Italien

Rechtsextreme vorn

Giorgia Meloni bei einem Wahlkampfauftritt Ende Mai in Monza nördlich von Mailand Foto: IMAGO/NurPhoto

Am 25. September sind die Italiener aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Das Datum wurde vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella festgelegt, nachdem Ministerpräsident Mario Draghi im Juli seinen Rücktritt eingereicht hatte.

Der 25. September ist auch der Vorabend von Rosch Haschana. Üblicherweise vermeiden es die italienischen Behörden, während der jüdischen Hohen Feiertage Wahlen einzuberufen oder Prüfungen für öffentliche Wettbewerbe abzuhalten. Am 25. September wird jedoch von 7 bis 23 Uhr gewählt. Der Verband der jüdischen Gemeinden in Italien, UCEI (Unione delle Comunità Ebraiche Italiane), verteidigt die Entscheidung mit der Begründung, dass »das Datum kein Hindernis darstellt: Das Fest beginnt am Abend, sodass die Gläubigen der jüdischen Religion ihr Wahlrecht in den Stunden davor ausüben können«.

KRISE Vielmehr sorgt sich die UCEI »um das Schicksal des Landes, das sich in einer tiefen politischen Krise befindet, die zu den sehr ernsten wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen und humanitären Problemen des Landes hinzukommt«.

Draghis Rücktritt erfolgte, nachdem die Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) und dann auch die Mitte-Rechts-Bewegung mit Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega deutlich gemacht hatten, dass sie nicht mehr bereit waren, Teil einer institutionellen Regierung zu sein, das heißt einer Regierung ohne klare politische Richtung.

In den Umfragen liegt seit Wochen die rechtsextreme Partei »Fratelli d’Italia« (Brüder Italiens) von Giorgia Meloni vorn. Die 45-Jährige, deren Wurzeln in der neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) liegen, hat die Draghi-Regierung nie unterstützt.

Der Gemeindebund sieht es nicht als Problem, dass an Erew Rosch Haschana gewählt wird.

In der dritten Regierung von Silvio Berlusconi (2008–2011) war Meloni Jugendministerin. Damals gehörte sie der Alleanza Nazionale an, einer Partei, die gegründet wurde, um das Erbe der MSI in einen Konservatismus europäischer Prägung zu überführen.

Seit 2014 steht Meloni an der Spitze von Fratelli d’Italia, einer Partei, die sie zwei Jahre zuvor mitbegründet hatte. Fratelli bezeichnet sich selbst als »national-konservative, nationalistische, traditionalistische, postfaschistische und souveränistische Partei«. Im Europäischen Parlament sind ihre Mitglieder in der Fraktion der Partei Europäische Konservative und Reformer vertreten, unter anderem zusammen mit der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

DEMOKRATIE Fragt man Daniele Nahum, Mitglied des Mailänder Stadtrats für die sozialdemokratische, linksliberale Partito Democratico, ob die italienische Demokratie leiden könnte, wenn Meloni in einer Koalition mit Silvio Berlusconi und dem fremdenfeindlichen Salvini Regierungschefin wird, dann winkt er ab. Man fürchte sich vielmehr vor Melonis Partei, »weil ihre Ziele in Bezug auf Einwanderung, Steuern, Drogen und Abtreibung rechtsextrem sind.« Für die Demokratie in Italien bestehe keine Gefahr, meint Nahum. Aber er befürchte, »dass Italien in der nationalen und EU-Politik in die Fußstapfen von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán treten könnte«.

Nahum bedauert, dass die Linke »nicht in der Lage« sei, einen »seriösen Wahlkampf« zu führen. »Wenn es nach mir ginge, würde ich in einem Land mit vier Millionen arbeitenden Armen den Wahlkampf auf die Lohnfrage konzentrieren.«

Für viele zeigt die dreifarbige Flamme im Parteisymbol der Fratelli, die an Benito Mussolinis Grab erinnern soll, dass Meloni auf faschistische Wähler nicht verzichten will. »In einem Land, das aus dem Antifaschismus hervorgegangen ist, sollte sich eine seriöse rechte Partei nicht darauf beziehen«, so Nahum.

Die dreifarbige Flamme im Parteisymbol bezieht sich auf das Grab von Benito Mussolini.

Der Journalist Davide Riccardo Romano, der das Mailänder Museum der Jüdischen Brigade leitet, glaubt, dass Meloni »weder Faschismus noch irgendeine Form von politischer Gewalt nach Italien bringen« werde. »Sie wird eine sehr konservative, nicht-liberale Politikerin sein. Sie ist gegen die Gender-Theorie und die LGBTQ-Rechte, aber ich sage voraus, dass sie die Abtreibung nicht verbieten wird, auch wenn sie die Durchsetzung des Gesetzes, das sie erlaubt, abschwächen könnte.«

Die Demokratie in Italien hält Romano für widerstandsfähig, sodass auch eine Giorgia Meloni ihr nicht viel anhaben könne. Eine »koschere« Partei seien die »Brüder Italiens« jedoch keinesfalls. »Wir sollten nicht vergessen, dass es in dieser Partei immer noch postfaschistische Vertreter gibt, unter anderem einige, die historisch gesehen anti-israelisch und pro-palästinensisch sind«, betont Romano. Er möchte nicht ausschließen, »dass man bei den Parteiveranstaltungen vor der Wahl den einen oder anderen römischen Gruß sehen wird«.

PRO-ISRAELISCH Romano glaubt, »dass Meloni eine Partei nach ihrem eigenen Bild und ihrer eigenen Vorstellung aufgebaut hat. Und falls sie an die Macht kommt, wird sie ein Interesse daran haben, den atlantischen, antirussischen und pro-israelischen Kurs ihrer Partei zu bestätigen.«

Das eigentliche Novum dieser Wahlen scheint für so manchen Beobachter nicht Giorgia Meloni, sondern etwas anderes zu sein: Anstatt 630 Abgeordnete und 315 Senatoren werden die Italiener am 25. September 400 Abgeordnete und 200 Senatoren wählen. Die Verkleinerung der beiden Kammern, die man mit Einsparungen begründet, wurde von der EU-skeptischen populistischen Fünf-Sterne-Bewegung vorangetrieben, einer Partei, die, wie Romano betont, »offen mit Russland, China, Venezuela und allen illiberalen Regimen verbündet ist«. Ihr Vorschlag, die Zahl der Abgeordneten zu verringern, wurde von einer sehr großen Mehrheit angenommen und durch ein Referendum bestätigt. Der Populismus beginnt also längst nicht erst mit Giorgia Meloni.

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