Tu Bischwat

Neujahr auf der Fensterbank

Während im Nahen Osten schon gesät wird, müssen die neuen Bäumchen in der europäischen Diaspora noch drinnen warten. Foto: Clara Wischnewski

Tu Bischwat

Neujahr auf der Fensterbank

Anders als in Israel kann man im kalten deutschen Winter keine Bäume pflanzen. Doch es gibt Alternativen, um den Feiertag mit Bedeutung zu füllen

von Helene Shani Braun  06.02.2025 12:36 Uhr

Schau tief in die Natur, dann wirst du alles besser verstehen.» Diese bekannten Worte Albert Einsteins erinnern uns daran, dass die Umwelt nicht nur unsere Lebensgrundlage ist, sondern auch eine Quelle der Weisheit. Die tiefe Verbindung zwischen Mensch, Gott und Natur stellt auch das Fest Tu Bischwat in den Mittelpunkt.

Am 15. Tag des Monats Schwat wird dieser kleine jüdische Feiertag begangen. In der Mischna heißt es, dass mit diesem Datum ein neues Jahr für die Bäume beginnt. Das deutet schon darauf hin, wie eng dieser Tag mit den landwirtschaftlichen Traditionen im Land Israel verbunden ist. Tu Bischwat gilt als das Neujahrsfest der Bäume. Es markiert das Ende der Regenzeit sowie den Beginn der Pflanzzeit – zwar nicht überall, aber im Klima des Nahen Ostens.

Projekte zum Bäumepflanzen und zur Straßenbegrünung

In Israel gibt es an diesem Tag unzählige Projekte zum Bäumepflanzen oder auch zur Straßenbegrünung. Da wir in Deutschland aber zu Tu Bischwat noch mitten im Winter feststecken, wäre es wohl nicht sehr Erfolg versprechend, jetzt in der nasskalten Erde zu buddeln. Es gibt jedoch andere Wege, sich an diesem Tag mit Gottes Schöpfung zu verbinden. Einige Traditionen sollen hier vorgestellt werden.

Es ist ein Brauch, Mandeln zu essen, da dieser Baum als erster blüht.

Zunächst lohnt es sich, an diesem Tag unsere jüdischen Quellen zu studieren: Die Tora legt besondere Regeln für die Baumpflege und die Ernte ihrer Früchte im versprochenen Land fest. Im 3. Buch Mose 19, 23–25 lesen wir: «Wenn ihr in das Land kommt und irgendeinen Baum essbarer Frucht pflanzt, so enthaltet euch der Vorhaut seiner Frucht; drei Jahre sei sie euch eine Vorhaut, sie werde nicht gegessen. Im vierten Jahre sei all seine Frucht zu einem heiligen Freudenfest dem Ewigen. Erst im fünften Jahre dürft ihr seine Frucht essen, indem ihr euch seinen Ertrag zulegt.»

Es ist also verboten, Früchte von neu gepflanzten Bäumen in den ersten drei Jahren zu essen. Im vierten Jahr sollen sie dem Tempel als Opfer dargebracht werden. Erst im fünften Jahr dürfen die Früchte genossen werden.

Es ist ein aschkenasischer Brauch, an Tu Bischwat 15 verschiedene Früchte zu essen. Dazu zählen unter anderem der Etrog, die Zitrusfrucht von Sukkot, oder Johannisbrot. Eine zentrale Rolle spielen hier die sieben Arten aus der Tora, die im 5. Buch Mose 8,8 genannt werden: Weizen, Gerste, Weintrauben, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Datteln. Mandeln sind ebenfalls beliebt, da der Mandelbaum als erster Baum des Jahres zu blühen beginnt.

Tu-Bischwat-Seder

Bei den Sefarden wird gleich ein ganzer Tu-Bischwat-Seder veranstaltet. Dieser Brauch geht auf die Kabbalisten des 16. Jahrhunderts in Safed zurück. Der Seder besteht aus dem Verzehr von zehn verschiedenen Früchten und Nüssen sowie dem Genuss von vier Gläsern Wein, ganz so wie beim Seder am Pessachabend. Begleitet von Gebeten, Psalmen und kabbalistischen Texten, stehen auch hier die sieben Arten im Mittelpunkt.

Anders als zu den Zeiten der Kabbalisten von Safed bekommen wir Baumfrüchte heute in jedem Supermarkt. Da wir keine Beziehung zu unseren Feldern und Pflanzen haben und die wenigsten wohl fünf Jahre warten, bis sie das erste Mal ernten, nehmen viele die perfekt gereifte Frucht als selbstverständlich. Dabei vergessen wir häufig den Ursprung der Pflanzen. Wo sind sie gewachsen, und wie viel Arbeit wurde hineingesteckt, damit wir sie verzehren können?

