Herr Rabbiner, Sie sind jüngst in Bad Homburg Opfer eines antisemitischen Angriffs geworden. Was genau ist passiert?
Ich wollte mit meinen Kindern in ein Geschäft gehen, als ein junger Mann begann, mich anzuschreien: »Free Palestine!«, rief er. Ich fragte ihn: »Warum schreist du mich an? Was habe ich dir getan? Was hat das mit mir zu tun?« Dann sah er, dass ich ein Handy in meiner Hand hielt. Er hat wohl vermutet, dass ich ihn fotografieren würde. Er riss es mir aus der Hand und warf es weg. Dann fing er an, mich zu stoßen, ein paar Meter weit, und dann ist er weggelaufen.
Wie ging es dann weiter?
Ich rief die Jüdische Gemeinde an und teilte ihr den Zwischenfall mit. Mir wurde geraten, unbedingt Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Zuerst wollte ich aber noch meine kleinen Kinder nach Hause bringen. Ich wollte die Polizei nicht vor dem Geschäft rufen, damit meine Kinder kein Trauma bekommen. Sie sind genug traumatisiert von diesem Vorfall.
Gab es bereits frühere Angriffe oder Beleidigungen gegen Sie oder andere Juden in Bad Homburg?
Ja. Aber das war der erste Angriff mit physischer Gewalt gegen mich. Bisher wurde »nur« geschimpft oder geschrien, »Free Palestine« etwa.
Hat Ihrer Wahrnehmung nach der Antisemitismus in der Region seit dem 7. Oktober zugenommen?
Absolut. Vor allem in den letzten drei Monaten wurde es noch schlimmer. So wie in ganz Deutschland. Dabei ist Bad Homburg eigentlich eine sehr friedliche und bürgerliche Stadt. Aber selbst hier kommen regelmäßig Beschimpfungen, wenn man äußerlich als Jude erkennbar ist.
Werden Sie, wie manch andere Rabbiner in Deutschland, künftig eine Basecap tragen, weil es traurigerweise nicht mehr möglich ist, mit Kippa auf die Straße zu gehen?
Niemals! Nein, das werde ich nicht.
Wie hat die Stadtgesellschaft auf den Angriff reagiert?
Die Unterstützung, die wir seitens der Stadt bekommen haben, war sehr groß. Die Dezernenten des Hochtaunuskreises und die Bürgermeister der 13 Kommunen haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen Antisemitismus gewandt. Auf Initiative des Oberbürgermeisters (CDU) zogen sie nach der Verlesung auf den Marktplatz mit Kippot auf dem Kopf durch die Innenstadt zum Rathaus. Das ist für uns ein sehr wichtiges Zeichen. Ich bin der Stadt und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt sehr dankbar, die über das ganze Jahr die Sicherheitsmaßnahmen für uns übernehmen. Wir hoffen auf gute Zeiten und Frieden, und wir wollen einfach nur gut miteinander auskommen.
Mit dem Rabbiner sprach Helmut Kuhn.