CDU-Chef Friedrich Merz ist bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Wahlgang durchgefallen. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.
Es ist ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert, während es bei Ministerpräsidentenwahlen durchaus passierte.
Zweiter Wahlgang am Mittwoch?
Der früheste Termin für den zweiten Wahlgang wäre eigentlich am Freitag. Wie »Bild« berichtet, verhandeln die Fraktionschefs von Union, SPD, Grünen und Linken aber zurzeit darüber, ob der zweite Wahlgang nicht bereits heute oder am Mittwoch stattfinden könne. Dafür bräuchte es im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit.
Merz will nach dem Scheitern im ersten Wahlgang in einem zweiten Versuch zur Wahl als Bundeskanzler antreten. »Wir werden als Koalition – Union und SPD – Friedrich Merz erneut für den zweiten Wahlgang vorschlagen«, sagte Unionsfraktionschef Jens Spahn im Bundestag.
Es sei gemeinsam beschlossen worden, in einen zweiten Wahlgang zu gehen. Wann dieser stattfinden werde, sei aber noch offen. Es werde noch geklärt, ob dieser erst in einigen Tagen oder mit Zustimmung anderer Fraktionen möglicherweise auch früher stattfinden könne.
Linnemann will Tempo
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann setzt auf einen raschen nächsten Anlauf zur Wahl von Parteichef Friedrich Merz zum Bundeskanzler. »Die Welt ist in Unruhe. Europa braucht ein starkes Deutschland, und deswegen können wir jetzt nicht tagelang warten, sondern wir brauchen schnell Klarheit«, sagte er nach dem Verfehlen der Kanzlermehrheit für Merz im ersten Wahlgang.
Linnemann machte im TV-Sender Phoenix deutlich, er hoffe auf einen zweiten, dann erfolgreichen Wahlgang im Bundestag noch am Dienstag. Er betonte: »Friedrich Merz ist der richtige Kandidat zur richtigen Zeit.« Laut »Bild« wurden die Unionsabgeordneten angewiesen, sich in der Nähe des Reichstagsgebäudes aufzuhalten.
Der CDU-Politiker räumte ein, mit der gescheiterten Kanzlerwahl im ersten Wahlgang nicht gerechnet zu haben. »Ich war mir ziemlich sicher, dass das rund läuft.« Er wolle nicht philosophieren, aber natürlich habe der eine oder andere vielleicht ein Zeichen im ersten Wahlgang setzen wollen und im zweiten nicht.
Unvereinbarkeitsbeschluss bleibt
»Das Grundgesetz sieht solche Situationen vor, und entsprechend wissen das alle Beteiligten«, sagte Linnemann. Das sei jetzt Demokratie.
Die rechtsextreme AfD hatte bereits angekündigt, einer Wahl am Mittwoch zuzustimmen. Laut AfD-Parteichef Tino Chrupalla würden die Abgeordneten aber auf keinen Fall für Merz stimmen.
Es gibt jedoch auch an dieser Stelle in Problem: Die SPD will keine mit der rechtsextremen AfD zustandegekommene Zweidrittelmehrheit. Dies bedeutet, dass die Union die Grünen und die Linken bräuchte. Auch dies führt zu Schwierigkeiten, denn es gibt einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Union, der auch jegliche Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt. »Bild« schreibt jedoch, Merz soll intern erklärt haben, er wolle den Beschluss nicht kippen.
»Noch ist alles lösbar«
Auch CSU-Chef Markus Söder äußerte sich. Er warnte vor unkalkulierbaren Folgen für Deutschland und die Demokratie. »Der heutige Vormittag zeigt, dass wir in einer ernsten Lage sind. Eine ernste Lage für unser Land, aber auch für die Demokratie«, sagte der bayerische Ministerpräsident nach einer Sitzung seines Kabinetts in München. »Wir brauchen Stabilität wie nie und konnten es heute nicht erzielen.«
Es sei der falsche Zeitpunkt für Spielchen, Denkzettel oder die Begleichung alter Rechnungen, mahnte Söder in Richtung jener Abgeordneten von Union und SPD, die Merz im ersten Wahlgang ihre Stimmen verweigert haben. Jeder müsse sich überlegen, was für Deutschland auf dem Spiel stehe. Es gehe bei der Wahl des Kanzlers auch nicht nur um eine Person, sondern um eine ganze Regierung und dringend benötigte Stabilität für das ganze Land.
Die »höhnischen Kommentare der AfD« zeigten, die Gefahr eines Scheiterns der neuen Regierung »kann ein Vorbote von Weimar sein, denn die Folgen sind unabsehbar«, erklärte Söder. Es sei daher »wichtig, dass wir vernünftig bleiben« und abwägen, damit es die erforderliche Mehrheit geben kann.
Aus diesem Grund sei es nun auch der falsche Zeitpunkt, so Söder weiter, über Schuldzuweisungen zu sprechen. »Es geht jetzt nicht um das Einzelinteresse, wer was wird oder wer sich stärker oder schwächer fühlt oder wer vielleicht irgendwann mal den Eindruck hatte, dass man ihm nicht genügend Aufmerksamkeit gegeben hat.« Die persönlichen Gründe »mögen vielfältig sein, und vielleicht ist auch manches für den Einzelnen nachvollziehbar«, aber es gehe jetzt ums Land. Es gebe eine gemeinsame Verantwortung. »Noch ist alles lösbar, noch ist alles heilbar.«
14 Tage Zeit
Das Grundgesetz regelt gescheiterte Kanzlerwahlen folgendermaßen: In Artikel 63, der die Regeln für die Kanzlerwahl enthält, ist festgehalten: »Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen 14 Tagen nach dem Wahlgang mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.«
Sollte Merz den Eindruck gewinnen, er könnte in einem zweiten Wahlgang mehr Erfolg haben als im ersten, kann er jederzeit wieder antreten. Innerhalb der zweiwöchigen Frist kann es beliebig viele Wahlgänge mit verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten geben. Aber auch sie brauchen die absolute Mehrheit von mindestens 316 Stimmen, um gewählt zu sein.
