Tezawe

Kleider machen Priester

Der Hohepriester und zwei Leviten (handkolorierter Holzstich, um 1880) Foto: Getty Images

Tezawe

Kleider machen Priester

Warum die Tora detailliert vorschreibt, was ein Kohen beim Dienst im Tempel zu tragen hat

von Rabbiner Alexander Nachama  26.02.2021 08:19 Uhr

Der morgendliche Blick in den Kleiderschrank mag für manche schon die erste Herausforderung des Tages darstellen, verbunden mit der schweren Frage: »Was soll ich heute tragen?«

Wind und Wetter, aber sicherlich auch weitere Aspekte mögen die Wahl beeinflussen. Der eine mag es fein und elegant, der andere lieber bequem, wobei das eine das andere nicht ausschließen muss. Stehen besondere Termine an? »Underdressed« kann genauso unangenehm sein wie »overdressed«. Bei der Arbeit mag es einen Dresscode geben, der uns das morgendliche Dilemma vereinfacht.

Das ist auch im Profifußball so. In der Champions League, der sogenannten »Königsklasse«, kleiden sich Trainer häufig in einen edlen Anzug. Im grauen Bundes­liga­alltag mögen dagegen Pullover und Jeans völlig ausreichend sein.

PRACHT Über Kleidungsvorschrif­ten lesen wir auch im Wochenabschnitt Tezawe. Es geht um die Kleidung und die Schmuckstücke, die ein Kohen, ein Priester, bei der Verrichtung seines Dienstes im Heiligtum zu tragen hatte.

Gott spricht zu Mosche: »Mache heilige Gewänder für deinen Bruder Aharon, zur Ehre und zur Pracht.« Die Priester durften während ihres heiligen Dienstes keine beliebige Kleidung tragen, sondern mussten eine besondere, eigens dafür angefertigte Kleidung anziehen.

Dazu passt der Spruch »Kleider machen Leute«, den der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller im 19. Jahrhundert geprägt hat: Erst durch seine Kleidung wird Aharon zum »Priester im Dienst«, erst diese Kleidung erhebt ihn in eine heilige Position. So sollten die Israeliten verstehen, dass die Priester eine zentrale Aufgabe erfüllen. Da Priester ihr Amt stets vom Vater erbten, also keine speziellen Fähigkeiten vorweisen mussten, um die Möglichkeit zu bekommen, das Amt bekleiden zu dürfen, war die wertvolle Kleidung, die sie beim Dienst trugen, auch Teil ihrer Autorität.

Ebenso sollte einem Priester selbst das Bewusstsein des Amtes vermittelt werden, das er einnahm. Übte er seinen Dienst aus, so war er nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern er war Vertreter aller Israeliten vor Gott.

UNTERSCHEIDUNG Es ist die Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem: Beim heiligen Dienst sollte der Priester nicht die Kleidung tragen, die er beim Einkaufen auf dem Markt getragen haben mag, die vielleicht Löcher und Flecken hatte. Es musste eine eigens dafür bestimmte und hochwertige Kleidung sein.

Die Verfertigung dieser Kleidung wird in der Tora wie folgt beschrieben: »Rede mit allen weisen Künstlern, mit jedem, den ich mit einem weisen Geist erfüllt habe, dass sie Aharons Kleider verfertigen« (2. Buch Mose 28,3).

Heute würde es heißen, dass eine Expertenkommission ins Leben gerufen worden sei. Diese war vor allem deshalb notwendig, da die Beschreibung der Priestergewänder äußerst lang und detailreich ist.

So lesen wir über einen Brustschild, einen Mantel, ein Unterkleid, einen Leibrock, einen Bund und einen Gurt. Der Mantel bestand aus Gold, blauer, purpurroter, hochroter Wolle. Er wurde mit zwei Schulterstücken befestigt. Neben vielen weiteren Details beschreibt die Tora die Breite und Länge des Schildes und in welcher Reihenfolge das Edelgestein eingesetzt werden sollte.

Der berühmte mittelalterliche Kommen­tar von Nachmanides, dem Ramban (1194–1270), stellt fest, dass jedes einzelne Stück der priesterlichen Kleidung mit dem Gedanken herzustellen ist, dass es einem heiligen Zweck dienen soll. Es war nicht nur die besondere Auswahl der Elemente, aus der die Kleidung bestand, es waren nicht nur die Farben und korrekten Maße, es waren sogar die Gedanken, die bei der Herstellung eine Rolle gespielt haben.

