Fazit

Nach den Reden

Gemeinsam gegen Antisemitismus: klares Bekenntnis am Sonntag vor dem Brandenburger Tor Foto: Marco Limberg

Ein paar Tausend sind es dann doch geworden. In Sichtweite des Holocaust-Mahnmals und im Schatten des Brandenburger Tors. »Steh auf! Nie wieder Judenhass!«. Unter diesem Schirm hatten alle Platz. Bundespräsident und Kanzlerin, DFB und DGB, Katholische und Evangelische Kirche, der Zentralrat der Muslime. Habe ich jemanden vergessen? »Wir sind hier, um gemeinsam und geschlossen zu zeigen: Keinen Platz für Judenhass«, rief Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Applaus.

Gemeinsam und geschlossen? Die prominente Rednerliste konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reihen eben nicht geschlossen waren. Vor dem Brandenburger Tor war noch reichlich Luft. »Unsere Albträume, ja meine eigenen Albträume sind weit übertroffen worden«, fasste Graumann die antisemitischen Ausschreitungen der letzten Monate noch einmal zusammen. Aber er sprach weniger Frau Mustermann aus dem Herzen, sondern vor allem jenen, die genau wussten und fühlten, was er meinte.

mehrheitsgesellschaft Er sprach vor allem zu Juden. Die Mehrheitsgesellschaft nämlich hat keine Albträume. Juden, das sind die anderen. Das eben ist der Unterschied zwischen Gefühl und Mitgefühl. Und genau deshalb musste auch der Zentralrat der Juden zu dieser Kundgebung in quasi eigener Sache aufrufen, wie Nikolaus Schneider beschämt einräumte und versprach: »Ich werde es mir merken.« Ich fürchte, es wird genügend Gelegenheit geben, ihn an dieses Versprechen zu erinnern.

Ein paar Tausende. Besser als ein paar Hundert. Aber nicht genug. Vor 14 Jahren kamen 200.000, um ihre Stimme gegen Rassismus und Antisemitismus zu erheben. Bundeskanzler Gerhard Schröder war damals kein Gastredner, sondern er selbst hatte zum Aufstand der Anständigen aufgerufen. Heute gibt es mehr antisemitische Vorfälle als damals, aber weniger Demonstranten. Entweder war der Antisemitismus also schon zu jener Zeit für die meisten nur eine Fußnote, oder es gibt heute weniger Anständige.

israelfahnen Zu meiner Beruhigung würde ich gerne unterstellen, dass die schweigende Mehrheit wenigstens gedanklich am Sonntag in Berlin dabei war. Denn wenn ich die jüdischen Teilnehmer am Sonntag abziehe, dann klaffen bittere Lücken. Mir hat das Meer an Israelfahnen das Herz erwärmt, aber ich möchte mir gleichzeitig nicht vorstellen, wie viele Menschen einem Aufruf »Israel. Nie wieder schutzlos« gefolgt wären.

Vor zwei Wochen in Frankfurt am Main waren 1500 Menschen gekommen, um gegen die islamistische Bedrohung, für Meinungs- und Religionsfreiheit und für Israel zu demonstrieren. Es war eine Art jüdisches Familientreffen mit kurdischen Nachbarn. Schön, wichtig und einsam. Viele Israelflaggen. Aber noch mehr kurdische Fahnen. Das neue Bündnis jener, die erlebt haben, wie gefährlich es ist, Islamisten zu unterschätzen. Eine Versammlung jener, die fühlen, nicht mitfühlen.

reizthema
Israel, das große Reizthema, blieb in Berlin aber weitgehend ausgespart und damit auch die schwierige Debatte, ob es Antizionismus ohne Antisemitismus geben kann. Tatsächlich gibt es ein breites Bündnis des Ressentiments, der Gleichgültigkeit, der Kälte, das quer durch die sozialen Schichten, quer durch die Religionen und quer durch die politischen Lager reicht. Es ist ungleich größer als die Zahl der Teilnehmer, die sich am Sonntag versammelten.

