Interview

Wie Katar die Idee einer liberalen Bildung zerstören will

Charles Asher Small über israelfeindliche Proteste an US-Universitäten, die Rolle der Muslimbruderschaft und die Folgen für die jüdische Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  27.05.2024 15:15 Uhr

Charles Asher Small Foto: Yossi Zeliger

Charles Asher Small über israelfeindliche Proteste an US-Universitäten, die Rolle der Muslimbruderschaft und die Folgen für die jüdische Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  27.05.2024 15:15 Uhr

Herr Small, der ehemalige israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, hat in einem Zeitungsinterview die Ansicht geäußert, dass die anti-israelischen Proteste an amerikanischen Universitäten von außen gesteuert und finanziert werden. Sehen Sie das auch so?
Ja, absolut. Wir müssen die aktuelle Krise in einen Kontext stellen: Seit Anfang der 2000er-Jahre hat das Regime in Katar amerikanische und andere westliche Universitäten massiv mit mehreren Milliarden Dollar finanziert. Und wir sehen, dass sich der Diskurs an den Universitäten verschoben hat. Ich glaube, dass der intellektuelle Diskurs tatsächlich die Lager und die Proteste beeinflusst. Und wir wissen, dass Intellektuelle wie Edward Said, Rashid Khalidi, Judith Butler und Michel Foucault in den letzten 40 Jahren den israelischen Staat ein Stück weit dekonstruiert haben.

Wie beurteilen Sie das?
Es ist rassistisch. Er kommt aus dem Ausland. Und wenn wir einen Schritt zurückgehen, vor allem im deutschen Kontext, wissen wir, dass das jüdische Volk Anfang des 20. Jahrhunderts von Intellektuellen dämonisiert und als nicht-weiß definiert wurde, als ein Volk, das die Reinheit der weißen arischen Rasse vergiftet. Das jüdische Volk wurde systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen und vernichtet. Und weniger als zwei Generationen später definieren jene Intellektuellen, die in unserem heutigen Diskurs eine Art moralische Autorität besitzen, das jüdische Volk als weiß. Juden werden als weiß definiert und als Verkörperung all dessen, was böse ist, einschließlich weißer Vorherrschaft, Kolonialismus, Imperialismus, Besatzung, Apartheid und in jüngster Zeit Genozid. Und das kommt von den Universitäten und wird, wie wir wissen, direkt von Institutionen finanziert, die mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehen.

Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass es solche Einflussnahmen auch auf Universitäten in Deutschland gibt?
Wir haben keine Untersuchungen in diesem Zusammenhang durchgeführt. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass es Gelder gibt, die aus diesen Quellen auch nach Deutschland fließen. Und natürlich kennt der intellektuelle Diskurs keine Grenzen. Was an den Universitäten an der Sorbonne oder in Oxford, Cambridge oder der Ivy League passiert, wird sicherlich den deutschen Diskurs zu vielen Themen beeinflussen und umgekehrt.

Ihr Projekt »Follow the Money«, das Finanzströme untersucht, startete bereits 2012. Die Ergebnisse haben Sie 2019 veröffentlicht. Was ist seitdem passiert?
Wir haben die Ergebnisse damals in Washington präsentiert, vor den Chefs des FBI und der Homeland Security, vor dem Generalbundesanwalt und führenden Vertretern verschiedener Ministerien. Es waren 100 hochrangige Beamte aus Washington anwesend. Und damals sprachen wir nur von drei Milliarden Dollar, die Katar und die Muslimbruderschaft an amerikanische Universitäten gezahlt hatten. Nach unserer Präsentation leitete die Regierung eine Untersuchung ein, die innerhalb kürzester Zeit rund 18 Milliarden Dollar an nicht dokumentierten Geldern aufdeckte. Als die Biden-Administration an die Macht kam, wurde die Untersuchung eingestellt. Jetzt sind wir sicher, dass wir weitere Milliarden Dollar gefunden haben, mit denen unter anderem allein an der Texas A&M University 502 Forschungsprojekte finanziert werden, 58 davon mit militärischem Nutzen. Wir fordern die Regierung auf, für Transparenz zu sorgen und zu untersuchen, was an der Texas A&M University und anderswo passiert ist. Wir benötigen Transparenz und Kontrolle.

Sie sagen, die Gelder kämen vor allem aus Katar. Was will das Emirat damit erreichen?
Der Emir von Katar befolgt Erlasse und religiöse Vorschriften der Muslimbruderschaft, deren Ziel es ist, ein globales Kalifat zu schaffen. Die Welt soll nach islamischem Recht regiert werden. Und wir wissen unter anderem aus Dokumenten aus der Schweiz, dass die strategischen Ziele der Muslimbruderschaft darin bestehen, Israel vom Westen, den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Demokratien zu distanzieren, um Israel zu isolieren und zu zerstören. Und sie setzen dabei sehr kreative und raffinierte Mittel strategisch ein. Ihr Ziel ist es, den Antisemitismus zu nutzen, um den Westen zu schwächen und zu zerstören. Und man kann in den vergangenen 40 Jahren sehen, dass sie mit all diesen Investitionen in die westliche Wirtschaft und die amerikanische Wirtschaft Fortschritte bei ihren strategischen Zielen machen.

Die »Students for Justice in Palestine« (SJP) haben eine führende Rolle bei den antiisraelischen und antisemitischen Protesten an Universitäten in den USA. Trifft es zu, dass diese Gruppe eine direkte Verbindung zur Hamas hat?
Kurz nach den Anschlägen am 7. Oktober haben die »Students for Justice in Palestine« nicht nur gesagt, dass sie die Menschen in Gaza oder das palästinensische Volk unterstützen. Sie sagten nicht nur, dass sie die Hamas unterstützen, sie sagten sogar, dass sie die Hamas sind. Die Hamas ist eine Terrororganisation, sie ist Teil der Muslimbruderschaft. Die SJP werden von ihr finanziert. Genauer gesagt wird die SJP zum Teil von der amerikanischen AMP, den American Muslims for Palestine, finanziert. Es handelt sich dabei um Agenten der Muslimbruderschaft.

