Talmudisches

Essen übrig lassen

Aufessen! Foto: Getty Images

Rabbi Jehoschua ben Chananja, einer der führenden jüdischen Gelehrten der Zeit unmittelbar nach der Zerstörung des Zweiten Tempels, sagte einmal, er sei nie in einer verbalen Auseinandersetzung besiegt worden, mit Ausnahme von drei Fällen. Einer soll hier näher betrachtet werden.

Rabbi Jehoschua übernachtete einmal in einem Gasthaus, wo ihm die Wirtin, eine Witwe, ein Gericht aus gemahlenen Bohnen servierte. Er aß alles auf, ohne, wie es damals üblich war, etwas für die Wirtin übrig zu lassen. Dies wiederholte sich auch am zweiten Tag. Am dritten Tag servierte ihm die Wirtin das gleiche Gericht, aber sie versalzte es absichtlich. Als Rabbi Jehoschua kostete, ließ er davon ab.

Sie fragte, warum er das Gericht nicht gegessen habe, und er antwortete, er sei nicht hungrig, da er bereits zuvor gegessen habe. Sie antwortete: »Warum hast du dann aber das ganze Brot aufgegessen?« Alsdann sprach sie: »Meister, vielleicht deshalb, weil du in den ersten (Tagen) nichts zurückgelassen hast? Sagten doch die Weisen, man brauche nichts im Topf zurückzulassen, wohl aber auf dem Teller.«

Rabbi Jehoschua ist im Talmud als ein sehr scharfsinniger Mensch bekannt

Rabbi Jehoschua ist im Talmud als ein sehr scharfsinniger Mensch bekannt, der häufig gegen Abtrünnige und Regierungsbeamte, die versuchten, das jüdische Volk zu unterdrücken, debattierte. Nach seinem Tod verkündeten die Rabbinen (Sota 49b), dass es jetzt niemanden mehr gibt, der in der Lage ist, uns gegen die Ketzer zu verteidigen. Umso bemerkenswerter ist, dass es in drei Fällen, die der Talmud erzählt, andere waren, die Rabbi Jehoschua verbal besiegten.

Ben Jehojada, Rabbi Josef Chaim von Bagdad (1832–1909), besser bekannt als der Ben Isch Chai, bemerkt, dass die Geschichten, die der Talmud über Rabbi Jehoschua erzählt, nicht wirklich passiert sind, sondern aufgeführt wurden, um richtiges Verhalten zu veranschaulichen und zu lehren.

So weist der Maharscha, Rabbi Schmuel Eliezer Halevi Edels (1555–1631), darauf hin, dass die Witwe gezeigt hat, wie man Mussar (Kritik) richtig äußert. Anstatt dem Rabbi gleich beim ersten Mal direkt zu sagen, dass seine Handlungen unangemessen waren, ließ sie es durchgehen, und beim zweiten Mal übersah sie seinen Fehler sogar.

Als sie es schließlich für notwendig hielt, ihn zu korrigieren, tat sie dies auf indirekte, nicht peinliche Weise. Der Wilnaer Gaon kommentiert, dass sie ihre Bemerkungen sogar positiv formuliert habe. Er schreibt, die Wirtin habe zu Rabbi Jehoschua gesagt: »Vielleicht lässt du jetzt die entsprechende Menge für die gesamten drei Tage liegen.«

Offenbar gehörte es sich, dass man für den Wirt etwas vom Essen übrig ließ

Was war der Grund für den Brauch, Essen übrig zu lassen? Offensichtlich war es dazu gedacht, die Wirte zu versorgen. Aber der Maharscha fügt hinzu, dass es auch einem sehr praktischen Zweck diente: Es bot der Gastgeberin die Möglichkeit, das Essen zu probieren und sich zu vergewissern, dass es gut schmeckte. Wenn nichts übrig bliebe, wisse die Gastgeberin nicht, ob das Essen gut gewesen sei.

Warum ließ Rabbi Jehoschua nichts übrig, wenn dies die gängige Praxis war? Der Maharscha erklärt, es sei möglich, dass Rabbi Jehoschua diesen Brauch nicht kannte. Alternativ habe es sich nicht wirklich um eine festgelegte Praxis gehandelt, sondern nur um eine Empfehlung, die ignoriert werden könne.

Rabbi Benajahu schlägt vor, dass Rabbi Jehoschua tatsächlich einen Teil der Fleischmahlzeit für die Wirtin übrig gelassen hat. Sie lehrte ihn jedoch, dass diese Regel auch für andere Speisen galt. Alternativ wollte Rabbi Jehoschua ihr zeigen, wie gut ihr Essen war – also »putzte er seinen gesamten Teller ab«, um seine Wertschätzung zu zeigen.

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

»Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben«, schreibt Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025