Neulich beim Kiddusch

Bier und Bäuche

Alternative zum Gottesdienst: ein Nickerchen in der Sonne Foto: imago

Vor fünf Wochen war ich so etwas wie ein Held. Auf dem Weg zur Synagoge gehe ich immer an zwei Schrebergärten vorbei. Die Männer, die dort gärtnern, sind keine Profis. Der eine versucht jedes Jahr, Kopfsalat zu züchten, der andere unterhält einen Kirschbaum, den die Vögel gern aufsuchen. Aber nie höre ich die Männer fluchen. Es kümmert sie wenig, dass die Würmer und Vögel ihnen alles wegfressen. Schließlich haben sie die Parzelle nicht zur Selbstversorgung gepachtet. Einen beträchtlichen Platz in ihrem Garten nehmen der große Grill und der mobile Kühlschrank mit den vielen Bierdosen ein.

Schnitzel Wenn ich Richtung Synagoge pilgere, sehe ich meine Gärtner, die oft ein Schnitzel mampfen oder Bier trinken. Ich versuche mir dann immer einzureden, dass ich das bessere Los gezogen habe: Ich darf am Schabbes beten gehen und so weiter und so weiter.

Die beiden Männer sitzen auf bequemen Sesseln und strahlen eine Gemütlichkeit aus, dass man ihnen am liebsten eine runterhauen würde. Sie bemühen sich auch nicht, ihre Blöße zu bedecken. Nein, ihre roten Bäuche glitzern an heißen Tagen. Mir ist stets etwas unwohl, an ihnen vorbeizulaufen. Ich grüße knapp und blicke neidisch auf den Grill und die Bierdosen. Manchmal, wenn mir nicht wohl ist, wähle ich einen Umweg, um die beiden Buddhas nicht sehen zu müssen.

Hexenschuss Letzten Monat aber war ich ein Held. Und das ging so: Ich laufe wieder an den Schrebergärten vorbei und sehe nur einen der beiden Buddhas. Er liegt quer im Stuhl und guckt mich komisch an. Ich grüße schnell und denke an den Hinduismus. Buddha aber ruft mir zu: »Können Sie mir helfen?« Ich denke an die Bierdosen und rufe zurück: »Gern! Was kann ich für Sie tun?« – »Ich glaube, ich habe Hexenschuss. Könnten Sie bitte bei meiner Frau an der Tür klingeln?«

Das ist schwierig, ich bin ja Jude. Wir dürfen am Schabbes nicht klingeln! Ich renne trotzdem zum Haus und hämmere wie verrückt an die Tür. Niemand öffnet. Ist ein Hexenschuss lebensgefährlich, darf man also klingeln? Nervös renne ich zum nächsten Haus. Ich schreie und klatsche in die Hände – hört mich jemand? Endlich kommt eine Frau runter. Im Nachthemd. »Was ist denn los?«, fragt sie. Ich stottere. »Da – Mann – Hexenschuss – ich bin Jude.« Doch großes Glück, die (attraktive) Frau ist gelernte Krankenschwester und rennt mit mir zum Schrebergarten.

Dem Mann konnte geholfen werden. Es kam ein Krankenwagen, und alles wurde gut. Zu Hause hatte ich was zu erzählen. Endlich mal eine andere Geschichte als »Zum Kiddusch gab es Lachs und Aubergine«. Meine Frau tätschelte meine Hand und meinte, ich sei ein Held gewesen. Das mit der Krankenschwester im Nachthemd habe ich ihr natürlich nicht erzählt.

Die Geschichte geht aber noch weiter. Letzten Schabbat lief ich wieder an den beiden Schrebergärten vorbei. Der Hexenschuss stand auf, rannte zum Tor und rief seine albanische Großfamilie herbei. Ich musste viele Hände schütteln und wusste nicht, wohin ich blicken sollte. Einer öffnete den Kühlschrank und holte mir ein albanisches Bier. Es hat toll geschmeckt. Ich bin gerne ein Held!

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