Europa

Mehr Macht als gedacht

Wo über Milliarden entschieden wird: die EU-Kommission in Brüssel Foto: Getty Images

Seit 45 Jahren dürfen die Bürger in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihre Abgeordneten zum Europaparlament (EP) direkt wählen. Und doch ist der alle fünf Jahre stattfindende Urnengang so etwas wie das Stiefmütterchen unter den Wahlen. Eher träge Wahlkämpfe, kaum bekannte Spitzenkandidaten und ein geringes mediales Interesse an europapolitischen Themen führen zu einer geringen Wahlbeteiligung und zu »Denkzetteln« für die in den einzelnen Ländern regierenden Parteien.

Immerhin: Beim letzten Mal, im Mai 2019, gaben mehr als die Hälfte der stimmberechtigten Europäer ihr Votum ab. Auch in Deutschland lag die Beteiligung erstmals seit 1994 wieder über der 50-Prozent-Marke.

370 Millionen Bürger in 27 EU-Mitgliedsstaaten

Am Sonntag sind erneut rund 370 Millionen Bürger in den 27 EU-Mitgliedsstaaten zur Wahl aufgerufen. Auch die 16- und 17-Jährigen dürfen mitwählen. Insgesamt werden 720 Abgeordnete gewählt, aus Deutschland sind es 96. Es ist eine reine Listenwahl, jeder Wähler hat eine Stimme, eine Änderung der Reihung der Kandidierenden auf den jeweiligen Listen ist nicht möglich. Fast alle Parteien haben bundesweit einheitliche Wahlvorschläge eingereicht, nur CDU und CSU treten in jedem Bundesland mit eigenen Listen an.

Eine Sperrklausel wie bei Bundestagswahlen gibt es momentan nicht, was bedeutet, dass in Deutschland rund ein Prozent der abgegebenen Stimmen ausreicht, um ein Mandat zu ergattern. Zehn oder elf Mal im Jahr tagt das Plenum des Parlaments in Straßburg, die übrigen Sitzungen finden in Brüssel statt.

Doch um was geht es bei dieser Wahl wirklich? Und über welche wichtigen Themen wird das Europaparlament in den nächsten Jahren entscheiden? Entgegen anderslautenden Behauptungen hat die Volksvertretung durchaus wichtige Kompetenzen, darunter die Aufstellung und Verabschiedung des EU-Haushalts und die Kontrolle der Europäischen Kommission.

Allerdings hat das Parlament auf dem Feld der Außenpolitik inhaltlich wenig mitzubestimmen. Das letzte Wort haben die Regierungen der Mitgliedsstaaten, und sie müssen einstimmig entscheiden, unter anderem, was Sanktionen angeht. Den Abgeordneten bleibt nicht viel mehr, als ihre Forderungen in Resolutionen zu gießen.

Der EU-Außenbeauftragte (aktuell der Spanier Josep Borrell) wird ebenfalls nicht vom Parlament bestimmt; er unterliegt nicht den Instruktionen des Hohen Hauses, steht ihm aber regelmäßig Rede und Antwort. Auch der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, ist dem Parlament keine Rechenschaft schuldig.

Einfluss gegenüber der Europäischen Kommission

Mehr Einfluss hat die Volksvertretung hingegen gegenüber der Europäischen Kommission, der »Regierung« der EU: So wie der Bundestag den Kanzler wählt, bestimmt das Parlament – in geheimer Abstimmung und auf Vorschlag des Europäischen Rates – mit über den Chefposten bei der Europäischen Kommission. Die amtierende Präsidentin, Ursula von der Leyen (CDU), die sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, erhielt beim letzten Mal nur neun Stimmen mehr, als unbedingt nötig waren. Diesmal dürfte es noch knapper werden.

Jüdische Organisationen rufen angesichts der Bedeutung der Wahl zur Teilnahme auf.

Im Fall ihrer Wiederwahl würden von der Leyens Kommissare (aus jedem EU-Land einer) vom Parlament ebenfalls auf ihre Tauglichkeit geprüft. Sollte von der Leyen nicht vom Rat nominiert werden oder im Parlament durchfallen, könnte gemäß dem Vertrag der Ampelkoalition in Berlin ein Grüner als deutscher Kommissar nach Brüssel entsandt werden.

Jüdische Organisationen rufen angesichts der Bedeutung der Wahl zur Teilnahme auf. Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) veröffentlichte Anfang Mai sogar ein eigenes Manifest, in dem sie auf 14 Seiten die ihrer Ansicht nach für die jüdische Gemeinschaft drängendsten Fragen benannte.

Darunter waren Dauerbrenner wie das Eintreten der EU für den Schutz jüdischen Lebens und die freie Religionsausübung und gegen Antisemitismus ebenso wie die konkrete Forderung nach einer verschärften europäischen Gesetzgebung gegen Hassverbrechen. Außerdem forderte CER-Präsident Pinchas Goldschmidt, dem im Mai der Aachener Karlspreis verliehen wurde, von der EU, jährlich mindestens 50 Millionen Euro für den Schutz jüdischer Einrichtungen bereitzustellen.

Ob sich die Abgeordneten des neuen Parlaments darauf einlassen werden, bleibt abzuwarten. Auch über andere Bereiche des Haushalts wird regelmäßig gestritten. So bestimmt das Europäische Parlament, gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten, auch, wie viel EU-Gelder an die Palästinensische Autonomiebehörde und an das UN-Hilfswerk UNRWA ausgezahlt werden. Versuche, einen Teil der Mittel zurückzuhalten und an Reformen zu knüpfen, scheiterten in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode.

Kontrolle der Verwendung der Mittel durch die Europäische Kommission

Das Europaparlament kontrolliert auch die Verwendung der Mittel durch die Europäische Kommission. Und es ratifiziert wichtige Verträge, darunter auch Handels- oder Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten. Wegen des Gaza-Krieges fordern aktuell einige Politiker, bestehende EU-Abkommen mit Israel auszusetzen. Auch dem müsste das Parlament zustimmen.

Haben im Bundestag Initiativen von Oppositionsfraktionen selten Aussicht auf Erfolg, ist das im Europäischen Parlament anders. Hier gilt kein strenger Fraktionszwang, die Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten verläuft oft harmonischer als auf nationaler Ebene. Eine Regierungskoalition oder gemeinsame Plattform der wichtigen Parteien gibt es nicht. Allerdings bemühen sich Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne um eine klare Abgrenzung gegen rechtsradikale und anti-europäische Gruppierungen.

Doch auch hier ist einiges im Fluss: Jüngst schloss die Identität & Demokratie-Fraktion, in der das französische Rassemblement National von Marine Le Pen dominant ist, die deutsche AfD aus ihren Reihen aus. Selbst Le Pen waren die deutschen Kollegen zuletzt zu rechtsextrem.

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