Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (FAZ) scharfe Kritik an der jüngsten außenpolitischen Rhetorik der Bundesregierung geübt. Besonders deutlich äußerte er sich zur Wortwahl von Außenminister Johann Wadephul (CDU), der in Bezug auf die deutsche Haltung gegenüber Israel von einer »Zwangssolidarität« gesprochen hatte.
»Wadephuls Aussage war eine Entgleisung«, sagte Schuster. Gleichwohl habe sich die Tonlage inzwischen »wieder verändert«, vor allem nach dem Dreiertreffen von Österreich, Deutschland und Israel in Wien.
Auch andere Formulierungen innerhalb der schwarz-roten Bundesregierung würden genau registriert. So etwa Bundeskanzler Friedrich Merz, der nach Israels Luftangriff auf iranische Ziele gesagt hatte, Israel erledige die »Drecksarbeit für den Westen«.
Auf die generelle Linie der neuen Koalition angesprochen, sagte Schuster, es habe »zunächst Anlaufschwierigkeiten« zwischen den Partnern gegeben. Insgesamt sei er aber »trotz der verschobenen Richterwahl – optimistisch«.
Grenze der legitimen Kritik
Sorgen bereitet dem Zentralratspräsidenten die Art und Weise, wie mit Israel in der Öffentlichkeit umgegangen wird – besonders im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Hamas. »Wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird, ist die Grenze einer ganz legitimen Kritik eindeutig überschritten«, erklärte Schuster.
Eine »absurde« Entwicklung seien Vergleiche wie der zwischen dem Gazastreifen und Srebrenica. »Man muss ein nicht vorhandenes Wohlwollen unterstellen, um es zurückhaltend auszudrücken«, so Schuster.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 habe sich der Antisemitismus in Deutschland massiv verstärkt – von rechts, von links, aus dem islamistischen Milieu und aus der Mitte der Gesellschaft. »Die Antisemiten der extremen Rechten und Linken treffen sich wie in einem Hufeisen in der Mitte wieder«, sagte Schuster.
Aufgabe der Gesamtgesellschaft
Dies zeige sich aktuell etwa in Gesprächen zwischen dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der rechtsextremistischen AfD. Linksextremer Antisemitismus habe zudem »enge Beziehungen zum muslimischen Antisemitismus«, betonte Schuster. Es gebe »eine breite Front, die bis in die politisch neutrale, demokratische Mitte reicht«.
Ein besonderes Augenmerk legt der Zentralratspräsident auf Bildung – auch und gerade in jungen Jahren. Die Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Holocaust dürfe nicht erst in der weiterführenden Schule beginnen: »Ein Punkt in der Bildungsarbeit ist die rechtzeitige Behandlung des Themas, also nicht erst in der fünften Klasse, sondern altersgemäß schon in der frühkindlichen Erziehung im Kindergarten«, erklärte Schuster in der FAZ.
Gleichzeitig drängt der Zentralratspräsident auf mehr Engagement in den sozialen Netzwerken. Diese würden insbesondere von der rechtsextremen Szene massiv genutzt. »Wir als Gesellschaft müssen auf Social Media stärker dagegenhalten«, forderte Schuster. Zudem müssten Plattformbetreiber für ihre Algorithmen verantwortlich gemacht werden. Klar sei: »Die Aufgabe des Kampfes gegen Antisemitismus kann nicht primär als eine Aufgabe der Juden selbst verstanden werden, sondern ist eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft.«
Klares Bekenntnis
Mit Blick auf die deutsche Justiz äußerte Schuster Unverständnis über Urteile, die antisemitische Äußerungen unter Berufung auf die Meinungsfreiheit schützen. Als Beispiel nannte er einen Fall vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, bei dem ein Polizist in einem privaten Chat geäußert hatte, Charlotte Knobloch – Holocaustüberlebende und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München – »in ein KZ einweisen« zu wollen.
»Wie man als Gericht am Ende nur noch darüber diskutiert, ob der betreffende Beamte eine oder zwei Dienststufen degradiert wird, ist mir schleierhaft«, sagte Schuster. »So ein Mensch hat bei der bayerischen Polizei nichts zu suchen.«
Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Zentralrats der Juden in Deutschland blickte Schuster auf wichtige Meilensteine der Organisation zurück. Entscheidende Weichenstellungen seien etwa das klare Bekenntnis zum jüdischen Leben in Deutschland in den 1970er-Jahren gewesen sowie das sogenannte Kontingentflüchtlingsgesetz der frühen 1990er-Jahre, das die Zuwanderung jüdischer Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion ermöglichte. »Ohne diese Einwanderung gäbe es viele jüdische Gemeinden nicht mehr«, so Schuster.
Innerjüdische Bildungslandschaft
In jüngerer Zeit sei die Einführung der jüdischen Militärseelsorge bei der Bundeswehr ein bedeutsames Zeichen gewesen – ebenso wie der Bau der Jüdischen Akademie in Frankfurt am Main, deren Eröffnung für Sommer 2026 geplant ist.
Die Erinnerung an die Schoa soll künftig verstärkt auch durch sogenannte »Zweitzeugen« aufrechterhalten werden: »Das sind Menschen der nächsten Generation, die von ihren Eltern oder von der direkten Zeitzeugengeneration Entsprechendes gehört haben und in der Lage sind, es an die nächsten Generationen weiterzugeben.«
Auch zur innerjüdischen Bildungslandschaft äußerte sich Schuster. Nach den Vorwürfen gegen den langjährigen Leiter des Abraham Geiger Kollegs, Walter Homolka, wolle der Zentralrat mit der Nathan Peter Levinson Stiftung ein neues, unabhängiges Rabbinerseminar aufbauen. Die Universität Potsdam aber zögere bislang, die Kooperation mit dem Geiger-Kolleg zu beenden. Eine Zusammenführung beider Einrichtungen könne er sich vorstellen, sagte Schuster. »Der Zentralrat übernimmt Verantwortung für das liberale Judentum in Deutschland, das durch die Vorwürfe gegen den früheren Leiter stark beschädigt war.« ja