Konversion

»Giur soll einheitlich sein«

Rabbiner Avichai Apel Foto: Marco Limberg

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»Giur soll einheitlich sein«

Israels Religionsminister will dezentrale Gerichte für Übertritte – orthodoxe Rabbinerkonferenzen in der Diaspora sind besorgt

von Chajm Guski  13.01.2022 08:23 Uhr

Die »Giur-Reform«, die Reform von Übertritten zum Judentum, ist nur ein Schritt von mehreren, die Israels Religionsminister Matan Kahana umsetzen will. Begonnen hatte er mit einer Öffnung der Kaschrut-Aufsicht für weitere Zertifizierer und beendete damit das de-facto-Monopol des charedisch dominierten Oberrabbinats.

Kahana, der der Partei HaJamin HeChadasch von Regierungschef Naftali Bennett angehört, kündigte bereits im Sommer an, weitere Reformen folgen zu lassen: Eheschließungen und Übertritte. Insbesondere die Übertritte laufen zentral über das Oberrabbinat. Dieser Bereich ist sensibel, denn es geht um die »Macht« der Status­entscheidung: Ist eine Person als jüdisch zu betrachten, oder nicht?

GERICHTSURTEIL In Israel gibt es zwei Haltungen zu Übertritten zum Judentum, und dies ist der Grund für die anstehenden Reformen des gesamten Systems, das Minister Kahana etwas effektiver und »offener« machen möchte. Eine Haltung ist die des Oberrabbinats, das nur orthodoxe Übertritte anerkennt, die andere die des Obersten Gerichtshofs. Dessen Entscheidung, dass auch nichtorthodoxe Übertritte im Ausland zur Erlangung der israelischen Staatsbürgerschaft und für die Alija ausreichend seien, hat unverändert Bestand.

Zudem gibt es durch die Einwanderungsgesetze, die es ermöglichen, mit einem jüdischen Großelternteil Alija machen zu können, ohne selbst jüdisch zu sein, eine große Gruppe von Menschen ohne klaren halachischen Status im Land.

FRUSTATION Für die erste der beiden Gruppen ist Frustration vorprogrammiert, wenn es um Lebensbereiche geht, in denen das Oberrabbinat ein Mitspracherecht hat. Wird ein Übertritt (übrigens nicht nur ein nichtorthodoxer) nicht anerkannt, so kann auch nicht in Israel geheiratet werden. Eine Statusklärung durch einen weiteren Übertritt wäre in einigen Fällen eine Lösung. Allerdings gilt das Oberrabbinat, das wie eine Behörde arbeitet, nicht rundum als effektiv und schnell.

Deshalb ist ein wichtiger Bestandteil von Minister Kahanas Plänen die Schaffung lokaler rabbinischer Gerichte für Übertritte. Diese wiederum sollen ihre Richtlinien durch das Oberrabbinat erhalten. Die Umsetzung erfolgt dann aber dezentral.

Der Nachteil für das Oberrabbinat ist, dass es keinen direkten Zugriff mehr auf die Kandidaten haben wird. Der Vorteil für die Kandidaten wäre, dass sie einen örtlichen Rabbiner als Begleiter und Ansprechpartner haben werden.

Im November sagte Matan Kahana in einem Interview mit der »Times of Israel«, er erhoffe sich, dass man die Betroffenen dadurch »ermutigt«: »Wir sollten versuchen, einen Prozess und ein Umfeld zu schaffen, die sie ermutigen, halachisch zu konvertieren und sich dem jüdischen Volk anzuschließen.« Die Kritik zwischen den Zeilen ist natürlich, dass der derzeitige Prozess die Betroffenen demotiviere und entmutige.

Hat das Auswirkungen auf die Diaspora? Die Antwort darauf lautet: Ja und nein. Das Oberrabbinat des Staates Israel ist nicht das Oberrabbinat der gesamten jüdischen Welt. In der Theorie ist jeder Rabbiner in seinen Entscheidungen autonom und nicht an Vorgaben einer organisatorisch übergeordneten Instanz gebunden.

Die Halacha hingegen ist verbindlich. Faktisch wird es vielen Übertretenden aber wichtig sein, dass ihr Übertritt auch im Staat Israel anerkannt wird. Das Beit Din der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) arbeitet seit 2004 mit dem Oberrabbinat in Israel zusammen. Dies soll gewährleisten, dass die Beschlüsse dieses Beit Dins durch das Oberrabbinat in Israel anerkannt werden.

ORD Für die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) sagte Vorstandsmitglied Rabbiner Avichai Apel der Jüdischen Allgemeinen, es sei »schön und gut«, neuen Wind zu haben, die Systeme zu prüfen und unnötige Bürokratie zu beseitigen, um die Verbindung zwischen dem Verbraucher – dem Konvertiten – und dem Anbieter – dem Rabbinat – besser zu machen.

Allerdings sei die Halacha ihren Quellen treu und die Regeln zum Giur allen bekannt. Ein Mensch soll »voll dabei« sein, um zu konvertieren: »Das heißt, er soll die Tora und Mizwot halten und ein Teil des jüdischen Volkes sein, egal ob es uns gut geht oder ob es manchmal schwer ist.«

Batei Din in Israel seien wie das Gerichtssystem organisiert: »Geeignete, unabhängige Richter werden benannt, um den Kandidaten zu helfen und gleichzeitig aufzupassen, dass sie ehrlich sind und voll und ganz am Giur teilnehmen möchten.« Selbstverständlich seien alle Stadtrabbiner in Israel geeignet, um als Dajan bei einem Giur eingesetzt zu werden:

ANGST VOR MANIPULATION »Dennoch ist es nicht zu empfehlen«, so Rabbiner Apel. »Wir dürfen uns nicht in eine Situation bringen, wo Giurkandidaten Batei Din manipulieren können, indem sie von einem zum anderen Beit Din wechseln. Giur soll einheitlich sein.«

Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) schickte dem aschkenasischen Oberrabbiner Israels, David Lau, bereits Ende Dezember ein Solidaritätsschreiben. Darin zeigt sich die CER »besorgt« über die Entwicklungen in Israel.

Für Israels Religionsminister Kahana ist die Reform nur ein weiterer Schritt, um die religiös-zionistische Bewegung fester im religiösen Leben Israels zu verankern. Für die Diaspora könnten sich die Ansprechpartner ändern.

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