SYNAGOGE Welche Relevanz haben diese Vorschrif­ten für uns heute? Der Tempel in Jerusalem, das große Heiligtum, ist zwar vor knapp 2000 Jahren von den Römern zerstört worden, dafür haben wir heute viele kleine Heiligtümer: unsere Synagogen. So können wir versuchen, das Prinzip dieser Kleidungsvorschriften auf unseren heutigen Gottesdienst anzuwenden.

Die Verantwortung des Gottesdienstes ist von den Priestern auf alle Juden übergegangen: nicht mehr die Priester, die stellvertretend für das ganze Volk Opfer im Tempel darbringen, sondern jeder Jude, der in der Verantwortung steht, die Gebete zu sprechen.

Unser Hauptgebet, die Amida, beginnt mit Worten aus Psalm 51: »Mein Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.« Wir gehen drei Schritte zurück, danach drei Schritte vor, stehen vor Gott, dem Herrscher über alle irdischen Herrscher, und beginnen zu beten.

Ist dazu eine besondere Kleidung notwendig? Eine schöne Kleidung, eine Kleidung, mit der wir vor einem irdischen Herrscher erscheinen würden?
Das mag im Alltag schwierig sein, da wir es meist nicht schaffen werden, für die drei täglichen Gebete unsere Kleidung zu wechseln. Sicherlich erhört Gott unsere Gebete unabhängig von unserem äußeren Erscheinen. Jedoch hat unsere äußere Erscheinung, das Vorbereiten auf das Gebet, einen Einfluss auf unsere Kawana, unsere Konzentration beim Gebet. Dazu mögen schon kleine Anpassungen beitragen, zum Beispiel ein besonderes Jackett.

Das gilt umso mehr am Schabbat: Unsere Weisen im Talmud (Schabbat 113b) schreiben, dass die Kleidung, die wir unter der Woche tragen, nicht die Kleidung sein sollte, die wir am Schabbat tragen. Es sollte etwas Schönes und Feierliches sein.

Ein älterer Herr zeigte mir einst seine Manschettenknöpfe und meinte stolz: »Diese trage ich nur am Schabbat und an Feiertagen.«

DRESSCODE Entscheidet sich eine ganze Gruppe für einen bestimmten Dresscode, so mag dies auch eindrucksvoll sein: Während meiner Ausbildung zum Kantor in den USA erlebte ich den Schabbat auf eine besondere Art und Weise: »Jewish Renewal«, die Bewegung meiner Kantorenschule, hatte Weiß als Farbe für den Schabbat interpretiert, um die Festlichkeit und Freude zu betonen. So kleideten sich alle am Schabbat ganz in Weiß: Allein schon deshalb hatte der Gottesdienst eine imposante Atmosphäre.

Während die Auswahl unserer Kleidung heute meist unserer individuellen Entscheidung unterliegt, war die Auswahl der priesterlichen Kleidung in der Tora bis ins letzte Detail festgelegt. Dennoch sollte die heutige Wahlfreiheit nicht dazu führen, dass unsere Kleidung beliebig wirkt. Es kommt weniger auf die Marke oder den Preis der Kleidung an, sondern darauf, dass sie für den jeweiligen Anlass bewusst ausgewählt wurde. Das steigert nicht zuletzt unser eigenes Bewusstsein beim Beten oder die freudige Stimmung am Schabbat.

Der Autor ist Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).


inhalt
Der Wochenabschnitt Tezawe berichtet davon, wie den Kindern Israels aufgetragen wird, ausschließlich reines Olivenöl für das ewige Licht, das Ner Tamid, zu verwenden. Auf Geheiß des Ewigen soll Mosche seinen Bruder Aharon und dessen Söhne Nadav, Avihu, Eleazar und Itamar zu Priestern machen. Für sie übermittelt die Parascha Bekleidungsvorschriften. In einer siebentägigen Zeremonie werden Aharon und seine Söhne in das Priesteramt eingeführt. Dazu wird Aharon angewiesen, Weihrauch auf einem Altar aus Akazienholz zu verbrennen.
2. Buch Mose 27,20 – 30,10

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