Tu Bischwat

Ein Brauch für jeden Baum

Es grünt so grün: Der Frühling steht schon vor der Tür. Foto: Getty Images/iStockphoto

Tu Bischwat

Ein Brauch für jeden Baum

Es gibt viele Wege, das besondere Neujahrsfest im Winter zu feiern

von Levi Israel Ufferfilge  28.01.2021 11:09 Uhr Aktualisiert

Tu Bischwat ist ein kleiner Feiertag, der im Traktat Rosch Haschana in der Mischna Neujahrsfest der Bäume genannt wird und eigentlich recht mathematischer Natur ist. Er wird begangen, um zwei Mizwot aus dem 3. Buch Mose 19, 23–25 einhalten zu können.

Zum einen dürfen keine Orla-Früchte gegessen werden, das heißt, Früchte von Bäumen während der ersten drei Jahre nach ihrer Anpflanzung. Reifen die Früchte eines Baumes im dritten Jahr an oder nach Tu Bischwat, dürfen sie erstmals gegessen werden.

Mosche Das Orla-Verbot gilt bis heute und ist einerseits ein biblisches Verbot für das Land Israel und andererseits für den Rest der Welt etwas, das man Halacha le-Mosche mi-Sinai nennt. Das ist ein Gesetz, das sich nicht aus der geschriebenen Tora ableiten lässt, sondern als solches in einer Traditionskette seit Mosche mündlich weitergegeben wird.

Tu Bischwat ist kein Tag des »Entweder-Oder«.

Man braucht also diesen Tag, um zu wissen, ab wann eine Frucht gegessen werden darf. Zum anderen braucht es Tu Bischwat, um im vierten Jahr des Baumes gemäß dem obigen Toravers die richtige Art einer Opfergabe von den Früchten auszulösen (zur Zeit des Tempels hätte man das Opfer dort dargebracht).

Diese Pflicht gilt in Israel für alle Bäume, in der Diaspora nur für Weinberge. Eigentlich wäre Tu Bischwat also eine kalendarische Angelegenheit ohne in Tora oder Talmud erwähnte Rituale, ein Stichtag, um zwei halachische Pflichten berechnen zu können.

Über die Generationen hinweg entstanden im Judentum jedoch Traditionen, die Bäume an ihrem Neujahrsfest durch Gedanken, Wort und Tat würdigen sollten.

NATIONALFONDS Manche Bräuche heben ausschließlich die Bedeutung von Bäumen im Land Israel hervor, weshalb etwa der Jüdische Nationalfonds seit Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem aber seit den 50er-Jahren, zu Spenden für neue Bäume in Israel aufruft.

Eine andere Tradition ist es bei vielen, an Tu Bischwat von den sieben Arten Israels (unter anderem Granatapfel und Dattel) zu essen. Andere Juden betrachten den generellen Aspekt der Früchte als besonders bedeutend und pflanzen daher an Tu Bischwat neue Fruchtbäume im eigenen oder im Gemeindegarten – oder essen zum ersten Mal im jüdischen Jahr eine saisonale Frucht, um den Schehechejanu-Segen sagen zu können.

Traditionen Da im Talmud (Rosch Haschana 2a) in der Einzahl vom »Neujahr des Baumes« die Rede ist, heben wieder andere Traditionen einen ganz gewissen Baum hervor. Viele Chassidim etwa messen hier dem Etrog, einer Zitrusfrucht, die einzig dem Fest Sukkot dient, eine herausragende Bedeutung bei und essen ihn an Tu Bischwat eingelegt, kandiert oder als Marmelade und sprechen ein Gebet für einen würdigen Etrog zum nächsten Sukkotfest.

Jüdische Mystiker verstanden im Mittelalter unter dem bedeutungsvollsten Baum den Baum des Lebens aus dem Gan Eden, der das Universum erhalte und dessen Wiederherstellung oder Wiederbringung ein Schlüssel zu erneuten paradiesischen Zuständen sei.

An Tu Bischwat wird zu Spenden für die Wiederaufforstung von Wäldern aufgerufen.

Sie widmeten ihm einen eigens kreierten Seder, der bis heute von ganz unterschiedlichen jüdischen Gruppen auf vollkommen unterschiedliche Weise zelebriert wird. In Zeiten großer Umweltnot indes wurde Tu Bischwat genutzt, um auf besonders gefährdete oder schon vernichtete Bäume hinzuweisen und durch Wiederaufforstung einen Beitrag zu Tikkun Olam, der Heilung der Welt, zu leisten.

Als das berüchtigte Entlaubungsmittel »Agent Orange« während des Vietnamkriegs nicht nur die Leben unzähliger Menschen zerstörte, sondern auch drei Millionen Hektar Wald (die Fläche von Belgien), riefen Rabbiner 1971 dazu auf, an Tu Bischwat Geld für neue Bäume in Vietnam zu spenden.

In all diesen unterschiedlichen Traditionen drückt sich aber stets das gleiche Bedürfnis nach Fürsorge aus. Wir möchten uns am Neujahr der Bäume um den Baum oder die Bäume kümmern, die uns emotional, intellektuell oder spirituell nah sind: die Bäume in oder Früchte aus Israel, der eigene Kirschbaum im Garten, der so kostbare Etrog, der Lebensbaum des Gan Eden oder die Bilder von verdorrenden, abgeholzten oder verbrannten Bäumen, die uns von Eden immer weiter entfernen.

BUSCHFEUER Tu Bischwat ist kein Tag des »Entweder-Oder«. All die genannten Traditionen können am Neujahr der Bäume miteinander verbunden werden und werden von vielen jüdischen Familien und Gemeinden auch in jüngster Zeit miteinander verknüpft: ein Mahl aus den sieben Arten zusammen mit einer neuen saisonalen Frucht, ein Seder, der auch für den Umweltschutz sensibilisiert, oder eine Spendenaktion für Bäume sowohl in Israel nach den dortigen Überschwemmungen als auch dort, wo der Mensch sich durch Rodung selbst die Luft zum Atmen nimmt.

Beispiellos ist in diesem Jahr die Buschfeuerkatastrophe in Australien, die bisher Bäume und andere Pflanzen auf einer Fläche, die mehr als doppelt so groß ist wie Österreich, verschlungen und über eine Milliarde Tiere getötet hat.

Tier Viele Gemeinden und andere jüdische Organisationen in Israel und der Diaspora sammeln Geld für die Wiederaufforstung und die Versorgung von Mensch und Tier und werden dies im Besonderen auch an Tu Bischwat tun.

Wir haben heute das große Privileg, auf einen Schatz unterschiedlicher Ideen zurückgreifen zu können, wie das Neujahr der Bäume sinnstiftend gefeiert werden kann. Wir müssen es bloß tun.

 

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025