Berlin

Kein Antisemitismusbeauftragter mehr in dieser Wahlperiode

Bundestagspräsident Norbert Lammert wies die Kritik des Zentralrats an einer mangelhaften Beschäftigung des Parlaments mit Antisemitismus zurück. Foto: Screenshot Parlamentsfernsehen

Den von unabhängigen Experten und Zentralrat der Juden geforderten Antisemitismusbeauftragten auf Bundesebene wird es in dieser Wahlperiode nicht mehr geben. Der Bundestag fasste am Mittwoch keinen entsprechenden Beschluss.

Das Parlament beriet in Berlin in einer einstündigen Debatte über den im April vorgelegten Bericht des Expertenkreises Antisemitismus, der einen Sonderbeauftragten empfiehlt. Über einen Antrag der Grünen, der darauf zielte, die Empfehlung nun auch umzusetzen, wurde nicht abgestimmt. Der Antrag wurde nach Beschluss aller Fraktionen in die Ausschüsse verwiesen und wird damit in dieser Wahlperiode voraussichtlich nicht mehr abschließend beraten.

Der von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkreis hatte neben einem Beauftragten unter anderem auch eine konsequentere Erfassung antisemitischer Straftaten, die dauerhafte Förderung von Trägern, die sich gegen Judenhass einsetzen, und eine Verstetigung seiner eigenen Arbeit gefordert. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass Antisemitismus in allen Bevölkerungsschichten vorkomme. Zugenommen hätten insbesondere die Hasskommentare in den sozialen Netzwerken.

Experten Das Gremium hatte bereits 2011 einen ersten Bericht vorgelegt und wurde 2015 neu berufen, um die Erkenntnisse zu aktualisieren. Der Antrag der Grünen, über den der Bundestag am Mittwoch abstimmte, sah vor, die Bundesregierung zur Umsetzung aller Forderungen der Experten aufzufordern.

Der Zentralrat der Juden hatte zuvor die Befassung des Parlaments mit dem Thema in einer Debatte ohne konkrete Beschlüsse als unzureichend kritisiert. Präsident Josef Schuster forderte die Parlamentarier dazu auf, noch in dieser Wahlperiode Vorkehrungen zu treffen, damit die Empfehlungen der Experten tatsächlich umgesetzt werden. Der Bundestag kommt in dieser und der nächsten Woche zum letzten Mal zu Plenumssitzungen vor der Wahl am 24. September zusammen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wies in der Bundestagsdebatte die Kritik des Zentralrats an einer mangelhaften Beschäftigung des Parlaments mit Antisemitismus zurück. Diesem Parlament sei das Thema ein dauerndes und besonders ernsthaftes Anliegen, sagte er. Das sei in dieser Legislaturperiode mehrfach deutlich gemacht worden.

Staatsräson Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), sagte, der Kampf gegen Antisemitismus gehöre zur Staatsräson der Bundesrepublik. Die Vizepräsidentin des Bundestags, Edelgard Bulmahn (SPD), betonte, dass Antisemitismus für Menschen jüdischen Glaubens allgegenwärtig sei. Es dürfe niemand so tun, als ob Antisemitismus in Deutschland überwunden sei, sagte Bulmahn.

Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck verlangte in seinem Redebeitrag eine zügige Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Expertenkreises.

»Wir dürfen bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht noch einmal versagen«, sagte er. Die Linken-Politikerin Petra Pau verwies auf die Verantwortung der Bundesregierung. Niemand hindere sie daran, die Empfehlungen jetzt umzusetzen, sagte sie. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte dagegen zuvor in Berlin gesagt, es sei unpassend, vor der Beschäftigung des Bundestags mit dem Thema Festlegungen zu treffen. epd

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Deutschland

Massive Proteste gegen neuen AfD-Nachwuchs 

Die AfD organisiert ihren Nachwuchs - Gießen erlebt den Ausnahmezustand. Zehntausende haben sich nach Mittelhessen aufgemacht, um die Gründung der Generation Deutschland zu verhindern

von Christian Schultz  30.11.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  30.11.2025

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 30.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  29.11.2025