Interview

»Zuwanderer gleich behandeln«

Volker Beck Foto: Angelika Kohlmeier

Herr Beck, Altersarmut unter Zuwanderern aus der früheren Sowjetunion ist ein Thema ohne große Resonanz. Warum?
Es ist ein rentenrechtliches Problem der jüdischen Zuwanderer, das weitgehend unbekannt ist, weil es in vergleichbaren Fällen, nämlich bei Spätaussiedlern, nicht auftritt. Es geht nämlich um eine Ungleichbehandlung von einerseits Juden, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion kamen, und andererseits den angeblich deutschstämmigen Spätaussiedlern. Bizarr ist, dass die Bundesregierung auf Wiedergutmachungszahlungen und andere Entschädigungen verweist. Unmittelbar mit der Schoa hat die Forderung nach Gleichbehandlung erst einmal gar nichts zu tun. Ich würde sagen: Thema verfehlt!

Woher kommt die Altersarmut?

Die genannte Ungleichbehandlung ist eine wichtige Ursache. Das sind Menschen, die aus dem gleichen Land zu uns kamen, dort oftmals die gleiche Schule besucht, im gleichen Kombinat gearbeitet haben und überhaupt in der Sowjetunion sehr ähnliche Lebensbedingungen hatten. Doch den einen wird ihre dortige Arbeitsleistung anerkannt, sie erhalten Rente. Die anderen jedoch sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen.

Wie rechtfertigt sich dies?

Da gibt es hanebüchene Begründungen: Mangelndes Bekenntnis zum Deutschtum wurde den Kontingentflüchtlingen etwa bescheinigt. Oder dass sie nur nach Deutschland geholt wurden, um die jüdischen Gemeinden zu stärken – so steht es sogar explizit in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag. Das ist Geschichtsklitterung: Als in der ausgehenden DDR die Diskussionen begannen, ging es auch um eine Antwort auf ansteigenden Antisemitismus in der Sowjetunion. Dass dies jetzt unter den Tisch gekehrt wird, ist sehr merkwürdig. Es stellt sich die Frage: Wie deutsch muss man sein für die Rente? Wenn man keinen rassischen Deutschtumsbegriff zugrunde legt – und das möchte ich in Deutschland niemandem unterstellen –, dann stammen sowohl die Spätaussiedler als auch die sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge ursprünglich aus dem Gebiet des einstigen »Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation«. Die jüdischen Familien sprachen, ehe der Stalinismus es unterdrückte, Jiddisch, also einen mittelhochdeutschen Dialekt. Viele haben auch deutsche Familiennamen. Also ist jede Argumentation, die diesen Menschen ein »Deutschtum« abspricht, womit ihre Schlechterbehandlung dann begründet wird, nicht sachgerecht.

Gehört zu den Ursachen der Altersarmut auch, dass Qualifikationen nicht anerkannt wurden?
Die Bundesrepublik war nicht besonders gut darin, Qualifikationen schnell anzuerkennen, oder, wenn eine Gleichwertigkeit fehlte, diese schnell durch Nachschulungen herzustellen. Das aber betrifft nicht nur die jüdischen Kontingentflüchtlinge, sondern alle Zuwanderer – auch und sehr aktuell die gerade zu uns kommenden Flüchtlinge.

Mit dem Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen sprach Martin Krauß.

Zeitz

Fast 18.000 Euro Spenden nach Diebstahl von Stolpersteinen

Laut Burgenlandkreis kommen fast stündlich neue Spenden hinzu

 11.10.2024

Carlo Masala

»Der Iran hat ein Problem«

Der Professor für Internationale Politik über den zweiten Angriff des Mullah-Regimes auf Israel, was anders war als im April und wie Jerusalem reagieren sollte

von Sophie Albers Ben Chamo  11.10.2024

Berlin

Schulen sollen weiter an den Holocaust erinnern

Schulen müssten sich vertieft mit Antisemitismus auseinandersetzen, sagen die Bildungsminister

 11.10.2024

Auszeichnung

Friedensnobelpreis für die UNRWA?

Das Nobelkomitee gibt die Preisträger des Friedensnobelpreises bekannt

 10.10.2024

Ermittlungen

Islamistischer Tiktok-Star unter Betrugsverdacht

Ein islamistischer Tiktok-Star mit Hunderttausenden Followern ist in Düsseldorf verhaftet worden. Er warb Spenden etwa für notleidende Kinder ein - den Löwenanteil soll er für sich behalten haben

von Frank Christiansen  10.10.2024

Berlin

Solidarität mit Israel: Ja, aber

Bundestagsdebatte zum Jahrestag des terroristischen Überfalls auf den jüdischen Staat. Streit um Waffenlieferungen

von Detlef David Kauschke  10.10.2024

Berlin

Konfrontation statt Kuscheln

AfD und BSW: Wie ähnlich sind sich die beiden Parteien? Eine Live-Debatte zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht beim Sender Welt TV wird hitzig

von Jörg Ratzsch  10.10.2024 Aktualisiert

Hessen

Michel Friedman rechnet mit der AfD ab

»Oskar Schindler würde Sie verachten!«, stellt der Publizist mit Blick auf die rechtsextreme Partei klar

 10.10.2024

7. Oktober

»Hier und überall«

Axel Springer, die israelische Botschaft und der Zentralrat luden zu einem Solidaritätskonzert für die Geiseln

von Imanuel Marcus  10.10.2024