Lesen

Aller guten Dinge sind vier

Bei mehr als 60.000 Neuerscheinungen im Jahr könnte man annehmen, dass es auf dem deutschen Buchmarkt schon alles gibt. Das vermutete auch Myriam Halberstam. Nachdem die beiden Töchter der in Deutschland aufgewachsenen Journalistin und Filmemacherin geboren wurden, merkte Halberstam, dass es kaum deutschsprachige jüdische Kinderbücher gibt. Sie machte aus der Not eine Tugend und gründete vor drei Jahren ihren eigenen Verlag Ariella. Halberstam kümmert sich ausschließlich um Kinderbücher. Nicht etwa, weil das Filmgeschäft nicht mehr genug abwerfen würde, sondern aus einer gewissen familiären Lesenot heraus.

»Ich merkte, dass es kaum jüdische Bücher gibt, die modern sind, die Spaß machen und die trotzdem jüdische Identität weitergeben. Ich habe mich geärgert über Lillifee feiert Weihnachten, Conny feiert Ostern, aber es gab nichts für jüdische Kinder«, erinnert sich Halberstam.

Daraufhin schrieb sie ihr erstes Buch: Ein Pferd zu Chanukka über die kleine Hanna, die sich ein großes Tier wünscht. Oft geht Halberstam mit ihren Büchern auch an Schulen zu Lesungen. »Es ist für die Klassen ein besonderer Anlass, eine jüdische Kinderbuchautorin zu Gast zu haben. Ich gehe auch in Kindergärten, die türkische und arabische Kinder besuchen. Das dient der Annäherung und der Aufklärung und liegt mir sehr am Herzen«, erklärt die Verlegerin. Es sind zwar jüdische Themen und Feste, die in den Büchern des Ariella-Verlages auftauchen, aber es sind bestimmt keine Bücher nur für jüdische Leser.

New York So erzählt der Jugendroman Opa und der Hunde-Schlammassel die Geschichte der kleinen Zelda, die von der Stadt aufs Land – von New York nach Vermont zieht. Sie muss sich neue Freunde suchen, kämpft mit dem Ortswechsel und mit dem Mobbing an der Schule. »Dass das Mädchen jüdisch ist, wird in dem Buch nicht ausgeblendet, und so ist es ein Buch, das für mich jüdische Identität von Kindern in Deutschland stärkt, aber von allen Kindern gelesen werden kann.« Zelda gehe nicht in die Kirche, auch nicht in die Synagoge, sondern sie frage sich, wieso ihre Nachbarin in ein christliches Sommerlager fahren dürfe und sie nicht.

»Judentum wird in den Büchern zu der Normalität, die man viel zitiert in Deutschland haben möchte. Deswegen ist der Ariella-Verlag ein jüdischer Kinderbuchverlag«, sagt Myriam Halberstam. Das zweite Buch des Verlages Zimmer frei im Haus der Tiere stammt von der ostpreußischen Dichterin Leah Goldberg, die 1935 vor den Nazis nach Palästina flüchten musste. In diesem Buch geht es um Toleranz und gegenseitige Achtung. In Israel zählt Goldbergs Buch zu den Klassikern – eine deutsche Übersetzung gibt es im Ariella-Verlag seit 2011.

Das Haus ist der erste deutsch-jüdische Kinderbuchverlag nach 1945. Zwar gibt es auch Bücher aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus in Deutschland, die man nachdrucken könnte. Doch deren Reprint sei alles andere als einfach. »Ich wollte die letzte deutsche Kinder-Haggada, die noch 1933 in Berlin gedruckt wurde, neu auflegen. Die hat – ganz modern– Schiebe-Elemente, an denen die Kinder ziehen können.

Kinder Diese Haggada wird in Amerika immer noch auf Englisch aufgelegt, aber wer die deutschen Rechte hat, konnte ich nicht herausbekommen – auch weil der Herausgeber längst tot ist. Er wurde umgebracht. Die Kinder-Haggada sei ein Liebhaber-Objekt. Halberstam könne nicht davon ausgehen, dass modernen Kindern eine Haggada mit den Motiven von 1933 gefiele und dass sie viele davon verkaufen würde. Doch pünktlich zu Pessach bringt sie eine eigene Haggada heraus – ihr mittlerweile viertes Buch. Die Rechte dazu hat die Verlegerin gerade auf der Jerusalemer Buchmesse erworben.

Das kleine Buch, das in 14 kurzen Punkten erklärt, wie ein Pessach-Seder zu feiern ist, eignet sich auch für Erwachsene, die sich mit der jüdischen Religion noch nicht so gut auskennen. Die Gewinnspanne ist für Myriam Halberstam aber relativ gering. Zudem muss sie Großhändlern wie Amazon einen Großteil des Verkaufspreises überlassen. Jedes neue Buch ist für den Ein-Frau-Verlag somit ein finanzielles Risiko.

Dennoch kann sich Myriam Halberstam momentan nichts Schöneres vorstellen, als deutsch-jüdische Kinderbücher herauszubringen: »Ich möchte Bücher machen, die in einem deutsch-jüdischen Kontext vorkommen, weil man das nicht immer aus einem amerikanischen Zusammenhang übertragen kann.« In den USA leben Millionen von Juden, das ist ein sehr selbstbewusstes Umfeld. Hier in Deutschland entwickeln wir uns erst noch dahin.«

Susan Fischer Weis: »Meine erste Haggada«, Ariella Verlag, Berlin 2013, 22. S., 8,95 €

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025

Magdeburg

Staatsvertrag zur Sicherheit jüdischer Gemeinden geändert

Die Änderung sei durch den Neubau der Synagogen in Magdeburg und Dessau-Roßlau vor rund zwei Jahren sowie durch zu erwartende Kostensteigerungen notwendig geworden

 09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Mittelfranken

Archäologen entdecken erste Synagoge Rothenburgs wieder

Erst zerstört, dann vergessen, jetzt zurück im Stadtbild: Die erste Synagoge von Rothenburg ob der Tauber ist durch einen Zufall wiederentdeckt worden. Ihre Überreste liegen aber an anderer Stelle als vermutet

von Hannah Krewer  08.07.2025

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025