Religion

Darf G’tt ins Altpapier?

Es ist umstritten, ob der Torateil einer jüdischen Zeitung in einer Geniza abgelegt werden muss. Foto: Thinkstock

Gott oder G’tt? In der Jüdischen Allgemeinen finden sich – insbesondere auf der Schabbat- und der Religionsseite – beide Schreibweisen wieder. Es gibt Rabbiner (und natürlich auch nichtrabbinische Autoren), denen es wichtig ist, den Apostroph zu verwenden, während andere bewusst darauf verzichten.

Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Welche Gründe gibt es für die unterschiedlichen Varianten? Und darf man eine Zeitung, in der das Wort Gott oder G’tt abgedruckt ist, ins Altpapier werfen – oder muss man sie wie heilige Bücher in einer Geniza ablegen, einem Raum zur Aufbewahrung von Schriften, damit der in ihnen enthaltene hebräische Gottesname mit den Buchstaben Jud Hej Waw Hej nicht entweiht wird?

Der hebräische Name Gottes darf bekanntermaßen nur in der Torarolle verwendet und niemals ausgesprochen werden. Stattdessen sprechen Juden von Gott als »Adonaj«, auf Deutsch: »mein Herr«, oder von »Elohim« (wörtlich: Götter). In Gebetbüchern wird der Gottesname abgekürzt. Muss deshalb auch das deutsche Wort Gott mit einem Apostroph versehen werden?

Die Debatte darüber ist keinesfalls neu. Von 1768 bis 1938 gab es mehr als 200 jüdische Zeitungen in Deutschland. Von 1860 bis 1938 erschien die Wochenzeitung »Der Israelit: ein Centralorgan für das orthodoxe Judenthum«, begründet von Rabbiner Marcus Lehmann, einem weltweit geachteten orthodoxen Rabbiner. In seiner Zeitung wurde der Name Gottes auf Deutsch ausgeschrieben und nicht abgekürzt, also Gott statt G’tt.

Leserbrief Einem unbekannten Leser fiel das auf, und er richtete ein Schreiben an Rabbiner Chaim Ozer Grodzinski in Wilna, eine der wichtigsten halachischen Autoritäten des 20. Jahrhunderts. Rabbi Grodzinski antwortete (Achiezer 3,32) und führte folgende Argumentationskette an:

Laut Tosefta Makkot 5,9 sagte Rabbi Ischmael: Wer einen Buchstaben des Heiligen Namens löscht, macht sich strafbar. Dabei berief sich Rabbi Ischmael auf folgende Torastelle: »Lasst deren Namen schwinden von jenem Ort. Solcherweise sollt ihr nicht tun eurem Gotte« (5. Buch Mose 12, 3–4). Rabbi Ischmael schließt aus dem zitierten Vers, das Verbot, den Namen Gottes zu löschen oder auszuradieren, sei ein biblisches Verbot.

Der bekannte Gelehrte Maimonides, der Rambam, zählt in Jesode Hatora 6 sieben Namen Gottes auf, die man nicht löschen darf, nicht einmal einen Buchstaben, egal, ob sie auf »Erz, Marmor, Pergament, Papier« geschrieben sind, denn sie sind heilig. Andere Beinamen Gottes, wie der Ewige, der Gütige, der Furchtbare (auf Hebräisch), gehören nicht zu den heiligen Namen und dürfen gelöscht werden. Ebenfalls sind nichthebräische Namen vom Verbot der Tilgung ausgenommen. Diese Position des Rambam wird auch von späterer halachischer Literatur untermauert. Laut Mischna Berura (85,10) und Schach (zu Jore Dea 179,11) dürfen alle nichthebräischen Gottesnamen gelöscht oder verbrannt werden. Somit ist klar, dass auch der auf Deutsch geschriebene Name »Gott« gelöscht werden darf.

