Antisemitismus

Tatort Schulhof

Ort zum Ausruhen, Rumtoben und Ort übelster Beleidigungen: der Schulhof Foto: dpa

Morgens um halb zehn irgendwo auf einem Schulhof in Deutschland. Das Pausenklingeln ertönt, und lärmend stürmen die Schüler ins Freie. Zwei Unterrichtsstunden liegen hinter ihnen, nun wollen sie abschalten, spielen und rumtoben. Und wie so oft kommt es dabei zu kleineren Rangeleien. Dass dann Beleidigungen fallen, ist eigentlich nichts Besonderes, dass aber »Du Jude!«, »Du jüdisches Opfer!« oder »Du schwuler Jude!« unter Schülern vielerorts zu den populärsten Beschimpfungen gehören, irritiert. Dabei sind die so Angesprochenen im Regelfall keine Juden, was die Sache nicht unbedingt besser macht.

Neu ist dieses Phänomen nicht, seit über zehn Jahren schon berichten Lehrer, Schüler und Experten vom exzessiven Gebrauch antisemitischer Verbalinjurien. Nicht immer nur gehen sie von den üblichen Verdächtigen aus, den Teenagern mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund, und es sind nicht nur die Schulen in klassischen Problembezirken wie Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln. Das zeigt das Beispiel der jüdischen Zwillinge, die über lange Zeit hinweg auf einem Münchner Wirtschaftsgymnasium als »Saujuden« und mit »Juden ins Gas« gemobbt wurden, bis der Fall vergangenes Jahr endlich publik wurde.

provinz »Das Wort Jude ist längst zum Standard der Beleidigungen geworden«, ist Lisa Scheremet überzeugt. »Doch das ist noch steigerungsfähig: ›Wenn ich einen Juden sehe, schlage ich ihn tot‹ habe ich auch schon gehört«, berichtet die Lehrerin an einer Hauptschule in der niedersächsischen Provinz, die früher selbst einmal sechs Jahre lang in Berlin in einer Brennpunktschule unterrichtet hatte.

Sie selbst geht mit ihrem Jüdischsein ganz offensiv um, Schüler und Kollegen wissen Bescheid. »Ich verstecke mich nicht.« Das hat natürlich die üblichen Diskussionen über den Nahostkonflikt zu Folge, bei denen Scheremet die Nerven behalten muss, wenn das Einmaleins der antisemitischen Klischees und Verschwörungstheorien zum Besten gegeben wird. »Da werden Fragen gestellt, ob McDonald’s wirklich den Juden gehört und Kinder, die des Lesens und Schreibens kaum mächtig sind, erzählen mir von ihrem Hass gegen Angela Merkel, weil diese Waffen an Israel liefern würde.«

beschimpfungen Selbstverständlich verschwinden die Beschimpfungen deswegen noch lange nicht. »Wohl aber fangen einige an, Fragen nach meinem Judentum zu stellen.« Und das löst bei manchem ein Umdenken aus. »Auf Facebook wurde ich von einem Ex-Schüler als ›Judennutte‹ beschimpft«, erzählt sie. »Das haben mir wiederum andere Schüler sofort gemeldet und sich ganz klar gegen diese Beleidigung positioniert, darunter waren auch viele Muslime.«

»›Jude‹ als Schimpfwort ist in der Tat nichts Neues«, weiß auch Anne Goldenbogen von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus zu berichten. Dabei finden sich in den wenigsten Klassen Juden, und kaum einer hat je einen persönlich zu Gesicht bekommen. »Richtig problematisch kann es aber werden, wenn sich die Übergriffe ganz konkret gegen jüdische Mitschüler richten«, so Goldenbogen. »Oftmals werden die Betroffenen und ihre Eltern dann mit ihren Beschwerden allein gelassen.« Sie erfahren wenig konkrete Unterstützung. »Oder es wird ihnen sogar angeraten, die Schule zu wechseln«, betont die Expertin. »Man möchte sich mit dem Thema ungern auseinandersetzen, und der Aufwand, für den Schutz jüdischer Schüler zu sorgen, erscheint vielen einfach als zu groß.«