Schafft das niemand, dann werden im nächsten Schritt die Anforderungen gesenkt. Nun reicht für die Wahl die einfache Mehrheit. Im Grundgesetz heißt es: »Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält.«
Wenn der oder die Gewählte die Kanzlermehrheit erhält, muss der Bundespräsident ihn oder sie innerhalb von sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Bei einer Wahl nur mit einfacher Mehrheit kann der Bundespräsident alternativ auch binnen sieben Tagen den Bundestag auflösen und eine Neuwahl ansetzen.
Rechtsextremisten begrüßen Scheitern
Die AfD hat die gescheiterte Kanzlerwahl von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Durchgang begrüßt. »Das zeigt, auf welch schwachem Fundament die kleine Koalition aus Union und von den Bürgern abgewählter SPD gebaut ist«, schrieb Parteichefin Alice Weidel bei X.
»Das ist erstmal eine gute Sache, denn dieses Ausmaß von Wahlbetrug, so Kanzler zu werden und dann einfach, dass das durchgeht, das darf nicht sein«, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, in einem Video auf der Plattform.
Merz sei von vornherein beschädigt. Er habe »die Quittung bekommen für seine ganzen Machenschaften im Vorfeld, für den ungeheuren Wahlbetrug, den es vorher überhaupt noch nie so gegeben hat«. Baumann fügte hinzu, der nächste Wahlgang sei wahrscheinlich am Mittwoch.
Wadephul zuversichtlich
Der designierte Außenminister Johann Wadephul (CDU) erklärte, Merz sei nicht politisch beschädigt. »Also es hat doch schon zahlreiche Wahlgänge von Ministerpräsidenten in ganz Deutschland gegeben, wo es im ersten Wahlgang nicht gereicht hat. Auch in anderen Staaten ist das schon passiert. Und wer redet heute noch darüber, ob es im ersten oder zweiten Wahlgang geklappt hat?«, sagte der CDU-Politiker in Berlin.
Wadephul betonte zugleich sein Bedauern, dass Merz im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit nicht erreicht hat. Am Ende sei die Wahl eine Gewissensentscheidung, die sei »bedauerlicherweise so ausgefallen, wie sie ausgefallen ist«. Nun würden die Abgeordneten »noch einmal in sich gehen«, und er sei »zuversichtlich«, dass es danach klappen werde.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) setzt trotz des vorläufigen Scheiterns der Kanzlerwahl auf eine zügige Bildung einer neuen Bundesregierung. »Ich finde das, was heute passiert, ist unverantwortlich«, sagte die SPD-Politikerin mit Blick auf die verfehlte Kanzlermehrheit für CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Wahlgang.
Planung des zweiten Wahlgangs
Als Ministerpräsidentin eines ostdeutschen Bundeslands wisse sie, wie schwer es gerade vor Ort sei. In den letzten Tagen sei intensiv dafür gearbeitet worden, eine gute, stabile Regierung bilden zu können und den Menschen Antworten geben zu können. Sie wünsche sich jetzt, dass dies so zügig wie möglich auch möglich sei. Schwesig war auf SPD-Seite an den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU beteiligt.
Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Da wollen einige wohl die Republik brennen sehen. Dass Merz bei der Kanzlerwahl 18 Stimmen aus der Koalition fehlten, ist dramatisch und zeigt, dass manche Abgeordnete den Ernst der Lage national wie international verkennen.«
»Abgeordnete sind laut Verfassung nur ihrem Gewissen verpflichtet, doch das heißt nicht, dass sie fahrlässig und leichtfertig mit ihrem Mandat umgehen dürfen«, fügte Beck hinzu. »Die Nein-Stimmen aus der Koalition, gemeinsam mit der AfD, schufen eine Chaos-Mehrheit. Es besteht die Gefahr, dass das Manöver die AfD näher zur Machtoption gebracht hat. Es gefährdet die Stabilität der Republik.«
Aktienmarkt reagiert
Der Rückschlag für Merz bei der Kanzlerwahl hat auch einen Rücksetzer am Aktienmarkt ausgelöst. Der Dax rutschte schon kurz nach dem Auftakt ins Minus und verstärkte diese Bewegung nach der Merz-Pleite im ersten Wahlgang. Zuletzt büßte der Leitindex 1,1 Prozent auf 23.084 Punkte ein. Auch der EuroStoxx 50 war mit 0,7 Prozent ins Minus gerutscht.
Sinnbild der Unsicherheit waren am Dienstag auch die Aktien aus dem Rüstungssektor, bei denen Anleger dazu übergingen, Gewinne mitzunehmen. Rheinmetall büßten zuletzt im Dax vom Rekordniveau kommend 2,4 Prozent an Wert ein. Renk und Hensoldt sackten im MDax um bis zu 3,1 Prozent ab. dpa/ja