Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern Foto: Marco Limberg

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

von Tobias Kühn  29.04.2025 22:46 Uhr

Herr Stern, in den nächsten Tagen wird ein neuer Papst gewählt. Welche inhaltlichen oder symbolischen Signale wären aus Ihrer Sicht in den ersten Monaten besonders wichtig?
Wer immer der neue Papst wird, muss deutlich aussprechen, dass der Kampf gegen Antisemitismus für ihn und für die Kirche Priorität hat. Es braucht hier wieder eine klare Ansage. Der Vatikan muss dagegen angehen – ohne Wenn und Aber.

In den vergangenen Jahren scheint der Dialog zwischen dem Jüdischen Weltkongress und dem Heiligen Stuhl etwas ins Stocken geraten zu sein.
Ja, er ist regelrecht eingeschlafen. Der Gesprächsfaden muss wiederaufgenommen werden. Wir müssen auf Augenhöhe miteinander sprechen. Früher hatten wir einen regelmäßigen Austausch, doch seit einiger Zeit hat der Dialog deutlich abgenommen. Zwar gab es bis vor ein paar Monaten einen guten Austausch mit Papst Franziskus persönlich, aber auf institutioneller Ebene existiert der Dialog nur noch pro forma.

Woran liegt das?
Ein bisschen ist es wohl Angst, ein bisschen Unsicherheit und ein wenig auch Desinteresse seitens der Kurie. Zusammen genommen ergibt das den momentanen Zustand. Manche haben vergessen oder wollen nicht verstehen, dass die Wurzeln des Christentums im Judentum liegen. Aber es kann doch nicht sein, dass in Rom nur ein einziger Kardinal für den Austausch mit den Juden zuständig ist. Es sollte eigentlich jeder Verantwortliche den Dialog suchen, das kann doch nicht fachgebunden sein. Die Kirche predigt zu Recht, dass jeder mit jedem reden soll. Dialog ist Teil ihrer DNA, oder etwa nicht?

Welchen Einfluss hat der Gaza-Krieg darauf, dass der Dialog stagniert?
Leider einen sehr großen. Einige verstehen nicht, dass die jüdische Gemeinschaft nicht Krieg führt. Hinzu kommt: Papst Franziskus hat zwar Familienangehörige der israelischen Geiseln empfangen. Aber der Vatikan hat sich einseitig positioniert. Er protestiert nicht deutlich genug gegen die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen die Hamas die Geiseln seit vielen Monaten festhält.

Lesen Sie auch

Papst Franziskus war in Auschwitz, er hat Synagogen besucht und in Jerusalem an der Kotel gebetet. Wie wichtig sind solche päpstlichen Gesten?
Extrem wichtig! Der Papst spricht schließlich für die gesamte katholische Kirche – im Namen von mehr als 1,3 Milliarden Menschen weltweit.

Wenn Sie dem neuen Papst eine Botschaft mit auf den Weg geben könnten, was würden Sie ihm sagen?
Sprechen Sie sich gegen Antisemitismus aus, am besten jeden Tag aufs Neue. Denn ein Angriff auf einen Juden ist auch ein Angriff auf die Kirche. Ich glaube, das wird immer noch nicht ganz verstanden.

Mit dem geschäftsführenden Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC) sprach Tobias Kühn.

Berlin

»Ein Stück Heimat«

Was blieb übrig nach den NS-Verbrechen? Und was hatte es lange vorher gegeben? Das Leo-Baeck-Institut sammelt seit 70 Jahren Briefe, Tagebücher und Co. Und ist mit seinen Themen Einwanderung und Flucht brandaktuell

von Leticia Witte  19.05.2025

Emor

Im Schadensfall

Wie die Tora lehrt, Menschlichkeit und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden

von Jacob Rürup  16.05.2025

Talmudisches

Erinnern und Gedenken

Was unsere Weisen über die Dinge sagen, die wir im Gedächtnis bewahren sollen

von Rabbiner Netanel Olhoeft  16.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Schulchan Aruch

Mit Josef Karo am gedeckten Tisch

Ein mittelalterlicher Rabbiner fasste einst die jüdischen Gesetze so pointiert zusammen, dass viele Juden sich bis heute an seinem Kodex orientieren

von Vyacheslav Dobrovych  15.05.2025

Chidon Hatanach

»Mein Lieblingsbuch ist Kohelet«

Wie es zwei jüdische Jugendliche aus Deutschland zum internationalen Bibelwettbewerb nach Israel geschafft haben

von Mascha Malburg  15.05.2025

Vatikan

Leo XIV. schreibt an Oberrabbiner in Rom

Eine seiner ersten persönlichen Botschaften hat Papst Leo XIV. an die Jüdische Gemeinde Rom geschickt. Und eine gute und enge Zusammenarbeit versprochen

von Anna Mertens  13.05.2025

Acharej Mot – Kedoschim

Nur in Einheit

Die Tora lehrt, wie wir als Gemeinschaft zusammenleben sollen

von Rabbiner Raphael Evers  09.05.2025

Talmudisches

Von reifen Feigen

Wie es kam, dass Rabbi Josi aus Jokrat kein Mitleid mit seinen Kindern hatte

von Rabbiner Avraham Radbil  09.05.2025