vermeidung Nicht selten sind die Lehrer schlichtweg überfordert und unsicher, verfolgen entweder eine Art Vermeidungsstrategie und wollen das Problem nicht ansprechen. Oder aber sie reagieren mit endlosen Moralappellen. Selbstverständlich lehnen alle Lehrer die antisemitischen Hetztiraden ab. Manche aber äußern mit Hinweis auf den Nahostkonflikt und die Herkunft derjenigen, von denen ein wesentlicher Teil der Übergriffe ausgeht, offenes Verständnis. »Dabei ist der Antisemitismus auf deutschen Schulhöfen alles andere als ein Problem, das nur von Migranten ausgeht«, betont Goldenbogen. »In der deutschen Mehrheitsgesellschaft sind zahlreiche Ressentiments weiterhin tief verwurzelt«, glaubt sie. Das Wort »Jude« ist immer noch stigmatisiert, was daran zu erkennen ist, dass viele Deutsche Schwierigkeiten haben, es überhaupt über die Lippen zu bringen.

Symptomatisch für den Umgang mit dem Antisemitismus auf deutschen Schulhöfen ist die Tatsache, dass viele Vorfälle gar nicht erst ans Tageslicht kommen. »Natürlich haben wir Zahlen«, gesteht Beate Stoffers, Pressesprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, ein. »Aber die dürften kaum aussagekräftig sein. Denn alles, was Schulen vor Ort leisten können, ist nicht meldepflichtig.« Eine solche Haltung klingt wenig beruhigend für manche jüdische Eltern. Denn nicht in jeder Stadt existieren jüdische Schulen, auf die man die Kinder gegebenenfalls schicken kann.

gedenkstätten »Wir beobachten verstärkt, dass sie sich darüber Sorgen machen, was mit ihnen an einer weiterführenden Schule passieren könnte«, berichtet Daphna Schächter, Leiterin der Yitzhak-Rabin-Schule in Düsseldorf. Sie plädiert für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Judenfeindschaft, die auch den Besuch von Gedenkstätten und ehemaligen Konzentrationslagern mit einschließt. Hauptschullehrerin Scheremet hat damit die allerbesten Erfahrungen gemacht. »Bei uns im Ort steht ein kleines Haus, das früher einmal eine Synagoge beherbergte.« Dorthin ist sie mit ihren Schülern gegangen, hat von der Geschichte erzählt. »Alle waren voll bei der Sache und reagierten überraschend positiv.« Scheremet beklagt den Mangel an finanziellen Mitteln, die eine Beschäftigung mit der Schoa außerhalb des Klassenzimmers überhaupt erst möglich machen.

Auch Anne Goldenbogen sieht darin einen wertvollen pädagogischen Ansatz und warnt davor, die Empathiefähigkeit von Schülern, die man gemeinhin als »bildungsfern« abstempelt, zu unterschätzen. Aussagen wie die des CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Steiner, der vor allem muslimischen Jugendlichen mangelnde kognitive Fähigkeiten unterstellt und sie deshalb für den in Bayern diskutierten Pflichtbesuch von Schülern in KZ-Gedenkstätten ausnehmen will, hält Goldbogen für hochgradig problematisch.

muslime Doch irgendwie hapert es mit der Bereitschaft. So bestätigte kürzlich Diana Dressel, Leiterin der Ausbildungsabteilung des Jüdischen Museum in Berlin, dass entsprechende Angebote zur Lehrerfortbildung kaum wahrgenommen werden. Oder aber manche Schulklassen erscheinen gar nicht erst, weil ein Großteil der Schüler mit arabischem und türkischem Hintergrund den Besuch bereits im Vorfeld boykottiert.

Den Umgang mit dem Antisemitismus an Schulen kritisieren viele Experten. So werde das Thema vor allem mit Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus unterrichtet, wodurch der Eindruck entsteht, das sei ein Phänomen gewesen, das 1933 quasi aus dem Nichts kam und 1945 wieder von der Bildfläche verschwand.

Letztendlich fallen die Islamverbände durch eine konsequente Verweigerungshaltung auf. Als vor wenigen Wochen in Stuttgart Vertreter der christlichen Kirchen, der Israelitischen Religionsgemeinschaft, des Zentrums für Islamische Theologie und der Alevitischen Gemeinde eine Erklärung für ein friedvolles Miteinander an Schulen unterzeichneten, blieben DITIB & Co. demonstrativ fern. Nicht zum ersten Mal, wenn es um das Thema Muslime und Antisemitismus geht.

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