München

»Unsere jüdische Bavaria«

Gesäumt von bayerischer und bundesdeutscher Politikprominenz betrat die »Grande Dame« Charlotte Knobloch (92) die vollbesetzte Ohel-Jakob-Synagoge. Die Münchner Ehrenbürgerin musste viele Hände schütteln und Glückwünsche entgegennehmen, bis sie schließlich Platz nehmen konnte. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, deren Präsidentin Knobloch ist, hatte am Dienstagabend zum Festakt geladen.

Gefeiert wurden zwei Jahrestage: die Wiedergründung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern vor 80 Jahren und der Beginn der Präsidentschaft von Charlotte Knobloch vor 40 Jahren.

Lesen Sie auch

In den meisten Grußworten wurden angesichts des wachsenden Antisemitismus die Sätze »Nie Wieder!« und »Wehret den Anfängen« sowie die Solidarität mit jüdischen Menschen betont. Das veranlasste den Publizisten Michel Friedman, der seit Jahrzehnten mit Charlotte Knobloch eng befreundet ist, in seiner Festrede zum Ende des dreistündigen Festaktes zu einer bitteren Feststellung: »Ich kann es nicht mehr hören.« Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 fingen die Reden von Politikern »wirklich immer mit denselben Sätzen« an. Geändert hat sich seiner Auffassung aber seit Ende des NS-Regimes vor 80 Jahren aber wenig.

»Aber kommen Sie doch bitte nicht erst, wenn es ernst geworden ist.«

Michel Friedman

Er wolle zwar keinem Politiker absprechen, dass er diese Sätze ernst meine, sagte Friedman. »Aber kommen Sie doch bitte nicht erst, wenn es ernst geworden ist.« Es gebe »Anschläge ohne Ende, rechtsextremen Terror«, sagte Friedman. 80 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes müssten jüdische Menschen immer noch von der Polizei bewacht werden. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bemühte in seinem Grußwort ebenfalls den »Nie Wieder!«-Ausspruch, betonte aber, dass dieser keine Sonntagsrede sein dürfe.

Zugleich würdigte er die Kraft der jüdischen Menschen, dass sie nach einem solchen Leid - in »Abwesenheit Gottes« - wieder neu anfingen und die Kultusgemeinde aufbauten. Friedman betonte dagegen, dass Gott während des Massenmords an Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten sehr wohl anwesend gewesen sei - sonst wäre er nicht allmächtig. Die Metapher dürfe nicht als Entlastung missbraucht werden, mahnte er.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sagte, es sei das Verdienst von Charlotte Knobloch und »all derer, die vor 80 Jahren den Mut hatten, einen Neuanfang zu wagen«, dass es in München heute eine lebendige jüdische Gemeinde gebe. Mit Blick auf offenen Antisemitismus in Deutschland kritisierte sie die lange Untätigkeit von Politik und Gesellschaft. Zu lange habe man zu Antisemitismus im Gewand vermeintlicher Israelkritik geschwiegen. »Wir haben ‚Wehret den Anfängen‘ vergessen«, beklagte sie.

Lichtgestalt, Mut-Macherin und als »unsere jüdische Bavaria«

Als Lichtgestalt, Mut-Macherin und als »unsere jüdische Bavaria« bezeichnete Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) die IKG-Präsidentin. Seit 40 Jahren stehe Knobloch der jüdischen Gemeinde vor, »und auch unserem Land haben Sie eine Richtung gegeben«, sagte Aigner. Zugleich betonte sie, dass im Kampf um Freiheit und Demokratie jede Form von Judenhass in Deutschland »geächtet und bekämpft« werden müsse: »Denn wo jüdische Menschen nicht angstfrei leben können, da kann niemand gut leben.«

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte »die übermenschliche Kraft« der Männer und Frauen, die 1945 »mit kaum mehr als einem Lichtschimmer am Horizont« eine neue Gemeinde begründet hatten. Dass jüdische Menschen ihren Glauben in Deutschland leben könnten, sei oberstes Ziel des Zentralrats: »Wir gehen hier nicht weg, denn wir gehören hierhin«, betonte Schuster.

»Wir gehen hier nicht weg, denn wir gehören hierhin«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Charlotte Knobloch sagte in ihrer Begrüßung, dass niemand bei der Wiedergründung der Kultusgemeinde am 15. Juli 1945 daran geglaubt hätte, dass sie 80 Jahre Bestand haben würde. In München, der »Hauptstadt der Bewegung«, seien Jüdinnen und Juden in den Tod getrieben und die Kultusgemeinde sei ausgelöscht worden. Es erfülle sie daher mit Stolz und Dankbarkeit, den Jahrestag mit so vielen prominenten Gästen aus Politik und Gesellschaft zu feiern.

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern wurde am 15. Juli 1945 von Holocaust-Überlebenden wie Julius Spanier und Fritz Neuland, dem Vater von Charlotte Knobloch, wieder gegründet. Heute ist sie mit rund 9300 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Deutschland.

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025

Kairo

Ägypten: Angeblich Pläne für USA-Reise von Präsident al-Sisi

Seit Beginn des Gaza-Kriegs sollen Israels Premier und Ägyptens Staatschef keinen Kontakt gehabt haben. Wird sich al-Sisi mit Hilfe eines Gas-Deals zu einem Treffen in den USA bewegen lassen?

 18.12.2025

Bildungsministerkonferenz

Publizist Friedman: Leben jüdischer Kinder schlecht wie nie seit 1945

Schulen als Bildungsorte für Demokratie und Menschenrechte, gegen Hass und Antisemitismus: Der Publizist Michel Friedman sieht hier große Defizite in Deutschland

 18.12.2025

Australien

Polizei in Sydney stoppt Verdächtige – Pläne vereitelt?

Nur wenige Tage nach den tödlichen Schüssen an Sydneys weltberühmten Bondi Beach gibt es einen Einsatz von Anti-Terror-Einheiten. Die Verdächtigen sollen auf dem Weg zum Strand gewesen sein

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Thüringen

Klage der rechtsextremen AfD gegen Verfassungsschutzchef teils erfolgreich

In einem Punkt wurde den Klägern recht gegeben, in zwei anderen nicht. Es geht um Äußerungen von Stephan Kramer in einem Medienbericht

 18.12.2025

Verbundenheit

Chanukka und Advent: Licht gegen den Hass

Im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland versichert die Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehr der jüdischen Gemeinschaft ihren Beistand und ihre Solidarität

von Bischöfin Kirsten Fehrs  18.12.2025

Landgericht Berlin

Gericht: »From the River to the Sea« ist Aufruf zur Judenvernichtung

Die 2. Große Strafkammer des LG Berlin I hat einen Mann wegen der Verwendung der Parole zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun muss wohl der Bundesgerichtshof ein abschließendes Urteil fällen

 18.12.2025

Tschechien

Prag plant Botschaftsverlegung nach Jerusalem

Der neue Prager Außenminister Petr Macinka sagt, der Schritt sei überfällig

 18.12.2025