Berlin

Neuer Name für Pacelliallee gefordert

Pius XII. (bürgerlicher Name: Eugenio Pacelli) war von 1939 bis zu seinem Tod 1958 Papst. Foto: imago

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert die Umbenennung der Pacelliallee im Berliner Stadtteil Dahlem. Pacelli war der bürgerliche Name von Papst Pius XII., der von 1939–1958 amtierte.

»Die Debatte rückt die umstrittene Rolle in den Fokus, die Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkrieges einnahm. Er schwieg zum Holocaust und zum Mord an den Sinti und Roma, von denen viele dem katholischen Glauben angehörten, oder protestierte zumindest nicht vernehmlich«, sagte Klein der Zeitung »Welt«. Der spätere Kardinalstaatssekretär und Papst Pius XII. war während der Weimarer Republik von 1920 bis 1929 Vatikan-Botschafter in Berlin.

Eine Diskussion über Straßen mit belasteten Namen fördere immer auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte. »Die Diskussion über die Umbenennung bietet Gelegenheit, über das Verhalten der katholischen Kirche im Zweiten Weltkrieg und die Aufarbeitung nach 1945 eine breitere Debatte zu führen«, so Klein weiter. Über einen möglichen neuen Namen äußerte sich Klein nicht.

HISTORIKER-INITIATIVE Laut der Zeitung setzt sich eine Initiative der Historiker Julien Reitzenstein und Ralf Balke dafür ein, die Pacelliallee nach der früheren israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir umzubenennen. Reitzenstein und Balke werfen Eugenio Pacelli, wie Pius bürgerlich hieß, vor, er habe die Deportation von Juden in Italien unkommentiert geschehen lassen.

Der Vorwurf: Eugenio Pacelli, wie Pius bürgerlich hieß, habe die Deportation von Juden in Italien unkommentiert geschehen lassen.

»Weder gab es Proteste, noch hatte er Bischöfe oder Priester dazu aufgefordert, Juden zu helfen«, heißt es laut dem Bericht auf einer Homepage zur Initiative. »Golda Meir hat es als Flüchtlingskind aus einfachen Verhältnissen stammend, als Linke und als Gewerkschafterin an die Spitze einer Regierung geschafft«, sagte Reitzenstein. »Ihre soziale Aufstiegsgeschichte ist ein Gegenentwurf zum Antisemiten und absolutistischen Herrscher Pacelli, dessen Familie vom faschistischen Diktator Mussolini in den erblichen Fürstenstand erhoben wurde.«

KONTROVERSE Seit Jahrzehnten gibt es eine Kontroverse um die Rolle Pius XII. im Zweiten Weltkrieg. Den Vorwürfen, dieser habe nicht energisch genug gegen den Holocaust protestiert, stehen dabei Hinweise auf aktive Hilfsmaßnahmen des Papstes gegenüber.

»Man kann selbstverständlich die Diskussion mit unzähligen Details aufladen, fragen, ob und wie viele Juden durch Pius XII. gerettet wurden und wie viele nicht, ob das NS-Regime 2000 oder 2500 polnische katholische Priester ermorden ließ, ohne dass die Vatikandiplomatie weltweit aktiv wurde und so vieles mehr«, sagte Julien Reitzenstein der Jüdischen Allgemeinen. Aber das ändere nichts an der entscheidenden Tatsache: »Wer würde heute eine neue Straße nach jemandem benennen, der auch nur einmal durch frauenverachtende Sprüche oder Antisemitismus aufgefallen ist? Bei Pacelli ziehen sich diese Haltungen über Jahrzehnte hin.«

Die Initiative stößt bereits jetzt auf ein überwiegend positives Echo.

Im März dieses Jahrse gab der Vatikan die Aktenbestände aus dem Pontifikat des Pacelli-Papstes für die historische Forschung frei. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster, der mit einem Team in Rom vor Ort war, hatte schon vorher gefordert, das Seligsprechungsverfahren für Pius XII. zu stoppen.

Auch Zentralratspräsident Josef Schuster hatte bei einer Podiumsdiskussion im Februar 2020 zum Thema in Frankfurt gesagt, mit den heutigen Erkenntnissen sehe er das Verfahren von jüdischer Seite kritisch.

SYMBOLCHARAKTER Auch bei anderen Organisationen stößt Reitzensteins Initiative auf ein positives Echo. »Ich begrüße diese Initiative, und eine Golda-Meir-Straße würde Berlin natürlich sehr gut zu Gesicht stehen. Grundsätzlich hoffen wir darauf, dass in die Umbenennungsgründe im Berliner Straßengesetz nun auch Antisemitismus aufgenommen wird, nachdem Kolonialismus dort bereits als Grund Erwähnung findet, denn es gibt in Berlin noch eine ganze Zahl weiterer sehr problematischer Bennungen von Straßen und Plätzen«, sagte Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee (AJC).

Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, sieht in der Debatte eine Chance. »Straßennamen haben nicht nur eine konkrete Bedeutung, sondern einen hohen Symbolcharakter, historisch wie aktuell: Insofern würde eine Debatte über die Pacelliallee die dringend notwendige Debatte über die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus und über christlichen Antisemitismus endlich wieder aufgreifen.«

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Uwe Becker, hingegen warnt vor Aktionismus. Er empfiehlt – auch für den konkreten Fall – die tiefergehende Debatte über die Maßstäbe der Aberkennung derartiger Würdigungen.

PASSIVITÄT »Hätte Papst Pius XII in seinem Amt mehr tun können, als er getan hat? Ja, dies hätte er aus meiner Sicht auch tun müssen. Heute würde ich keine Straße mehr nach ihm benennen, ob eine Aberkennung und damit ein besonderer moralischer Schuldspruch im Verhältnis zu anderen Namenspatronen angemessen ist, sollte Aufgabe einer intensiveren Debatte sein«, sagte Uwe Becker der Jüdischen Allgemeinen.

Bewerte man nämlich das fehlende Engagement von Papst Pius als so schwerwiegend, würde dies »noch weitergehende Fragen über die Passivität auch an anderen Stellen« aufwerfen. »Denn das Wissen über die schreckliche Mordmaschinerie der Nationalsozialisten war nicht nur im Vatikan deutlich klarer ausgeprägt«, so Becker. kna/ja

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