Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Kardinal Luis Antonio Tagle während des Rosenkranzes für Papst Franziskus in der Basilika Santa Maria Maggiore im Vatikan in Rom Foto: IMAGO/NurPhoto

Am Samstag findet die Beerdigung des verstorbenen Papstes Franziskus statt. Zu dieser sind zahlreiche hochrangige Gäste eingeladen, darunter auch Staats- und Regierungschefs. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, äußert sich auch zum Besuch von Beerdigungen am Schabbat, und es stellt sich die Frage, ob es halachisch problematisch wäre, am Begräbnis des Papstes teilzunehmen. Es sollen hier verschiedene relevante religionsrechtliche Aspekte beleuchtet werden, und es soll der Frage nachgegangen werden, welche Argumente in einer halachischen Beurteilung berücksichtigt werden könnten.

Zunächst einmal sind jüdische Beerdigungen am Schabbat verboten. Dies liegt unter anderem daran, dass eine Beerdigung mit zahlreichen am Schabbat untersagten Aktivitäten – wie etwa dem Ausheben eines Grabes – verbunden ist. Aus diesem Grund erklärten unsere Weisen alle Leichen für Mukze (also am Schabbat nicht bewegbar), sodass sie nur in besonderen Ausnahmefällen – zum Beispiel zur Vermeidung von Leichenschändung – bewegt werden dürfen. Darüber hinaus ist der Schabbat eine Zeit der Freude, ein Tag, an dem man nicht trauern soll, sodass Beerdigungen grundsätzlich nicht zum Geist des Schabbats passen.

Juden sollen Vertretern anderer Religionen Respekt erweisen

Nun ist der Papst kein Jude, und die an der Beerdigung beteiligten Personen sind dies in der Regel ebenfalls nicht. Die Schabbatgesetze gelten selbstverständlich nicht für Nichtjuden. Doch stellt sich die Frage, ob es einem Juden erlaubt wäre, die Beerdigung am Schabbat zu besuchen – unter der Bedingung, dass dabei kein einziges der biblischen Schabbatverbote verletzt wird.

Auf den ersten Blick passen Beerdigungen und die Beschäftigung mit Trauer – wie bereits erwähnt – nicht zum Geist des Schabbats, weshalb ein solcher Besuch grundsätzlich zu vermeiden wäre. Auf der anderen Seite ist ein zentrales Prinzip der Halacha: »Ihre Wege sind Wege der Freundlichkeit, und all ihre Pfade sind Frieden« (Mischlei 3,17). Als Juden sind wir dazu angehalten, Vertretern anderer Kulturen und Religionen Respekt zu zeigen. Wenn also davon auszugehen ist, dass die Ablehnung einer Einladung zur Beerdigung als große Respektlosigkeit verstanden werden könnte und möglicherweise negative Konsequenzen für die jüdische Gemeinschaft nach sich ziehen würde, so könnte dies einen Besuch der Beerdigung halachisch rechtfertigen – auch wenn die Teilnahme inhaltlich nicht ganz zum Schabbat passt.

In Bezug auf die Beschäftigung mit Trauer am Schabbat ließe sich ebenfalls weiter differenzieren: Vielleicht könnte ein rein passives Dabeisein, ohne Trauerkleidung und ohne das Verlesen von Gebeten, als weniger problematisch eingestuft werden – da man selbst keinen aktiven Ausdruck von Trauer zeigt.

Ist der Petersplatz Teil der Kirche?

Ein weiterer halachisch relevanter Aspekt betrifft die Frage, ob ein Jude überhaupt einen Ort betreten darf, an dem Avoda Zara (wörtlich: »fremder Dienst«) betrieben wird. Die Anbetung von Menschen – einschließlich Jesus – gilt in der Halacha als Avoda Zara, und der Vatikan ist ein Ort, an dem dieser ausgeübt wird. Allerdings könnte man argumentieren, dass der Petersplatz selbst nicht Teil der Kirche ist, sondern ein öffentlicher Platz, der an sich nicht als Ort von Avoda Zara gilt. Ähnlich verhält es sich vermutlich mit den Verwaltungsgebäuden und Empfangssälen des Vatikans, die keine liturgische Funktion haben.

Lesen Sie auch

Abschließend sei auf den Begriff Chilul Haschem hingewiesen – die Entweihung des g‹ttlichen Namens. Wenn ein Jude sich in sensiblen Angelegenheiten wie Tod und Trauer respektlos verhält und dadurch das Ansehen des Judentums beschädigt, gilt dies als besonders schwerwiegend. Auch dieser Aspekt könnte in eine umfassende halachische Abwägung mit einfließen.

All diese Überlegungen zeigen, dass es sich hier um eine komplexe Fragestellung handelt, die eine nuancierte Betrachtung und fundierte rabbinische Entscheidung erfordert.

Der Autor ist Religionslehrer der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.

Sukka

Gleich gʼttlich, gleich würdig

Warum nach dem Talmud Frauen in der Laubhütte sitzen und Segen sprechen dürfen, es aber nicht müssen

von Yizhak Ahren  06.10.2025

Chol Hamo’ed Sukkot

Dankbarkeit ohne Illusionen

Wir wissen, dass nichts von Dauer ist. Genau darin liegt die Kraft, alles zu feiern

von Rabbiner Joel Berger  06.10.2025

Tradition

Geborgen unter den Sternen

Mit dem Bau einer Sukka machen wir uns als Juden sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Nachbarn erklären können, was uns die Laubhütte bedeutet

von Chajm Guski  06.10.2025

Sukkot

Fest des Vertrauens

Die Geschichte des Laubhüttenfestes zeigt, dass wir auf unserem ungewissen Weg Zuversicht brauchen

von Rabbinerin Yael Deusel  06.10.2025

Sarah Serebrinski

Sukkot: Freude trotz Verletzlichkeit

Viele Juden fragen sich: Ist es sicher, eine Sukka sichtbar im eigenen Vorgarten zu bauen? Doch genau darin – in der Unsicherheit – liegt die Botschaft von Sukkot

von Sarah Serebrinski  05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025

Übergang

Alles zu jeder Zeit

Worauf es in den vier Tagen zwischen Jom Kippur und Sukkot ankommt

von Vyacheslav Dobrovych  03.10.2025

Kirche

EKD: Gaza-Krieg nicht zum Anlass für Ausgrenzung nehmen

Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs: »Offene und gewaltsame Formen des Antisemitismus, besonders in Gestalt israelbezogener Judenfeindschaft, treten deutlich zutage«

 03.10.2025

Ha’asinu

Mit innerer Harmonie

Nur wer sich selbst wertschätzt und seine Fähigkeiten kennt, kann wirklich wachsen

von Abraham Frenkel  03.10.2025