Die Sprache und Aktionen werden immer extremer und gewaltsamer. Die Brandeis University hat daher die »Students for Justice in Palestine« vom Campus verbannt. Ist das der richtige Weg?
Auf jeden Fall. Die Fordham University hat das schon vor Jahren gemacht. Doch viele dieser Gruppen werden von den Universitäten selbst als Studentengruppen finanziert. Ich finde das ungeheuerlich. Und man kann sehen, dass die Rhetorik sich von einer antiisraelischen zu einer Rhetorik der Zerstörung Israels verändert hat. Die Rhetorik ist eindeutig antijüdisch. Überall in den Vereinigten Staaten werden jüdische Dozenten und Studenten eingeschüchtert, körperlich angegriffen, sozial und intellektuell ausgegrenzt und geächtet. Das geht so weit, dass zum Beispiel die Columbia University das Online-Lernen wiedereinführen musste, weil jüdische Dozenten und Studenten Angst hatten, auf den Campus zu gehen. Vergangene Woche habe ich mich mit jüdischen Studentinnen und Studenten der Columbia University getroffen. Sie alle gehen nächstes Jahr an andere Universitäten, weil das Umfeld, in dem sie leben, so ist, wie es ist.

Warum wird die Rhetorik immer deutlicher antisemitisch?
Die Studenten lernen diese Rhetorik. Und dann kommen sie mit Tüchern und Covid-Masken auf den Campus, verstecken ihre Identität und rufen zum Tod und zur Zerstörung Israels und auch des jüdischen Volkes auf. Und das wird toleriert und sogar von Professoren gefördert. Das verstößt gegen das Gesetz. Doch ich bin recht optimistisch, dass die Universitäten zur Rechenschaft gezogen werden. Und die Professoren, die die Studenten bei diesem offenen Rassismus, der Einschüchterung und der Gewalt unterstützen, werden letztendlich auch zur Rechenschaft gezogen.

Sie haben kürzlich mit David Harris, dem ehemaligen Chef des American Jewish Committee und jetzigen Vizedirektor ihres Instituts, darüber gesprochen, was die jüdische Gemeinschaft tun kann. Was ist Ihre Empfehlung?
Wir stehen auf der Seite derer, die die demokratischen Prinzipien und die demokratische Gesellschaft verteidigen. Und ich denke, dass wir für die jüdische Gemeinschaft einen strategischen Ansatz entwickeln müssen, der all die Genialität einbezieht, die wir in unserer Gemeinschaft haben. Wir müssen die besten Geschäftsleute, Strategen, Intellektuellen, PR-Leute und Juristen zusammenbringen, um die Sprache des anderen zu lernen und eine Strategie zu entwickeln. Und wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um zu wissen, wer wir sind, um stolz auf die unglaubliche Weisheit und Kultur zu sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir von intellektuellen Clowns definiert werden. Wir müssen uns auf der Grundlage unserer eigenen Weisheit definieren.

Was bedeutet das konkret?
Juden wurden seit Anbeginn der Zeit von anderen definiert, und das meist nicht in positiver Weise. Und das passiert jetzt wieder. Wir müssen also wissen, wer wir sind, und wir müssen stolz sein und uns wehren.

Was heißt es, wenn die zukünftigen Führungskräfte unserer Gesellschaft unter diesen Umständen ausgebildet werden?
Universitäten nehmen Geld von Organisationen und Regierungen an, die die Idee einer liberalen Bildung zerstören wollen. Und dabei sind Universitäten die vielleicht wichtigste Institution in unserer Gesellschaft. Hier lernen junge Menschen, Bürger zu sein. Und wenn die Institution, die den Menschen beibringt, Bürger zu sein, Geld von reaktionären, antidemokratischen Quellen annimmt, dann ist es das, was man bekommt: Chaos, Hass, Antisemitismus. Und wie unser ehemaliges Kuratoriumsmitglied Elie Wiesel uns immer gelehrt hat, beginnt der Antisemitismus mit den Juden, aber er endet nie mit den Juden. Wenn er sich einmal entfesselt hat, greift er den menschlichen Anstand und die demokratischen Institutionen an. Und genau das ist es, was auf den Universitätsgeländen stattfindet und sich auf unseren Straßen ausbreitet: Juden werden in U-Bahnen, auf Straßen, in den Städten dieses Landes angegriffen und eingeschüchtert. Es ist abscheulich und zutiefst beunruhigend.

Sie raten jüdischen Studentinnen und Studenten, die Universitäten zu verlassen, an denen weiterhin antiisraelische und antisemitische Protest stattfinden?
Sie sollten nicht weiter an Institutionen lernen, die diese reaktionäre, antidemokratische, hasserfüllte Agenda vorantreiben. Es gibt Universitäten, die Juden in den Vereinigten Staaten und in anderen Teilen der Welt willkommen heißen. Und wo immer wir hingehen, werden wir diese Universitäten großmachen. Es muss jedoch die Aufgabe der Universitätsleitung sein, jede einzelne Universität zu einem sicheren und einladenden Ort für die gesamte Studentenschaft, einschließlich der jüdischen Studenten, zu machen. Daher sollten letztendlich nicht die jüdischen Studenten gezwungen sein zu fliehen, sondern die Universitätsleitung muss den Antisemitismus von ihrem Campus verbannen.

Mit dem Direktor des Institute for the Study of Global Antisemitism & Policy in New York/USA sprach Detlef David Kauschke.

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