Mehr als 80 Jahre nach Ende der NS-Diktatur soll ein Schiedsgericht die Verfahren zur Rückgabe sogenannter Raubkunst beschleunigen. Dafür wurden nun 36 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter benannt, wie Kulturstaatsminister Wolfram Weimer mitteilte.
Geplant ist eine Doppelspitze des Schiedsrichterkollegiums mit der ehemaligen Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Elisabeth Steiner und dem früheren CDU-Politiker und Verfassungsrichter Peter Müller. Die weiteren Schiedsrichter, die für einen Zeitraum von fünf Jahren bestellt wurden, sind Julia Bešlin, Magnus Brechtken, Stephan Breidenbach, Michael Brenner, Annette Brockmöller, Peter Clausen, Helmut Dedy, Axel Drecoll, Caroline Flick, Nathan Gelbart, Beate Gsell, Isabel Heinemann, Hans-Joachim Heßler, Anja Heuß, Christiane Kuller, Benjamin Lahusen, Sophie Lillie, Uwe Lübking, Jürgen Matthäus, François Moyse, Daniel Neumann, David Nossen, Julien von Reitzenstein, Sebastian Remelé, Jan-Robert von Renesse, Doron Rubin, Leo Schapiro, Gudrun Schäpers, Iris Schmeisser, Natan Sznaider, Katja Terlau, Christian Waldhoff, Avraham Weber und Johanna Werner.
Das sei der letzte große Schritt zur Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit, sagte Weimer. Es geht um Kunstwerke, die Verfolgten in der Zeit des Nationalsozialismus geraubt wurden oder die sie unter Zwang verkauften und die nun zum Beispiel in deutschen Museen sind. Schätzungen gehen von ursprünglich bis zu 600.000 gestohlenen Kunstwerken während der Nazi-Zeit aus.
Umsetzung der »Washingtoner Prinzipien«
In der von Deutschland unterstützten sogenannten Washingtoner Erklärung von 1998 werden frühere Besitzer und ihre Erben ermutigt, ihre Ansprüche anzumelden, damit »gerechte und faire Lösungen« gefunden werden. In der Praxis war dies oft schwierig. Deshalb vereinbarten Bund, Länder und Kommunen im Frühjahr das Schiedsgericht.
Die Personalauswahl für die neue Institution sei ein entscheidender Markstein, erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Gelungen sei eine hochkarätige und paritätische Besetzung. »Dieses Gremium wird künftig mit Ernsthaftigkeit und Professionalität über Restitutionsfragen entscheiden.«
Bisher befasste sich mit Streitfällen die sogenannte Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz. Sie stand zuletzt unter dem Vorsitz des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Doch dieses Gremium muss von beiden Streitparteien angerufen werden und kann nur mit Zweidrittelmehrheit eine (unverbindliche) Empfehlung zur Restitution eines Kunstwerks aussprechen.
Nächster Schritt: Restitutionsgesetz
Neu ist nun, dass Antragsteller auch einseitig das Schiedsgericht anrufen können, ohne die Zustimmung der Gegenseite, also etwa des betroffenen Museums. Entscheidungen des Schiedsgerichts sind zudem bindend.
»Wir stehen kurz vor Beginn einer neuen Ära bei der Rückgabe von NS-Raubgut«, sagte der bayerische Kunstminister Markus Blume (CSU). Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference sprach von einem wichtigen Signal für Überlebende und ihre Familien: »Nach Jahrzehnten des Wartens können sie nun endlich beginnen, ihre Restitutionsansprüche aus eigener Initiative voranzubringen.«
Wie Zentralratspräsident Schuster mahnte auch Mahlo als nächsten Schritt ein Restitutionsgesetz an. Nur so könne es eine Lösung für alle noch offene Fälle geben. Dieser Auffassung ist nun auch die staatliche Seite. Die Regierungskoalition von CDU, CSU und SPD hatte im April in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, ein solches Gesetz auf den Weg bringen zu wollen.
Eher skeptische Töne kamen vom Marburger Rechtsanwalt Markus Stötzel, der seit vielen Jahren jüdische Opfer und deren Nachfahren in Raubkunstangelegenheiten vertritt. »Vorschusslorbeeren sind jetzt reichlich verteilt. Deutschland muss endlich Ergebnisse bei der Restitution liefern. Dem Schiedsgericht gehören zweifellos kompetente Personen an. Aber die zugrundeliegende Schiedsordnung ist in Teilen restriktiv und ein Rückschritt, weshalb Konflikte vorprogrammiert sind.« dpa/ja