewöhnlichen Gefahrensituation das Angebot der Israelis nicht an, ein eigenes Spezialkommando zur Befreiung der Geiseln zu schicken? Das Grundgesetz habe dies verboten, erklärte Herrmann. Erst nach dem Desaster baute die Bundesrepublik schnell eigene Einheiten wie die GSG 9 und andere Polizeistrukturen auf. Charlotte Knobloch erinnerte zudem an das geplante Attentat zur Grundsteinlegung von Gemeindezentrum und Synagoge am Jakobsplatz, das nur dank der Aktivitäten der Münchner Polizei hatte verhindert werden können.

Zurück zu dem Tag, der die Weltgeschichte ebenso verändert hat wie die Welt des Sports. Wie erinnert sich die heutige IKG-Präsidentin an diesen Tag? «Alles war anders», sagt Charlotte Knobloch. Ihre Tochter war damals Hostess bei den Olympischen Spielen. Telefonisch sei sie nicht zu erreichen gewesen, die Sorge war groß. Wie sehr sich das Leben verändert hatte, schildert Charlotte Knobloch in zwei Sätzen: «Morgens ging ein fröhliches Kind aus dem Haus. Abends kam eine ernste junge Frau zurück.»

Die gesamte Münchner jüdische Gemeinschaft stand unter Schock und war gegen eine Fortsetzung der Spiele. Wie sahen es andere, wollte Moderator Rotstein von der Diskussionsrunde wissen. Zumindest eine längere Pause wäre für so manchen wünschenswert gewesen, doch die Sportfunktionäre waren dagegen und ließen die Spiele weitergehen.

Akten Das Drama nahm am 5. September seinen Lauf. Per Hubschrauber wurden die Geiseln auf den nahe gelegenen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck geflogen. Die beiden Buchautoren haben das Geschehen minutiös aufgearbeitet. Die Akten liegen heute weitgehend im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Allerdings sind bis heute nicht alle einzusehen, ein Thema, um das sich Innenminister Herrmann kümmern wolle.

Zum Abschluss der Veranstaltung kritisierte Charlotte Knobloch noch einmal die schlechte Ausrüstung der Polizei, die dieser damals zur Verfügung stand. Eng damit verbunden war der tödlich endende Einsatz des deutschen Polizisten Anton Fliegerbauer, der während der Spiele einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei zugeteilt war. Mit einer völlig unzureichenden Waffe sollte er vom Dach eines Gebäudes des Militärflughafens aus gegen die Terroristen kämpfen und helfen, die noch lebenden Geiseln zu befreien. Der Polizist wurde bereits zu Beginn des Einsatzes tödlich getroffen.

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