Gemeindetag

»Miteinander feiern wir, miteinander trauern wir«

Im Anschluss an die offiziellen Reden wurden die Kerzen gezündet. Foto: Marco Limberg

Josef Schuster wurde gleich zu Beginn sehr deutlich. »Wir werden uns nicht unterkriegen lassen«, rief er den mehr als 1000 Gästen, die zum Auftakt des Gemeindetags des Zentralrats der Juden in Deutschland in ein Berliner Hotel gekommen waren, zu. »Wer Juden hasst«, so der Zentralratspräsident, »ist herzlich eingeladen, Deutschland zu verlassen.«

Es sei gerade nach dem 7. Oktober schwer geworden, sich aktuell als Jude in Deutschland zugehörig zu fühlen, sagte Schuster. Dabei sei der gesellschaftliche Zusammenhalt gerade in diesen Zeiten enorm wichtig. »Wo ist Deutschland?«, fragte Schuster provokativ. Er wolle nicht glauben, dass das Land seine jüdischen Bürger einfach im Stich gelassen habe.

Bekenntnisse allein reichten nicht, betonte der 69-Jährige, der seit 2014 an der Spitze des Zentralrats steht. Um Werte müsse gekämpft werden. »Das müssen wir nach mehr als zwei Monaten des offenen Judenhasses auf deutschen Straßen ohne Wenn und Aber feststellen. Deutschland darf daran nicht scheitern«, so Schuster.

Frank-Walter Steinmeier, der unmittelbar danach ans Rednerpult trat, versuchte, genau auf diese Frage eine Antwort zu geben. Zwar zeigte der Bundespräsident Empathie mit den deutschen Juden und mit dem vom Terror der Hamas gebeutelten Israel. Konkret wurde er in seiner Ansprache aber nicht.

»Praktische Solidarität?«

»Wir sind fassungslos über die Brutalität und über die mit diesem Angriff ausgesandte Botschaft: Israel soll vernichtet werden, die Jüdinnen und Juden sollen ihre Heimat, ihre Sicherheit, ihren Staat – ja, ihr Leben verlieren«, sagte Steinmeier. »Ich sage: Wir alle sind betroffen. Denn diese Tat fordert von jedem in unserem Land, die Bedrohung genau zu verstehen, die Gefahr ohne Naivität zu erkennen und dann den Schutz gemeinsam zu organisieren. Wir fühlen mit den Opfern. Dieses Mitgefühl kann aber nur glaubwürdig und vertrauenswürdig sein, wenn daraus praktische Solidarität folgt.«

Wie diese praktische Solidarität aussehen kann, erläuterte der Bundespräsident nicht näher. Er wollte offenbar in erster Linie ein Zeichen des Mitgefühls und der Solidarität aussenden: »Ich möchte Ihnen heute Abend sagen: Ich sehe Ihre Ängste, Ihre Sorgen, Ihre tiefe Not. Auch deshalb bin ich heute bei Ihnen. Miteinander feiern wir, miteinander trauern wir.«

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Das Staatsoberhaupt weiter: »Nur wenn sich die Juden in Deutschland zu Hause fühlen, ist dieses Land bei sich selbst.« Es war nicht das erste Mal, dass Steinmeier diesen Satz so sagte. Bereits 2021 hatte er sich ähnlich geäußert. Das deutsche Staatsoberhaupt, das in der Vergangenheit auch vonseiten der jüdischen Gemeinschaft Kritik wegen seiner Nahostpolitik als Außenminister in der Großen Koalition einstecken musste, zeigte sich »erschüttert und zornig« über den Antisemitismus, der sich seit dem 7. Oktober auf deutschen Straßen gezeigt habe. »Wieder« gebe es diesen Judenhass, und »auch wieder neu«, sagte Steinmeier. Dass sich Schüler und Studierende nicht mehr an ihre Lehranstalten trauten, kommentierte er so: »Das kann und darf nicht wahr sein!«

Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, wurde dagegen konkreter. Er appellierte an die Einheit der Juden. »Wir sind bekannt für unsere Streitkultur, aber wir müssen jetzt wirklich zusammenhalten«, rief Prosor in den Saal. Schließlich mache die Hamas auch keinen Unterschied zwischen Orthodoxen und Säkularen.

»Keine Freunde, keine Partner«

Deutschland stünde an der Seite Israels. »Auf allen Ebenen« und »von links bis rechts« gebe es hierzulande Unterstützung für die jüdische Gemeinschaft. Den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen warf er dagegen ein »ohrenbetäubendes Schweigen« nach dem 7. Oktober vor. »Selten hat es so unmenschliche, barbarische Taten gegeben. Selten hat es so einen klaren Grund für einen Krieg gegeben.«

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Und trotzdem, so Prosor, rissen Menschen im Westen immer noch die Poster mit den Konterfeis der Hamas-Geiseln ab und stellten Israels Recht, sich zu wehren, in Abrede. In Anspielung an seine Zeit als israelischer UN-Botschafter in New York sagte er: »Ich war fünf Jahre bei der UN, da habe ich meine Haare verloren.«

Deutliche Kritik übte er an muslimischen Verbänden, die den Terror der Hamas nicht eindeutig verurteilen wollten. »Diejenigen, die die Taten nicht verurteilen und als das bezeichnen, was sie sind, ein Massaker, das sind nicht unsere Freunde. Das sind nicht unsere Partner!«, betonte der israelische Diplomat unter dem Applaus der Anwesenden.

Mit einem Kerzenzünden durch die Ehrengäste und einem Auftritt der Sieger des letzten Jewrovision-Gesangswettbewerb ging der offizielle Teil des ersten Abends des diesjährigen Gemeindetages zu Ende. Weitere Politprominenz wird in den nächsten Tagen erwartet: Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Samstagabend erwartet, Außenministerin Annalena Baerbock am Freitag und Justizminister Marco Buschmann am Sonntag. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst wird zu den Gästen des Gemeindetags sprechen.

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Dem Zentralratspräsidenten Josef Schuster war trotz aller Sorgen auch Stolz über die Veranstaltung und die sich dort manifestierende Vielfalt der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland anzumerken. Vier Jahre nach der letzten Veranstaltung dieser Art könne nun wieder ein Treffen von Jüdinnen und Juden aus ganz Deutschland stattfinden. »Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Terror hält uns nicht auf, im Gegenteil!«

Bei der Begrüßung las Schuster die Namen aller beim Gemeindetag vertretenen jüdischen Organisationen und Verbände ab. Dies dauerte mehrere Minuten.

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