Tu Bischwat ist nicht nur ein Fest für die Natur. Es ist vielmehr ein Tag der Verbindung zwischen Mensch und Natur. Der Genuss der Früchte und die dazugehörigen Rituale erinnern an die Bedeutung der Schöpfung und an die Verantwortung des Menschen, sie zu bewahren und zu pflegen. Es ist ein Tag, an dem wir reflektieren können, wie wichtig es ist, nachhaltige und respektvolle Beziehungen zu unseren natürlichen Ressourcen zu pflegen.

Tu Bischwat regt an, einen Schritt zurück zu gehen und die Umwelt wahrzunehmen: Nicht alles ist selbstverständlich. Jede Pflanze braucht Wasser und Licht und Menschen, die ihre Früchte ernten und sich um sie kümmern, wenn sie erkrankt. Wenn wir also an diesem Tu Bischwat Früchte essen, sollten wir einen Moment innehalten und dankbar sein, dass wir all dieses wundervolle Obst und Gemüse genießen können.

Wir haben nur diese eine Erde

Für viele ist es ein Tag, der uns auch mahnt, dass wir nur diese eine Erde haben und sie und ihre Natur beschützen sollten. Wir haben sie uns mit Gottes Erlaubnis untertan gemacht, damit stehen wir aber auch in der Verantwortung, uns um sie zu kümmern und sie zu pflegen.

Tu Bischwat ist nicht nur ein Fest der Bäume, sondern auch eine Gelegenheit, über unseren Umgang mit der gesamten Umwelt nachzudenken. Die Verbindung zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen in der Nahrungskette kann an diesem Tag thematisiert werden.

Ein Gespräch über Veganismus und Vegetarismus könnte beleuchten, wie wir unsere Ernährungsgewohnheiten und einen respektvollen Umgang mit der Natur und den Lebewesen, die von diesen Pflanzen leben, in Einklang bringen können. Da Tu Bischwat die Bedeutung der Bäume und Pflanzen feiert, könnte es ein guter Zeitpunkt sein, über die Vorteile pflanzlicher Ernährung, sowohl für die Umwelt als auch für die Tiere, nachzudenken.

Tu Bischwat regt an, unsere Beziehung zur Natur zu reflektieren.

Tu Bischwat eignet sich auch, um unsere ganz persönliche Verantwortung für diesen Planeten zu begreifen. Wo kann ich etwas ändern, etwas zurückgeben oder ein neues Projekt beginnen? Statt einen Baum zu pflanzen, kann man im deutschen Winter zum Beispiel Saatgut in Kästen auf der Fensterbank ausstreuen. So gedeihen zarte Pflänzchen, die im Frühling auf dem Balkon umgetopft werden und dort Insekten, Käfern und Bienen Nahrung und Schutz bieten.

Oder man versucht sich gleich an Setzlingen für Obst und Gemüse, die später in den Garten gepflanzt werden können. Wer weiß, vielleicht schafft man es ja sogar, fünf Jahre zu warten, bis man die ersten Früchte genießt, und damit der Pflanze Zeit zu geben, sich voll zu entfalten – und an das alte Prinzip aus der Tora anzuschließen.

Die Autorin ist Rabbinatsstudentin am Abraham Geiger Kolleg und absolviert ihren Master in Jüdischer Theologie.

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025

Schoftim

Recht sprechen

Eine Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich an ihrer moralischen Gesetzgebung orientiert

von Rabbiner Avraham Radbil  29.08.2025

Talmudisches

Der heimliche Verbrecher

Über Menschen, die nicht aus Wahrheit, sondern aus Selbstdarstellung handeln

von Vyacheslav Dobrovych  29.08.2025

Kiddusch Haschem

»Ich wurde als Jude geboren. Ich werde als Jude sterben«

Yarden Bibas weigerte sich gegenüber den Terroristen, seinen Glauben abzulegen. Wie viele vor ihm lehnte er eine Konversion ab, auch wenn ihn dies beinahe das Leben gekostet hätte

von Rabbiner Dovid Gernetz  28.08.2025

Israel

Rabbiner verhindert Anschlag auf Generalstaatsanwältin

Ein Mann hatte den früheren Oberrabbiner Jitzchak Josef um dessen religiöse Zustimmung zur »Tötung eines Aggressors« ersucht. Die Hintergründe

 26.08.2025 Aktualisiert