Tu Bischwat

Die Früchte unseres Landes

Eine Familie in Israel pflanzt zu Tu Bischwat einen Baum auf dem Carmel-Berg. Foto: Flash 90

Tu Bischwat, der 15. Tag des Monats Schwat – in diesem Jahr ist es dieser Donnerstag, der 16. Januar –, ist ein besonderes Fest. Für viele Menschen, vor allem in Israel, ist es sogar ihr Lieblingsfest, da man an diesem Tag nichts tun muss. Es gibt keine speziellen oder vorgeschriebenen Gebote, und man kann sich einfach mit der Familie und den Freunden zusammensetzen und den Verzehr von Früchten genießen. Viele andere, vor allem in der Diaspora, kennen dieses Fest dagegen nicht einmal, denn es gehört zu den »jüngeren« jüdischen Feiertagen – obwohl sein Datum schon in der Mischna erwähnt wird.

Seder Als Neujahr der Bäume wurde der 15. Schwat später wieder zum Leben erweckt. Im 16. Jahrhundert haben jüdische Mystiker aus Safed einen speziellen Tu-Bi-schwat-Seder entwickelt, der an den Pessachseder angepasst war. Auch am Tu-Bischwat-Seder trinkt man vier Gläser Wein. Aber wo beim Pessach-Seder der Auszug aus Ägypten im Vordergrund steht, wird beim Tu-Bischwat-Seder unsere Verbindung zum Land Israel und seinen Früchten verdeutlicht.

Die Tradition, einen solchen Seder an Tu Bischwat zu feiern, hat sich vor allem bei sefardischen Juden und in Israel durchgesetzt. Auch in vielen Gemeinden in Deutschland ist es inzwischen Brauch, den Tu-Bischwat-Seder abzuhalten, um die Verbindung zum Land Israel zu zeigen.

Doch dieses Fest wirft vor allem für Juden in der Diaspora einige Fragen auf. Wieso feiern wir den Geburtstag der Bäume ausgerechnet im Winter – wäre es nicht sinnvoller, ihn im Frühling zu feiern, wenn alles zu blühen anfängt? Und wieso ist die Verbindung mit dem Land Israel für uns so wichtig?

Die erste Frage kann man folgendermaßen beantworten: In dieser Jahreszeit ist es zwar sehr kalt in unseren Breitengraden, doch in Israel fängt gerade jetzt die Erde an, sich zu erwärmen, und die ersten Knospen beginnen, sich zu bilden. Und da sich unsere Blicke an diesem Tag nach Erez Israel richten, feiern wir dementsprechend den Beginn der Blüte in Israel.

Raschi Die Antwort auf die zweite Frage kann man im allerersten Raschi-Kommentar zur Tora finden. Bevor Raschi anfängt, die Entstehungsgeschichte zu kommentieren, zitiert er die Frage von Rabbi Jizchak, der wissen will, warum die Tora, die ein reines Gesetzbuch sein sollte, mit der Entstehungsgeschichte der Welt anfängt. Sollte denn die Tora nicht mit dem ersten Gebot für das Volk Israel, der Heiligung des Neumondes, beginnen?

Die Antwort, die Raschi auf diese Frage gibt, ist sehr ungewöhnlich. Er sagt, dass, wenn eines Tages die anderen Völker der Welt kommen und uns beschuldigen, das Land Israel gestohlen zu haben, wir sagen werden, dass die ganze Welt dem Allmächtigen gehört, wie es die Entstehungsgeschichte beweist – und dass Er entschieden hat, uns das Land zu geben.

Doch wenn alles so einfach ist, wie Raschi sagt, wieso streitet man sich dann eigentlich noch über das Land? Wir brauchten in diesem Fall bei den Vereinten Nationen in New York nur diesen Raschi-Kommentar zu präsentieren, alle würden anfangen, uns zu applaudieren, und der langjährige Streit wäre gelöst ...

Leider wissen wir alle, dass das niemals funktionieren wird. Doch warum schreibt Raschi dann so eindeutig – war er wirklich so naiv? Bestimmt nicht. Er hat diese Auslegung nämlich nicht für andere Völker geschrieben, sondern ausschließlich für uns. Damit wir verstehen, dass das Land Israel uns und zu uns gehört, und genauso gehören auch wir dorthin. Und egal, was die anderen sagen – uns muss immer bewusst sein, dass es unser einziges Zuhause ist, weil G’tt es so gesagt hat.

Vollkommenheit Das Land Israel kann ohne uns nicht funktionieren, denn wir haben gesehen, wie verwüstet das Land während der jüdischen Abwesenheit war und wie es in den vergangenen Jahrzehnten aufgeblüht ist. Aber auch wir können ohne das Land nicht vollkommen sein, denn nur im wiederaufgebauten Land Israel haben wir die Möglichkeit, das Judentum vollständig ausüben zu können.

Dieses Axiom ist für das Verständnis der Tora so ausschlaggebend, dass Raschi es als seinen allerersten Kommentar zur Tora verfasst hat. Mit anderen Worten: Ohne das Gefühl der Verbindung zu Israel kann man auch die Tora nicht vollkommen begreifen. Mögen wir uns alle bald im wiedererbauten Land Israel treffen und dort gemeinsam die Früchte Israels genießen!

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Freiburg.

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Interview

»Süßes gibt’s auch in der Synagoge«

Jugendrabbiner Samuel Kantorovych über Halloween, dunkle Mächte und Hexen im Talmud

von Mascha Malburg  30.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Rom

Eklat durch NS-Vergleich bei interreligiösem Kongress

Der Dialog zwischen katholischer Kirche und Judentum ist heikel. Wie schwierig das Gespräch sein kann, wurde jetzt bei einem Kongress in Rom schlagartig deutlich. Jüdische Vertreter sprachen von einem Tiefpunkt

von Ludwig Ring-Eifel  27.10.2025

Talmudisches

Das Schicksal der Berurja

Die rätselhafte Geschichte einer Frau zwischen Märtyrertum und Missverständnis

von Yizhak Ahren  24.10.2025