Willenskraft

Das Geheimnis des Erfolgs

Was der altgriechische Bildhauer Pygmalion, seine Skulptur Galatea und die Botschaft der Tora gemeinsam haben

von Rabbiner David Kraus  30.06.2023 11:47 Uhr

Pygmalion und Galatea: Gemälde von Robert Cutler Hinckley Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Was der altgriechische Bildhauer Pygmalion, seine Skulptur Galatea und die Botschaft der Tora gemeinsam haben

von Rabbiner David Kraus  30.06.2023 11:47 Uhr

Pygmalion, der Protagonist eines altgriechischen Mythos, war ein talentierter Künstler und Bildhauer, aber in der Liebe hatte er großes Pech. Seine Enttäuschungen führten dazu, dass er begann, alle Frauen zu hassen.

Doch seine Sehnsucht nach der großen Liebe brachte ihn auch dazu, eine außergewöhnliche Frauenskulptur aus feinstem Elfenbein zu schaffen. Sie war für ihn das Sinnbild einer perfekten Frau. Nach und nach verwandelte sich Pygmalions Bewunderung für seine Skulptur in echte Liebe. Galatea nannte er sie – und von nun an war es für ihn keine Skulptur mehr, sondern die Liebe seines Lebens. Er kleidete sie ein, schmückte sie und brachte ihr teures Essen in der Hoffnung, dass sie dadurch zum Leben erweckt würde.

Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe und Schönheit, sah dies und war beeindruckt von Pygmalions hohen Erwartungen. Nachdem er eines Nachts gebetet hatte, erwachte Galatea tatsächlich zum Leben. Sie heirateten und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Psychologisch deuten wir diese Geschichte als Galatea-Effekt, also die Fähigkeit, Erfolg durch die eigene Willenskraft zu erzielen. Beim Galatea-Effekt geht es um die Idee der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Pygmalions Verlangen nach Galatea war so stark, dass sie am Ende tatsächlich lebendig wurde. Wer also denkt, dass er erfolgreich sein kann, der wird es schließlich auch.

CHASSIDEN Und nun machen wir einen kleinen Sprung in Ort und Zeit: Der Überlieferung nach trafen sich eines Tages alle Chassiden zur Seʼuda Schlischit, der dritten Schabbat-Mahlzeit, in der Synagoge des Maggid von Meseritsch. Dieser bat seinen Ehrengast, Rabbiner Jaakov Jossef aus Polonoje, ein paar Worte der Tora an seine Studenten zu richten. Und so sprach der Gast: »Verehrter Rabbi, ich bin hierhergekommen, um die Tora zu hören. Etwas über die Tora zu sagen, dazu bin ich nicht fähig. Aber eine Sache weiß ich: Ein Mensch muss die Eigenschaft der Willenskraft (Midat HaRazon) besitzen.«

Begeistert erwiderte ihm der Maggid: »Wenn du in Kenntnis über die Kraft der Willenskraft bist, gibt es keine Tora, die ich dir offenbaren kann!«

Die Tora lehrt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« (3. Buch Mose 19,18). Und schließlich hat Willenskraft mit Selbstliebe, Selbstachtung und Selbstwert zu tun: Es gibt einen Grund, warum all diese Begriffe mit »Selbst« beginnen. Man kann sie nämlich nur bei sich selbst finden. Die Ursache der meisten unserer Probleme liegt im Kopf. Unsere Ängste, Sorgen und die Verzweiflung führen dazu, dass wir uns schwach, verwirrt und hilflos fühlen. Wir konzentrieren uns dabei auf den äußeren Schein und das hindern uns daran, die Wahrheit unserer inneren Realität zu erkennen.

Unser Potenzial ist direkt mit Haschem verbunden. Rabbiner Chaim Kramer schreibt in seinem Buch Anatomy of the Soul (Anatomie der Seele), dass alles in der Schöpfung mit der gleichen Tiefe dargestellt wird.

SCHICHTEN Die Wissenschaft entdeckte zuerst das Atom, dann das Neutron, dann die Quanten. Die Entdeckung jeder Schicht führte zu einer zusätzlichen Suche nach tieferen und energiereicheren Teilchen im Atom. In ähnlicher Weise umhüllen unzählige Schichten das innerste Wesen einer Person. Wir können diese Ideen besser durch den Vers 2,7 des 1. Buch Mose verstehen: »Und Er hauchte ihm einen Hauch von Leben ein.« Haschem hat Adam also Seine Seele eingehaucht, was bedeutet, dass Er dem Menschen einen Teil Seiner grenzenlosen Kraft und Energie übertrug.

Der bekannte Kabbalist und Rabbiner Jitzchak Luria (1534–1572) erklärt: »Wenn Haschem ausatmet, ›atmet‹ Er aus Seinem innersten Wesen aus. Wenn dieser Atem einmal in den Menschen eingeatmet ist, kann er nicht mehr von ihm abgetrennt werden« (Etz Chaim, S. 68).

Natürlich ist es leichter gesagt als getan, diese Überlieferungen und Anschauungen zu verinnerlichen. Doch wer die innere Kraft, die in uns allen wohnt, wirklich begreift, in dessen Leben kann sich alles verändern. Der Tag, an dem du geboren wurdest, ist der Tag, an dem Gott entschieden hat, dass die Welt ohne dich nicht existieren kann. Und diese Erkenntnis kann nichts weniger als dein persönlicher Galatea-Effekt werden.

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