Chametz-Verkauf

Der etwas andere Broterwerb

Die Namen von Superreichen wie Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg kennt jeder. Doch es gibt eine kaum bekannte Person, die zumindest für eine Woche im Jahr dazuzählt – Hussein Jabar (65) aus Abu Gosh, einer kleinen arabischen Stadt unweit von Jerusalem. Sein temporäres Vermögen stammt jedoch nicht von Autos, Raketen oder Internetdiensten – sondern von Brot und Teigwaren!

Jedes Jahr vor Pessach kauft der arabische Israeli den gesamten Chametz-Bestand der israelischen Regierung mit einem geschätzten Wert von über 150 Milliarden US-Dollar gegen eine »kleine« Anzahlung von 20.000 Schekel (circa 5000 US-Dollar) auf – unter der Bedingung, dass er bis nach Pessach den restlichen Betrag überweisen muss. Doch jedes Jahr aufs Neue ist er nicht in der Lage, diese Milliardensumme aufzubringen, und so wird der Deal nach dem Feiertag rückgängig gemacht, und das Chametz geht an seine ursprünglichen Besitzer zurück.

Ungewöhnlicher Deal

Dieser ungewöhnliche Deal beinhaltet die Getreideprodukte aller israelischen Ministerien, der Polizei, der israelischen Airlines und Gastronomiebetriebe, die unter der Aufsicht des Rabbinats stehen, und wird gemeinsam von den Oberrabbinern in Anwesenheit des israelischen Finanzministers getätigt.

Jabar macht dieses »Geschäft« schon seit 29 Jahren. In seiner langjährigen Tätigkeit im Ramada-Hotel in Jerusalem lernte er einst den damaligen aschkenasischen Oberrabbiner Israel Meir Lau kennen, und so kam es dazu, dass er 1995 zum Käufer des gesamten Chametz des jüdischen Staates wurde.

Doch nicht nur in Israel werden jedes Jahr vor Pessach solche Verkäufe gemacht, sondern überall auf der Welt, fast in allen jüdischen Gemeinden – wenn auch nicht mit solchen Summen. Warum aber müssen Getreidewaren für Pessach verkauft werden, und wieso ist so ein Deal halachisch zulässig?

Zur Not musste eben die ganze Schnapsfabrik verkauft werden.

An Pessach besteht das Verbot, Chametz zu essen, also jegliches Getreide, das länger als 18 Minuten mit Wasser in Berührung kam und bereits »gesäuert« ist. Allerdings ist es auch verboten, Chametz überhaupt zu besitzen, so wie es in der Tora geschrieben steht: »Es werde nicht gesehen Gesäuertes und Sauerteig in deinem ganzen Gebiet.«

Aufbrauchen oder vernichten

Aus diesem Vers lernen wir, dass man Getreideprodukte vor Pessach entweder aufbrauchen oder vernichten soll. Die Weisen haben zusätzlich verfügt, dass Chametz, das sich an Pessach im Besitz eines Juden befunden hat, nicht einmal nach den Feiertagen verzehrt werden darf.
Jedoch gibt es bereits Quellen aus der Zeit der Mischna, wonach es unter bestimmten Umständen möglich ist, auf das Vernichten des Chametz zu verzichten und es stattdessen an einen Nichtjuden zu verkaufen.

Die Tosefta (Traktat Pesachim Kap. 2, 6–7) handelt von einem Menschen, der sich unmittelbar vor Pessach auf einer längeren Schifffahrt befindet und Chametz bei sich hat, das er für den weiteren Verlauf der Reise benötigen wird. Sie lehrt, dass es ihm in dieser Situation gestattet ist, sein Chametz an einen Nichtjuden zu verkaufen oder zu verschenken und es nach Pessach zurückzukaufen.

Rabbi Amram Gaon (810–875) schreibt, dass die Option des Verkaufs nicht nur auf einem Schiff bestehe, sondern auch in ähnlichen Ausnahmesituationen, jedoch betont sie, dass es sich um einen rechtmäßigen Verkauf handeln muss und dass diese Prozedur nicht jedes Jahr wiederholt werden darf.

Über die nächsten 500 Jahre scheint es, dass Chametz generell vor Pessach entweder aufgebraucht oder vernichtet wurde und kein besonderes Bedürfnis bestand, es jahrein und jahraus zu verkaufen.

Doch im späten Mittelalter ändern sich die Umstände. Juden betrieben in jener Zeit immer häufiger Alkoholproduktionen oder handelten mit Spirituosen wie Wodka oder Schnaps, also Chametz. Es war nicht möglich, diese großen Mengen vor Pessach zu verbrauchen; und sie jährlich vernichten zu müssen, bedeutete einen solchen finanziellen Verlust, dass sich das Geschäft nicht mehr lohnen würde.

