Justiz

Sachsenhausen-Prozess gegen früheren KZ-Wachmann fortgesetzt

Wegen der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten fand der Prozess in Brandenburg an der Havel, in der Nähe seines Wohnortes, statt. Foto: picture alliance/dpa

Im NS-Prozess gegen einen 100-jährigen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen gehen die Ermittler davon aus, dass während der Dienstzeit von Josef S. dort nachweislich mehrere zehntausend Menschen ermordet wurden.

Nach Auswertung zahlreicher Dokumente und Unterlagen sei davon auszugehen, dass in der mehr als dreijährigen Dienstzeit der Tod von fast 50.000 Menschen im Konzentrationslager belegt werden könne, sagte die Kriminalbeamtin Heike Trautmann von der Ermittlungsgruppe der brandenburgischen Polizei am Donnerstag am dritten Prozesstag in Brandenburg an der Havel. Darunter seien auch 10.936 namentlich bekannte Häftlinge. (AZ: 11 Ks 4/21)

Verschiedene Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv in Berlin und der Stasi-Unterlagenbehörde legten nahe, dass Josef S. in der Zeit vom 23. Oktober 1941 bis zum 18. Februar 1945 in Sachsenhausen eingesetzt war, sagte Trautmann. Zu den Verhältnissen in dem KZ seien unter anderem drei Überlebende als Zeugen vernommen und rund 300 Verhandlungsprotokolle und Urteile aus anderen Gerichtsverfahren in Augenschein genommen worden. Am 30. Oktober 2019 habe zudem eine fast vierstündige Wohnungsdurchsuchung bei dem Tatverdächtigen stattgefunden. Die Vorermittlungen hatte die Zentralstelle in Ludwigsburg geführt.

Erste Anhaltspunkte für eine Tätigkeit von Josef S. im Konzentrationslager seien im Zuge der eigenen Ermittlungen im Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen gefunden worden, sagte Trautmann. In einem Dokument aus der NS-Zeit sei er als alter Kompanieangehöriger aufgeführt. Der Dienstantritt am 23. Oktober 1941, fast auf den Tag genau vor 80 Jahren, sei auf mehreren Dokumenten aus verschiedenen Quellen verzeichnet. Er sei unter anderem als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns geführt worden. In einem Dokument sei eine Versetzung zur Wehrmacht im Februar 1945 vermerkt.

Der Angeklagte hatte sich am zweiten Prozesstag am 8. Oktober für unschuldig erklärt. Sachsenhausen sei ihm unbekannt, sagte er in der Gerichtsverhandlung. In der Befragung zu seinem Lebenslauf hatte sich S. zwar zu Kindheit, Armeezeit in Litauen, Kriegsgefangenschaft und der Zeit in der DDR geäußert, jedoch nicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, als KZ-Wachmann in Sachsenhausen zwischen 1942 und 1945 Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen geleistet zu haben.

Das Landgericht Neuruppin hat die Verhandlung auch deshalb nach Brandenburg an der Havel verlegt, damit sie in der Nähe des Wohnortes von S. geführt werden kann. Der Mann, dessen 101. Geburtstag im November bevorsteht, ist laut Gutachter nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig.

Am Freitag sollen eine weitere Polizeibeamtin und ein Polizeibeamter zu Verlauf und Ergebnissen der Ermittlungen vernommen werden. In der kommenden Woche soll die Anhörung eines historischen Sachverständigen beginnen, dafür sind insgesamt 14 Verhandlungstage bis in den Dezember hinein vorgesehen. Am 4. November will ein Nebenkläger aus Israel, der im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert war, als Zeuge aussagen. Am 5. November soll ein Nebenkläger aus Frankreich, Nachkomme eines Inhaftierten, angehört werden.

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