»Schon immer waren Judenfeinde flexibel in der Auswahl ihrer Argumente, die sie ständig den Umständen und dem jeweiligen Zeitgeist anpassten. (...) Da nach dem Holocaust offener Antisemitismus kurzfristig nicht mehr opportun war, versteckt er sich heute hinter der Maske des Antizionismus«, warnte der Historiker und Auschwitz-Überlebende Arno Lustiger bereits 2008. Die säuberliche Auftrennung in den Hass auf den Judenstaat einerseits und die Juden andererseits ist politische Kosmetik. Den Alltag bestimmt die hässliche Wirklichkeit, die wenige U-Bahn-Stationen vom Brandenburger Tor entfernt zu besichtigen ist. Kreuzberg, Wedding, Neukölln. Stadtteile, die besser meidet, wer als Jude eine Wohnung sucht.

staatsräson
Die Kanzlerin bestimmt die Richtlinien der Politik, sie definiert die Staatsräson. Der Schutz des kleinen Judenstaats ist Staatsräson. Prima. Aber die Mehrheit der Deutschen hat sie dabei nicht hinter sich. Spätestens, wenn es darum gehen wird, deutsche Soldaten als Teil eines UNO-Mandats nach Gaza zu schicken, wird es ernst und gefährlich. Deutsche im Kampf gegen die Hochrüstung der Hamas und für die Sicherheit Israels. Auf die Debatten freue ich mich.

Und wie geht es sonst so weiter? Die Behörden, versprach die Kanzlerin, gehen weiter mit aller Härte gegen antisemitische Gewalt vor. Ja, was denn sonst? »Jüdisches Leben gehört zu uns. Es ist Teil unserer Identität und Kultur.« Schön! Und natürlich »Nie wieder Judenhass«. Da können wir getrost wieder an die Arbeit gehen. Die Anständigen vom Brandenburger Tor kümmern sich drum. Sind ja Tausende.

Die Autorin ist Ressortleiterin Zeitgeschehen beim Fernsehen des Hessischen Rundfunks.

Frankreich

Spezialeinsatz vor iranischem Konsulat in Paris

Ein Mann soll mit Granaten am Gürtel das Gebäude betreten haben

 19.04.2024

Wiesbaden

Hessen lädt iranischen Generalkonsul aus

Es könne nicht so getan werden, »als ob nichts gewesen wäre«, sagt Manfred Pentz (CDU)

 19.04.2024

Nahostkonflikt

»Israel muss iranische Rakete mit Atomsprengkopf fürchten«

John Bolton warnt im NZZ-Interview vor der Verbreitung von Nukleartechnologie durch Nordkorea

 19.04.2024

Meinung

Gezielte Aktionen gegen das iranische Regime werden weitergehen müssen

Warum Teheran nicht nur eine Gefahr für die Region, sondern auch für die Ukraine ist

von Saba Farzan  19.04.2024

Iran/Israel

Scholz warnt erneut vor Eskalation im Nahen Osten

Es habe »erneut eine militärische Aktivität« gegeben, stellt der Bundeskanzler fest

 19.04.2024

Gmund

Merz: Selbstverteidigungsrecht Israels endet nicht an eigener Grenze

»Die Eskalationsdominanz liegt allein beim Mullah-Regime in Iran«, so der CDU-Chef

 19.04.2024

Antisemitismus

Zentralrat der Juden äußert sich zu Hallervordens Gaza-Video

Das Gaza-Gedicht des Schauspielers wurde in den vergangenen Tagen massiv kritisiert

 19.04.2024

Vereinte Nationen

Amerikanisches Veto gegen UN-Vollmitgliedschaft für Palästina

Die USA sehen Einigung auf eine Zweistaatenlösung als Voraussetzung für eine Anerkennung

 19.04.2024

Berlin

Zeitung: Anstieg rechtsextremer und antisemitischer Straftaten

Durch Judenhass motivierte Straftaten nehmen stark zu

 19.04.2024