Debatte

Im Zweifel für das kleinere Übel

Ihre eigene Familiengeschichte führt ihr die Problematik vor Augen: Karin Prien Foto: Uwe Steinert

Debatte

Im Zweifel für das kleinere Übel

Die CDU muss den Umgang mit der Linkspartei überdenken

von Karin Prien  19.02.2020 15:24 Uhr

Sag, wie hältst du’s mit der Linkspartei? Seit den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen ist in der Union eine erneute Debatte darüber entbrannt, wie man mit der Linkspartei umgehen soll.

Als Christdemokraten tun wir uns mit dieser Frage zu Recht schwer, weil sie uns vor ein Dilemma stellt. Die CDU regiert in Deutschland in ganz unterschiedlichen Koalitionen mit SPD, Grünen und FDP. Diese drei Parteien sind für uns Parteien des Spektrums der Mitte.

Wir haben zu den meisten Fragen andere Haltungen, andere Antworten als SPD, Grüne oder die Freien Demokraten, aber wir gestehen diesen Mitbewerbern mit Respekt zu, dass diese für unser Land das Beste im Sinn haben und wir uns in Koalitionsverhandlungen auf pragmatische Kompromisse einigen können.

Die aktuell größte politische Gefahr für unser Land ist die AfD.

Insbesondere durch die Unterschiedlichkeit der Parteien in den Bundesländern ergibt sich eine immer neue Diskussionsgrundlage für gemeinsames Regieren. Man kann als Christdemokrat sehr konservativ sein, Grundrente und Ehe für alle ablehnen, ohne das Spektrum unserer Partei zu verlassen. Auch Gewerkschafter und Gegner des Ehegattensplittings finden in unseren Reihen ihren Platz.

ROTE LINIE Es gibt aber nach links und nach rechts je eine rote Linie. Diese Linie – und das ist einer der Punkte, wo linke und rechte Extremisten sich sehr ähnlich sind – ziehen wir zum Beispiel da, wo das Kollektiv über den Einzelnen gestellt wird.

Niemals darf uns ein abstraktes Volkstum wichtiger sein als die Rechte des Einzelnen. Niemals dürfen wir die Freiheit des Einzelnen und die Freiheit der Verwirklichung des eigenen Lebens ungerechtfertigt einschränken, weil es dem Kollektiv dienen soll. Kollektivistische Ideologien führen immer ins Verderben.

Die Linkspartei steht außerhalb dieser roten Linie. Ihr latenter Antisemitismus, die fehlende Haltung zu Israel, Glückwunschtelegramme für sozialistische Autokraten und die fehlende Abgrenzung zum SED-Unrechtsregime stellen eine Partei wie die Linke für uns Christdemokraten außerhalb des demokratischen Grundkonsens, den wir in Deutschland pflegen.

Die AfD steht – wenn auch aus anderen Gründen – erst recht außerhalb. Wenn man sich die faschistischen Ideen eines Björn Höcke anhört oder die Sprache von Gauland, Kalbitz und Co. genauer betrachtet, wird klar, dass Demokraten um die AfD einen weiten Bogen machen müssen.

Ja, die Linke hat eine politische Ideologie, die wir bekämpfen. Aber machen wir uns nichts vor: Die aktuell größte politische Gefahr für unser Land, unser freies und demokratisches Deutschland, ist die AfD.

 

Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ist von schöner Schlichtheit, aber löst nicht das Dilemma.

Manches in unserem Land ist nicht perfekt und läuft nicht gut. Dennoch ist unser Deutschland im Jahr 2020 das beste und freieste Deutschland, das es je gegeben hat. Nichts Gutes kann dabei herauskommen, wenn die Politik der AfD die Zeit zurückdrehen will.

FAmiliengeschichte Meine eigene Familiengeschichte führt mir die Problematik vor Augen. Die Teile meiner Familie, die Glück hatten und die Verfolgung durch die Nazis überlebten, wurden danach von Kommunisten verfolgt. Autoritäre Regime und kollektivistische und faschistische Bewegungen haben sich schon immer Juden als Ziel gesucht.

Und wenn in den Wochen um den 27. Januar wieder gefragt wurde, was denn unser deutsches »Nie wieder!« konkret bedeute, dann verweise ich genau darauf.

Nie wieder dürfen wir zulassen, dass Faschisten und Rechtsextreme Einfluss auf die Politik haben. Und selbst wenn durch diese Wahl kein AfD-Politiker konkrete politische Macht bekommen konnte, so hat die AfD durch ihre Finte unserer Demokratie einen schweren Schaden zugefügt.Für mich ergibt sich daher auch (aber nicht nur!) aus meiner Familiengeschichte, dass wir die Extremisten links und rechts der roten Linie bekämpfen müssen.

Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ist eindeutig und von schöner Schlichtheit, aber er gibt uns keine Lösung des Dilemmas an die Hand. Nun ist es aber so, dass auf kommunaler Ebene und auch in den ostdeutschen Bundesländern die Linkspartei häufig eine pragmatisch-bürgerliche Politik macht und vielerorts Christdemokraten mit Politikern der Linken zusammenarbeiten müssen oder wollen.

Ostdeutschland Zu Beginn meines Berufslebens habe ich einige Jahre in Leipzig gelebt und gearbeitet. Und auch, wenn ich heute in Ostdeutschland bin, merke ich, dass 45 Jahre sozialistische Diktatur Spuren im Verhältnis zu Demokratie und autoritärem Denken hinterlassen haben.

In der Lausitz sind die politischen Lager nicht die gleichen wie im Bergischen Land.

Das darf man niemandem zum Vorwurf machen, man darf aber eben nicht denken, dass in der Lausitz die politischen Lager die gleichen sind wie im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen. Wenn ich nach Thüringen blicke, hilft es nichts, über vergossene Milch zu trauern.

Wir müssen unseren Umgang mit der Linken überdenken. Damit meine ich nicht, dass wir demnächst mit der Linkspartei koalieren. Aber wir müssen Wege finden, mit dem Dilemma umzugehen, das wir derzeit vor allem in ostdeutschen Bundesländern erleben.

Wenn CDU, SPD, Grüne und FDP zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommen, ist das ein Problem! Da müssen wir neue Antworten entwickeln.

Und wenn wir vor der Wahl stehen, gemeinsam mit der AfD einen bürgerlichen Kandidaten zu wählen oder durch unsere Enthaltung Bodo Ramelow die Wahl zu ermöglichen? Dann sollten wir uns in solch einem Fall zukünftig für das kleinere Übel entscheiden.

Eine solche Debatte in unserer Partei zu führen, ist keine leichte Aufgabe. Aber als gute Demokraten sollten wir uns vor schweren Aufgaben nicht drücken. Ganz im Gegenteil. Die Diskussion fängt gerade erst an.

Die Autorin ist Sprecherin des Jüdischen Forums in der CDU und Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein.

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