Justiz

Rothschild, Zion etc.

Xavier Naidoo auf einer »Friedensmahnwache« im Oktober 2014 in Berlin Foto: imago

Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel», singt der deutsche Popstar Xavier Naidoo. «Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.» Weil er das singt und sich zu dem Text bekennt, ist Naidoo aber kein Antisemit. Auch dass er schon vor den «Reichsbürgern» aufgetreten ist, macht ihn nicht dazu. Ein von Naidoo gegen die in Berlin sitzende Amadeu Antonio Stiftung angestrengtes Verfahren endete jedenfalls kürzlich mit einem Vergleich: Naidoo ist kein Antisemit, manche seiner Textzeilen dürfen jedoch weiterhin als antisemitisch bezeichnet werden.

Anetta Kahane erklärte, ihre Stiftung beobachte mit Sorge, «dass antisemitische Stereotype seit Jahren wieder salonfähig werden und häufig unwidersprochen bleiben». Der jüngste Fall verweist zum einen darauf, dass es nicht gerade selten Menschen sind, die mit Sprache arbeiten, die mit der Verwendung solcher Stereotype auffallen. Zum anderen, dass sich immer häufiger bestimmter Codes bedient wird, um ja nicht als Antisemit zu gelten.

protokolle Zu den in Deutschland bekannteren Popstars mit Ansichten, die als antisemitisch gelten können, zählt der Schlagersänger Christian Anders. In einem seiner Texte heißt es: «Ich hab die Macht, ich hab das Geld, ich bin der Herrscher dieser Welt. Ich schick euch täglich auf die Rolle, ihr kennt sie nicht, ›die Protokolle‹.» Welche Protokolle er meint, wird klar: «Auf sieben Säulen ruht die Welt, sieben Familien haben das Geld / Ob Rothschild, Cohn oder Donati, man nennt uns auch Illuminati / Mit Aids verseuchen wir die Welt, und machen mit der ›Heilung‹ Geld.»

Anders, der in den 70er-Jahren mit Hits wie «Es fährt ein Zug nach Nirgendwo» große Erfolge feierte, hatte im Jahr 2005 auf Pro7 die Prominenten-Trashshow Die Burg gewonnen. Als danach jedoch seine bedenklichen Liedtexte bekannt wurden, trennte sich der Sender von dem Sänger.

Anders bedient sich oft bestimmter Codes. Etwa wenn er von sich behauptet, den Anschlag auf das World Trade Center 2001, der eine Attacke auf den «Dämon der Gier, des Hasses und der Niedertracht» gewesen sei, vorhergesagt zu haben.

Solche Codes sollen gleich zwei Zwecke erfüllen: Eingeweihte wissen, worum es geht, wenn Worte wie «Ostküste», «Rothschild», «Mammon» und «Zionismus» fallen – und können sich, wenn sie zur Rede gestellt werden, zugleich als unschuldige Opfer von «Meinungsdiktatoren», die die «Antisemitismuskeule» schwingen, präsentieren. Im Internet wird dann gerne mithilfe diverser Links auf einschlägige Publikationen über «jüdische Machenschaften» verwiesen.

Hilfreich bei der Abwehr des Antisemitismusvorwurfs ist, dass deutsche Gerichte manchmal eigenartige Ansichten darüber haben, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. In einem Prozess, den der neurechte Journalist Jürgen Elsässer gegen die Publizistin Jutta Ditfurth angestrengt hatte, nachdem sie ihn in einer Fernsehsendung einen «glühenden Antisemiten» genannt hatte, äußerte die zuständige Richterin, Antisemit – noch dazu ein glühender – sei nur «jemand, der mit Überzeugung sich antisemitisch äußert, mit einer Überzeugung, die das Dritte Reich nicht verurteilt».

In ihrer Urteilsbegründung schrieb sie: «In dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass derjenige die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von sechs Millionen Juden unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreifen und für die Übel in der Welt verantwortlich machen.» Was sich gegen den Staat Israel richtet, ist in dieser Logik genauso wenig antisemitisch wie die Verbreitung von Theorien über die Macht der «Rothschilds» oder der «Ostküste».

Diskussion
In Xavier Naidoos Lied «Raus aus dem Reichstag» empfiehlt er Politikern, das Parlament zu verlassen: «Bewirb dich um ne Stelle im Land hinterm Ärmelkanal.» Sie seien «große Schaumschläger, ekelhafte Blender / Fast so eklig wie eure Cousins, die schlechten Manager». Zu seinem Auftritt bei einer umstrittenen «Friedensmahnwache» in Berlin sagte er im «Stern»: «Ich lehne nichts ab und will das System nicht stürzen. Ich will nur Diskussionen anstoßen.»

Während es im Verfahren zwischen Jutta Ditfurth und Jürgen Elsässer vermutlich bald in der zweiten Instanz zur Hauptverhandlung kommt, einigten sich die Amadeu Antonio Stiftung und Naidoo – der in früheren Jahren die Stiftung unterstützt hatte – auf einen Vergleich. Wie die Stiftung mitteilt, war ihr Hauptanliegen, «auf die unserer Meinung nach antisemitischen Anknüpfungspunkte» in Naidoos Liedtext hinzuweisen. Das sei gelungen.

Porträt

Der Held von Sydney

Laut australischen Medien handelt es sich um einen 43-jährigen muslimischen Vater von zwei Kindern, der einen Laden für lokale Produkte betreibt

 14.12.2025

Jerusalem

Israels Regierungschef wirft Australien Tatenlosigkeit gegen Judenhass vor

Nach einem Anschlag in Sydney fordert Netanjahu von Australien entschlosseneres Handeln gegen Judenhass. Er macht der Regierung einen schweren Vorwurf

 14.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror

Polizei: 9 Tote bei Angriff in Sydney

Was bislang bekannt ist - und was nicht

 14.12.2025