Polen

Zentralrat der Juden lobt Steinmeiers Rede in Warschau

Foto: imago images / epd

Der Zentralrat der Juden hat die Gedenkrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes positiv hervorgehoben.

»Der Bundespräsident hat heute Größe und Empathie bewiesen. Beides ist so wichtig, wenn wir als Deutsche an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern«, betonte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwochabend in Warschau.

»Er hat auf den Mut der jüdischen Widerstandskämpfer und was dieser für jüdisches Leben in der Gegenwart bedeutet hingewiesen. Das war mir wichtig: Von diesem Tag muss das Signal ausgehen, das spezifisch Jüdische in unserer Gesellschaft und Geschichte stärker zu betonen und somit die Selbstverständlichkeit des Judentums in unserer Gesellschaft zu sichern«, so Schuster.

Zum 80. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto hatte Steinmeier um Vergebung für das von Deutschen verübte Menschheitsverbrechen der Judenvernichtung gebeten. Bei der Gedenkveranstaltung in Warschau zusammen mit den Präsidenten Polens und Israels, Andrzej Duda und Isaac Herzog, bekannte er sich am Mittwoch zur deutschen Verantwortung, die keinen Schlussstrich kenne.

Zugleich dankte er Polen und Israel für die Versöhnung, die die Deutschen nicht hätten erwarten dürfen. Diese sei ein »unendlich kostbares Geschenk«, sie müsse bewahrt und in die Zukunft geführt werden.

Die damals ermordeten Juden hätten sich nicht vorstellen können, »dass wir 80 Jahre später hier stehen werden, die Präsidenten Polens, Israels und Deutschlands, ihr Heldentum würdigen und gemeinsam in ihrem heiligen Gedenken schwören werden: Nie wieder«, sagte Herzog.

Als wollten sie dies bekräftigen, stellten sich die drei Präsidenten beim Niederlegen von Kränzen am Denkmal der Helden des Ghettos für einen Moment zusammen und legten die Hände übereinander - eine Geste, die die deutsche Seite vorgeschlagen hatte, wie es hieß.

Steinmeier durfte als erstes deutsches Staatsoberhaupt bei diesem Gedenken eine Rede halten, das mit lautstarkem Sirenengeheul und Glockengeläut begann. Zwischendurch waren auf zwei großen Leinwänden Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Ghetto zu sehen, die den Terror der SS dokumentierten.

Das Warschauer Ghetto war im Herbst 1940 von den deutschen Besatzern errichtet worden. Rund 450.000 Menschen wurden dort auf engstem Raum eingeschlossen. 1942 begannen die Nationalsozialisten mit der Deportation der Juden in Vernichtungs- und Arbeitslager. Zwischen Juli und September wurden 250.000 bis 280.000 Menschen verschleppt oder ermordet. Als am 19. April 1943 SS-Einheiten in das Ghetto einmarschierten, begann der Aufstand des nur schwach bewaffneten jüdischen Widerstandes. Die Kämpfe dauerten bis Mitte Mai. Dabei wurden mehr als 56.000 Juden getötet oder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.

»Ich stehe heute vor Ihnen und bitte um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier begangen haben«, sagte Steinmeier. Deutsche hätten das Menschheitsverbrechen der Shoah minutiös geplant und durchgeführt. »Deutsche haben Europas Jüdinnen und Juden, die Jüdinnen und Juden Warschaus mit unvorstellbarer Grausamkeit und Unmenschlichkeit verfolgt, versklavt, ermordet.«

Die Deutschen wüssten um ihre Verantwortung und um den Auftrag, den die Überlebenden und die Toten ihnen hinterlassen hätten. »Wir nehmen ihn an«, versicherte Steinmeier. »Für uns Deutsche kennt die Verantwortung vor unserer Geschichte keinen Schlussstrich. Sie bleibt uns Mahnung und Auftrag in der Gegenwart und in der Zukunft.«

Polens Präsident Duda würdigte die jüdischen Bewohner des Ghettos, die einen von vornherein aussichtslosen Kampf gegen die weit überlegene SS kämpften, als gemeinsame Helden Israels und Polens. »Sie sind für mich und viele Polen vor allem ein Symbol für Tapferkeit, Entschlossenheit und Mut«, sagte er. Von Anfang an habe festgestanden, dass diese Menschen ermordet werden sollten, die Deutschen wollten sie »einfach auslöschen aus dieser Welt«.

»Die meisten haben nicht überlebt, aber der menschliche Geist hat hier gewonnen«, sagte Israels Präsident Herzog. Mit Blick auf die jüdischen Kämpfer versicherte er: »Wir bewahren sie in unseren Köpfen, in unseren Herzen, für immer, für alle Ewigkeit.«

Die wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte laute »Nie wieder!«, betonte Steinmeier. Das bedeute auch, dass es in Europa keinen verbrecherischen Angriffskrieg wie den Russlands gegen die Ukraine geben dürfe. »Nie wieder, das bedeutet: Wir stehen fest an der Seite der Ukraine - gemeinsam mit Polen und mit unseren anderen Bündnispartnern.«

Für den Holocaust-Überlebenden Marian Turski bedeutet dieses »Nie wieder!« auch, heute entschieden Nein gegen Antisemitismus und Rassismus zu sagen. »Menschen, seid nicht gleichgültig gegenüber dem Bösen! Menschen, seid wachsam«, lautete seine eindringliche Mahnung. ja/dpa

Judenhass

Berlin-Kreuzberg: Antisemitische Parolen in Schule - Lehrerin angespuckt

Die Hintergründe

 04.11.2025

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  04.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Innere Sicherheit

Dschihadistisch motivierter Anschlag geplant: Spezialeinsatzkommando nimmt Syrer in Berlin-Neukölln fest 

Nach Informationen der »Bild« soll der Mann ein Ziel in Berlin im Blick gehabt haben

 02.11.2025 Aktualisiert

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  02.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Ich kann euch nicht hören

Während im Sudan die schwerste humanitäre Krise der Welt tobt, schweigen die selbst ernannten Menschenrechts-Demonstranten in Europa und auf der Welt

von Sophie Albers Ben Chamo  02.11.2025