Symbolische Summe

Rabbi Israel Isserlein (1390–1460), eine der größten halachischen Autoritäten des aschkenasischen Judentums des 15. Jahrhunderts, erlaubte es daher, Chametz regelmäßig zu verkaufen, auch wenn dafür nur eine symbolische Summe bezahlt würde.

Der sefardische Rabbiner Josef Karo (1488–1575), Autor des Schulchan Aruch, unterstützte etwa zeitgleich ebenfalls den Verkauf von Chametz – unter der Bedingung, dass es sich nicht auf dem Grundstück des Juden befinden solle. In einem Fall, wo auch das nicht möglich war, beispielsweise wenn ein ganzes Lager von Spirituosen verkauft wurde, erlaubten viele Rabbiner, das Grundstück ebenfalls temporär mit zu verkaufen oder zu vermieten, sodass es sich rechtlich und halachisch nicht in jüdischem Besitz befindet.

Jedoch gab es auch prominente Rabbiner, die sich sehr gegen solche Chametz-Verkäufe aussprachen, weil es sich ihrer Meinung nach offensichtlich nur um einen fiktiven Deal handelte, um die Vernichtung des Chametz zu umgehen.

Diese Ansicht war durchaus begründet: Im 19. Jahrhundert besagte das Gesetz in Österreich-Ungarn, dass jeder Vertrag über einen offiziellen Stempel der Behörden verfügen müsse. Es wurde sogar eine Beschwerde beim Kaiser eingereicht, dass die Verträge zum Chametz-Verkauf keinen Stempel erhielten. Der Kaiser wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass es sich um eine religiöse Angelegenheit handele, die keinen Stempel benötige. Dieser Rechtsspruch des Kaisers wurde von einigen als Beweis betrachtet, dass es sich nicht um einen echten Verkauf handele.

Rabbiner der Stadt oder der Gemeinde als »Dealmaker«

Der gegenwärtige Brauch in den jüdischen Gemeinden auf der ganzen Welt ist es, Chametz vor Pessach zu verkaufen. In der Regel fungiert der Rabbiner der Stadt oder der Gemeinde dabei als »Dealmaker«. Dafür unterschreiben die Gemeindemitglieder eine Vollmacht, die ihn ermächtigt, ihr Chametz zu verkaufen.

Manche Privatpersonen vermei­den es, »richtiges« Chametz (im Gegensatz zu Lebensmitteln, die eventuell Chametz enthalten könnten) zu verkaufen, um die erwähnten Meinungen zu respektieren, die den regelmäßigen Chametz-Verkauf nicht anerkennen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Chumra, also eine zusätzliche Frömmigkeit, während es streng genommen laut der Halacha erlaubt ist.

Es gibt weitere »Waren«, bei denen es umstritten ist, ob sie in den Chametz-Verkauf eingeschlossen werden müssen. So gibt es eine Meinungsverschiedenheit, ob Aktien oder Unternehmensanteile einer Firma, die Chametz besitzt, verkauft werden müssen. Manche Rabbiner sind der Meinung, dass diese nicht unter das Verbot des Besitzes von Chametz fallen und demnach nicht verkauft werden müssen. Im Kern geht es darum, wie Aktien halachisch betrachtet werden. Es ist üblich, dass Aktien ebenfalls verkauft werden, um auf der sicheren Seite zu sein.

Ein weiterer Gegenstand der Diskussion ist, wie das Chametz verkauft werden soll. Im jüdischen Recht gibt es mehrere Arten von Kinjanim (Formen des Eigentumserwerbs), und es gibt verschiedene Meinungen, welche Kinjanim für diesen Verkauf geeignet sind. Mögliche Kinjanim wären »Kesef« (Geld), »Schtar« (Vertrag), »Agav« (Nebenerwerb) und Tekifat Kaf (Handschlag). Um auf der sicheren Seite zu stehen, werden auch hier alle Formen des Eigentumserwerbs angewendet.

Getreide im Hundefutter sorgte in der israelischen Armee für Fragen.

Manchmal müssen auch unerwartete Waren in den Verkauf eingeschlossen werden. Im Jahr 2007 stellte sich heraus, dass das Hundefutter der israelischen Armee Chametz enthält. Ein Armeeveterinär beklagte jedoch, für die Hunde sei es ungesund, eine ganze Woche vom gewohnten Futter abzuweichen. So entstand ein halachisches Problem: Zum einen durfte Hundefutter nicht in jüdischem Besitz sein, und zum anderen dürfen Hunde in jüdischem Besitz an Pessach generell nicht mit Chametz gefüttert werden.

Das israelische Militärrabbinat fand dafür eine kreative Lösung: Sie verkauften das Hundefutter zusammen mit den Hunden! Da es sich dabei jedoch um eine besonders sensible und nicht ganz pflegeleichte »Ware« handelte, wurden die Hunde samt Futter nicht, wie das restliche staatliche Chametz, an Hussein Jabar verkauft, sondern an einen drusischen Offizier der israelischen Armee.

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