Doch Rabbiner Grodzinski ging noch auf einen weiteren Punkt ein. Im Talmud Rosch Haschana 18b lesen wir darüber, dass es den Juden verboten war, den Gottesnamen auszusprechen. Die griechische Regierung erließ darauf die Todesstrafe. Als die Makkabäer die Griechen besiegten, freute sich das Volk über Gottes Hilfe. Als Ausdruck des Gedenkens und Dankes für die Erlösung schrieben Juden den Gottesnamen auf Urkunden und Verträgen. Den Gelehrten aber missfiel dieser Brauch. Sie sagten: Am folgenden Tag bezahlt dieser seine Schuld, und der Schuldschein, auf dem der Gottesname steht, wird auf den Misthaufen geworfen. Ihre Kritik wurde angenommen; das Volk hörte auf mit dem Brauch.

Schande Die hier erwähnten Urkunden mit dem Gottesnamen werden nicht gelöscht, sie werden weggeworfen – das gilt im Judentum als Schande. Ein klassischer Fall von Schande ist auch das Verbot, den Namen Gottes oder Worte der Tora auf der Toilette auszusprechen – in allen Sprachen. Zwar darf der nichthebräische Gottesname gelöscht werden, ihn aber auf den Misthaufen zu werfen, sei Schande und verboten. Hieraus zieht Rabbiner Grodzinski den Schluss, es sei besser, den Namen Gottes abgekürzt zu schreiben – nämlich G’tt.

Warum hat aber »Der Israelit« den Namen dann ausgeschrieben? Rabbiner Grodzinski erklärt sich dies folgendermaßen: Als Rabbiner Marcus Lehmann 1860 anfing, sein Printprodukt herauszugeben, waren Zeitungen unter Juden noch selten. Leser benutzten sie nicht, um sie anschließend wegzuwerfen oder nasse Schuhe zu weiten, sondern sie gingen respektvoll mit ihnen um, wie mit Büchern. Doch auch später hat Lehmann die Schreibweise des Gottesnamens nicht verändert. Rabbiner Grodzinski empfahl in seiner Antwort auf das Schreiben des Zeitungslesers zwei Vorgehensweisen: Entweder solle »Der Israelit« den Namen Gottes abkürzen oder die Leser in jeder Ausgabe darauf aufmerksam machen, die Zeitung mit Respekt zu behandeln.

Der bekannte Gelehrte Rabbiner Joseph Soloveitchik vertritt allerdings eine weniger strikte Auffassung: Gott oder G’tt sei nicht der Name Gottes, sondern eine Umschreibung dafür. Die Wahl eines anderen Wortes wie »der Ewige« würde nichts an dem Problem ändern, weil auch »der Ewige« für den Namen Gottes steht.

Müll Deutlich formuliert: Ob das Wort Gott oder G’tt im Müll landet, macht keinen Unterschied. Aus diesen Gründen hat Rabbiner Soloveitchik konsequent die Schreibweise »God« verwendet. Bei orthodoxen Juden im englischen Sprachraum kommen sowohl God als auch G-d vor, ähnlich ist es bei den Liberalen. In Deutschland wurde zumeist Gott geschrieben. Die Zeitschrift »Jeschurun« des Hildesheimerschen Rabbinerseminars verwendete die Schreibweise »Gott«, ebenso die orthodoxe Zeitschrift »Magazin für die Wissenschaft des Judenthums« von Rabbiner David Hoffmann, dem Rektor des Seminars.

Letztendlich ist es egal, welche Schreibweise man wählt: Mit Schriften, die Toraworte enthalten, sollte man ehrenvoll umgehen. Wie man solche Zeitungen zu entsorgen hat, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Einige Gelehrte glauben, man müsse den Torateil einer jüdischen Zeitung in einer Geniza ablegen.

Andere dagegen meinen, eine Zeitung werde mit der Absicht gedruckt, nur begrenzte Zeit genutzt zu werden. Daher besitze sie nicht den Status eines heiligen Buches. Demnach darf man die Jüdische Allgemeine im Altpapier entsorgen – aber nicht auf dem Misthaufen oder in der Biomülltonne!

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025