Warschau

Scholz: Hilfen für Opfer deutscher Besatzung in Polen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wird von Donald Tusk (M), Ministerpräsident von Polen, mit militärischen Ehren zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen begrüßt. Foto: picture alliance/dpa

Deutschland plant nach Angaben von Bundeskanzler Olaf Scholz Hilfen für überlebende Opfer der deutschen Besatzung in Polen während des Zweiten Weltkriegs.

»Deutschland weiß um die Schwere seiner Schuld, um seine Verantwortung für die Millionen Opfer der deutschen Besatzung und um den Auftrag der daraus erwächst«, sagte der SPD-Politiker in Warschau bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk nach gemeinsamen Regierungskonsultationen. Deutschland stehe zu seiner historischen Verantwortung ohne Wenn und Aber.

»Die Situation älterer Opfer ist eine, die uns sehr bewegt und da werden wir auch Aktivitäten unternehmen.« Scholz sagte nicht, wann und wie viel Entschädigung den etwa 40.000 noch lebenden Opfern der deutschen Besatzung Polens gezahlt werden sollen. Laut »Süddeutsche Zeitung« geht es um einen Beitrag im dreistelligen Millionenbereich.

Verteidigung der Ostflanke

Verantwortung für die Vergangenheit bedeute auch Verantwortung für die gemeinsame Zukunft, sagte Scholz weiter. »Die Sicherheit Polens ist auch Deutschlands Sicherheit«. Die Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung solle gezielt ausgebaut werden. Man stehe gemeinsam fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Am späten Montagabend war der Kanzler mit zwölf seiner Bundes- und Staatsminister nach Warschau gereist, um den Beziehungen zu dem Nachbarland neuen Schub zu geben. Dort fanden am Dienstagvormittag die ersten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen seit fast sechs Jahren statt.

Bei den insgesamt nur dreistündigen Beratungen unter Leitung von Scholz und Polens Ministerpräsident Donald Tusk sollte ein Aktionsplan beschlossen werden, der neben den Entschädigungszahlungen für polnische Opfer der Besatzung durch Nazi-Deutschland auch Hilfe für die Verteidigung der Ostflanke der NATO enthält.

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Deutsch-Polnisches Haus

Um die Entschädigung wurde bis zuletzt gerungen. Es ist ein heikles Thema, weil damit die Tür für Forderungen aus anderen Ländern geöffnet werden könnte. So gibt es auch aus Griechenland fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch Forderungen nach Entschädigung für die von Nazi-Deutschland verursachten Kriegsschäden.

In Polen leben heute noch rund 40.000 Menschen, die einst Opfer der deutschen Besatzer waren, wie Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt sagt. Manche hätten sich etwa damals als Kinder oder Jugendliche am polnischen Widerstand beteiligt. »Es wäre in symbolischer, aber auch in praktischer Hinsicht einfach wichtig, dass diese alten, kranken Leute Unterstützung bekommen.«

Geld aus dem Finanzpaket soll auch für den Bau des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin fließen. Es soll an die komplizierte deutsch-polnische Geschichte und die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer schaffen.

Weimarer Dreieck

Polen dringt schon lange auf eine Wiedergutmachung für die durch den Zweiten Weltkrieg und die Besatzung erlittenen Schäden. Die nationalkonservative PiS-Regierung, die das Land von 2015 bis 2023 führte, forderte von Deutschland Reparationen in Höhe von mehr als 1,3 Billionen Euro. Dies und die ständige antideutsche Stimmungsmache führender PiS-Vertreter zerrütteten das bilaterale Verhältnis in den vergangenen Jahren.

Unter der seit Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung Donald Tusks ist das Klima nun deutlich besser geworden. Doch auch Tusk betonte bei seinem Antrittsbesuch im Februar in Berlin: »Im formalen Sinne wurden die Reparationen schon vor vielen Jahren abgeschlossen. Aber die materielle und moralische Wiedergutmachung wurde nie realisiert.« Ein Ausgleich von Rechnungen sei nötig, man müsse nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen, ohne die gegenseitigen Beziehungen zu belasten.

Seit dem Regierungswechsel in Polen wird auch das Format des sogenannten Weimarer Dreiecks zwischen Polen, Deutschland und Frankreich wieder mit neuem Leben gefüllt. Doch in Frankreich droht nach den Parlamentswahlen eine Machtübernahme durch das rechtsnationale Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, das zeigte schon die erste Abstimmungsrunde. Ein solcher Umschwung könnte die Achse Berlin-Paris schwächen - umso wichtiger wäre aus deutscher Sicht ein gutes Verhältnis zu Polen.

Stärker und selbstbewusster

»Es gibt die Chance, dass die deutsch-polnischen Beziehungen dadurch noch aktiver werden«, sagt Expertin Lada-Konefal. Allerdings müsse die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen, dass Polen mittlerweile sehr viel stärker und selbstbewusster geworden sei - auch durch seine Rolle als Frontstaat im Ukraine-Krieg und wichtiger Verbündeter Kiews.

Auch Tusk halte deutlich mehr Distanz zu Berlin, als dies in seiner ersten Amtszeit von 2007 bis 2014 der Fall war. »Die Zeiten sind vorbei, wo Deutschland mit jedem Vorschlag kommt und die Polen klatschen.«

Bei den Konsultationen waren auch Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen und Finanzminister Christian Lindner von der FDP dabei, die seit Wochen mit Scholz um einen Haushaltsplan für 2025 ringen. dpa

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