Jubiläum

»Trend zur Belehrung«

»Mangel an Empathie«: Blick in den Bundestag während der »parlamentarischen Geburtstagsfeier« Foto: IMAGO/Achille Abboud

Nur wenigen Ländern wird zum Jahrestag ihrer Staatsgründung die Ehre einer Aussprache im Deutschen Bundestag zuteil. Israel, das jüngst den 75. Jahrestag seiner Staatsgründung beging, gehört nun zu den Auserwählten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Israels Botschafter Ron Prosor waren vergangene Woche Freitag ins Reichstagsgebäude gekommen, um die Debatte zu verfolgen. Zu Steinmeiers Rechten hatte Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Platz genommen, und auch Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, saß auf der Ehrentribüne des Hohen Hauses.

In Israel lagen die 75-Jahr-Feiern da bereits mehr als zwei Wochen zurück. Nach dem jüdischen Kalender wurde der Nationalfeiertag in diesem Jahr nämlich bereits Ende April begangen. Übrigens fast ohne Beteiligung deutscher Politiker: Nur Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke war auf Einladung von Staatspräsident Isaac Herzog nach Israel geflogen.

NÜCHTERN Von einer »parlamentarischen Geburtstagsfeier« sprach Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Die geriet dann aber zu einem eher nüchternen Event. Zwar flochten alle Redner Israel Girlanden, lobten die Resilienz des Staates und seinen Erfindergeist. Viele sparten aber auch nicht mit Kritik: an der Netanjahu-Regierung und ihrer Justizreform, an der Besatzung und am »völkerrechtswidrigen Siedlungsbau« im Westjordanland.

Roth, der als letzter Abgeordneter ans Pult trat, war die Ausnahme. Der SPD-Politiker arbeitete sich nicht an den Stärken und Schwächen Israels ab, sondern legte den Fokus auf Deutschland. Er diagnostizierte einen »Mangel an Empathie« gegenüber Israel und einen »Trend zur Belehrung«, der weit verbreitet sei. So folge dem Merkelschen Diktum von Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson immer öfter ein »Aber«, welches lauter und aggressiver denn je vorgetragen werde.

»Es wird in Deutschland irrigerweise behauptet, es gebe gegenüber Israel Denk- und Sprechverbote. Das komplette Gegenteil ist der Fall. Wir streiten mit Israel, ringen um die richtigen Antworten«, sagte Roth. Es gebe aber immer mehr Ablehnung Israels: »So viel Hass, so viel Wut, so viel Beleidigung gegenüber Israel, gegenüber Jüdinnen und Juden, habe ich in meinen 25 Jahren Parlamentszugehörigkeit noch nie erlebt.«

Eine wohltuende Ausnahme war die Rede von SPD-Außenpolitiker Michael Roth.

Zuvor hatte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz vom »Glück der deutsch-israelischen Freundschaft« gesprochen und angemahnt, gegen jede Form von Antisemitismus vorzugehen, egal, ob sie von der politischen Linken, von muslimischen Zuwanderern oder »im Gewande der Kunst« komme.

Er blicke »gleichwohl mit einiger Sorge auf die israelische Innenpolitik«, fügte Merz mit Verweis auf die umstrittene Justizreform an. Sein Eindruck sei aber: »Dieses Ringen in Israel um die eigene Identität, um die staatlichen Institutionen, das ist keine Schwäche des Systems, sondern ist Ausdruck der Stärke der israelischen Demokratie.«

AFD Der Fraktionschef der FDP, Christian Dürr, handelte sich von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch den Vorwurf ein, aus den hehren Worten folge keine Regierungspolitik, zumindest nicht, wenn es um die Verurteilungen Israels bei den Vereinten Nationen gehe. Von Storch zitierte einen FDP-Antrag aus der vergangenen Legislaturperiode, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, ihr Agieren bei der UN zu ändern. Der sei aber von einer Mehrheit des Hauses abgelehnt worden.

Dürr ging nicht näher auf die Vorhaltungen ein, warf aber der AfD vor, die Aussprache zu Israel für »Propaganda« zu missbrauchen. Israel sei der AfD in Wahrheit gar nicht so wichtig, denn die Partei von Storchs stehe ebenso wie der Iran, der Israel vernichten wolle, an der Seite Russlands, sagte Dürr.

Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin warnte davor, die Verbrechen des Kolonialismus oder »die Nakba gegen den Holocaust« aufzurechnen. Er sagte aber, Israel sei auch vor der Staatsgründung keine Wüste gewesen, denn dort hätten bereits Menschen gelebt. Deutschland trage aus historischen Gründen eine doppelte Verantwortung für den Frieden in Nahost.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, für seine Partei sei klar: »Durch Auschwitz ist Israel zu einer Notwendigkeit geworden. Wer das Existenzrecht Israels infrage stellt, rüttelt am Lebensrecht der Juden.« Auch Bartsch stellte sich offen an die Seite der Kritiker der Justizreform Netanjahus: Die Linke stehe an der Seite jener, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gingen, sagte er.

Gazakrieg

»Wir bringen erneut unsere Empörung zum Ausdruck«

Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben Israel vorgeworfen, die Hilfslieferungen für Gaza politisch auszuschlachten

 23.04.2025

80 Jahre nach der Befreiung

Streit um Gedenken in Bergen-Belsen

Die Kinder von Überlebenden werfen den Veranstaltern vor, sie zu boykottieren

 23.04.2025

New York/Tel Aviv

Weltweiter Judenhass erreicht weiterhin alarmierendes Ausmaß

In den USA erreicht die Zahl der durch Antisemitismus motivierten Vorfälle neue Rekordwerte

 23.04.2025

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025

Sandbostel

Stumme Zeugen des Grauens - Archäologen fördern verborgene NS-Geschichte zutage

Regalweise stehen im Magazin der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen NS-Kriegsgefangenenlagers Sandbostel ausgegrabene Fundstücke. Es sind Dinge, die vom Leben und Überleben im Lager erzählen. Und auch vom Sterben

von Dieter Sell  23.04.2025

Berlin

Gewaltbereite Israelfeinde planen Aufzug am 1. Mai

Die Behörden sehen viel Gewaltpotential. Sie wollen Tausende Polizeibeamte einsetzen

von Imanuel Marcus  23.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  23.04.2025

Reaktionen

Freund und Bruder Franziskus – Juden verabschieden sich vom Papst

Mit Wärme und Respekt würdigen Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und weltweit den Papst. Nicht immer war das Verhältnis von katholischer Kirche und Judentum aber einfach, etwa nach dem 7. Oktober 2023

von Leticia Witte  23.04.2025

Uni-Besetzungen

Felix Klein fordert Antisemitismusbeauftragten für Berliner Hochschulen

Nachdem israelfeindliche Aktivisten einen Hörsaal der Humboldt-Universität verwüstet hatten, macht der Antisemitismusbeauftragte Druck beim Senat

 23.04.2025