Berlin

»Ich glaube, dass wir ein Riesenproblem haben«

Ahmad Mansour, Josef Schuster und Hanna Veiler (v.l.n.r.) während der Panel-Diskussion Foto: Gregor Matthias Zielke

Judenhass, eine Form der Menschenfeindlichkeit, die nicht erst seit dem 7. Oktober auch in Europa und Nordamerika wieder aufflammt, war das zentrale Thema des Abends mit Josef Schuster und Ahmad Mansour. Ihre Diskussionen, die sich auch mit der Frage beschäftigen, wie mit dem Islamismus in der Bundesrepublik umgegangen werden sollte, sind bereits als Buch erschienen. Im Berliner Kabarett-Theater »Die Stachelschweine«, dem ersten seiner Art, das in Israel auftrat, diskutierten sie dennoch weiter.

Mansour sprach in Zusammenhang mit dem Buch von »dokumentierter Hilflosigkeit«. Nach den Massakern der Terroristen aus Gaza sei ihm klar geworden »dass wir ohne den 7. Oktober kein Buch veröffentlichen können.« Zunächst sei über Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Justizreform diskutiert worden. Dann sei alles anders gewesen.

Bei der Publikation war laut Schuster ein weiterer Aspekt wichtig: »Es gibt Probleme zwischen dem organisierten Judentum und dem organisierten Islam. Wir wollten zeigen, dass dies bei individuellen Gesprächen aber anders aussehen kann.« Mit dem Buch ist dies gelungen.

»Ungutes Gemisch«

Beide Panel-Teilnehmer – Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, und der Psychologe und Islamismus-Experte Mansour – wurden in Israel geboren. Schuster erblickte das Licht der Welt 1954 in Haifa, der israelische Araber Mansour 22 Jahre später in Meschulasch. Mit seiner Familie kam Schuster 1956 in die Bundesrepublik, Mansour erst 2004. Trotz der Unterschiede bezüglich ihrer Herkunft und Ihres Alters denken sie ähnlich. Dies wurde im Lauf des Abends deutlich.

Hanna Veiler, die Präsidentin der Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) führte als Moderatorin gekonnt durch den Abend. Die Massaker hätten das Leben der Israelis »für immer verändert«, sagte sie – und wollte nun wissen: »Was hat der 7. Oktober mit den Juden in Deutschland gemacht?«

»Was wir seither an Antisemitismus erlebt haben, hat ein Ausmaß angenommen, das ich nicht für möglich gehalten hatte«, gab Schuster zu. Muslimischer Antisemitismus, linker Antisemitismus – auch im Kulturbereich – und durch Rechtsradikale verbreiteter Judenhass stellten zusammen »ein sehr ungutes Gemisch« dar.

»Gigantisches Ausmaß«

Mansour nahm derweil eine generelle Einordnung des schwarzen Tages vor einem Jahr vor: Er habe »viele Kriege, Krisen und Intifadas« erlebt sowie Terroranschläge und den ersten Golfkrieg. »All diese Erlebnisse waren traumatisch, aber wir Israelis wussten: Wir stehen wieder auf.«

Am 7. Oktober sei aber »ein Albtraum in gigantischem Ausmaß« ausgebrochen. »Ich glaube, die Mehrheit der Menschen auf der Welt hat nicht verstanden, was es bedeutet, wenn in einem Land von nur neun Millionen Menschen 1200 von ihnen an einem Morgen ermordet werden.«

Israel sei gegründet worden »damit sich die Leute nicht im Keller oder im Schrank verstecken müssen.« Nachdem dies dennoch passiert sei, kämpfe das Land nun an neun Fronten, nämlich gegen die Hamas, die Hisbollah, die Huthi, diverse andere Terrororganisationen und gegen den Iran. Es gehe dem Terror um eine Vernichtung Israels. Auch dies habe die Welt nicht verstanden. In Israel selbst habe der 7. Oktober ein Trauma ausgelöst.

Hanna Veiler sorgte für eine Diskussion, in der die relevantesten Themen komprimiert erörtert wurden. Josef Schuster hatte zuvor schon an zwei Gedenkveranstaltungen teilgenommen.Foto: Gregor Matthias Zielke
»Radikale Kreise«

Nach mehreren Gedenkveranstaltungen am Jahrestag der Massaker sollte die Diskussion zwischen Schuster und Mansour nicht länger als eine Stunde dauern. Hanna Veiler kam daher schnell zum nächsten Punkt, nämlich den Intifada-Rufen, der Terrorverherrlichung und dem Judenhass auf dem Campus in der Bundesrepublik. »Was ist die Rolle der jüngeren Generation? Ist sie das Problem?«

Josef Schuster wies darauf hin, dass unterschieden werden müsse – zwischen einzelnen Universitäten und Orten in Deutschland: »Im großstädtischen Milieu, inklusive Berlin, gibt es innerhalb der Studentenschaft radikale Kreise, die es schaffen, das Klima an Unis zu vergiften.« Auch betonte er, nicht alle, die an israelfeindlichen Demonstrationen an Unis teilnähmen, seien Studenten.

Der Präsident des Zentralrates kritisierte bei diesem Panel Universitätsleitungen, die sich nicht dazu in der Lage sähen, den Israelhassern Einhalt zu Gebieten. Dies sei für ihn ein Skandal.

Kippot in Berlin

Ähnlich reagierte Mansour: »Ich glaube, dass wir ein Riesenproblem haben.« Er spricht von »Krawallmachern«, einer Minderheit unter den Studenten, die gut vernetzt sei und andere einschüchtere. »Sie gewinnen diesen Kampf, weil bei der Uni niemand gewillt ist, Flagge zu zeigen.«

Er selbst sei bei einer Veranstaltung in einer Uni angeschrien worden, obwohl es gar nicht um Israel oder den Nahen Osten gegangen sei, sondern vielmehr um psychologische Aspekte. »Probleme zu verdrängen, ist keine Lösung«, so Mansour in Zusammenhang mit dem an Unis gezeigten Hass.

Auch die Sicherheit der Juden und proisraelischer Menschen in Deutschland kam zur Sprache. Schuster erklärte, als neu gewählter Präsident des Zentralrates, im Jahr 2014, sei er gefragt worden, was er davon halte, dass Juden in gewissen Berliner Stadtteilen keine Kippot mehr tragen könnten, ohne angegriffen zu werden. »Heute ist es in Berlin generell so.« Allerdings sei die Sicherheit in den Gemeinden gut.

Tränen vor der Passkontrolle

Mansour erzählte von einem Erlebnis während einer Reise nach Israel im März. Ein deutscher Jude, den er auf dem Flug kennengelernt habe, sei auf dem Weg zur Passkontrolle in Tel Aviv plötzlich in Tränen ausgebrochen, »weil er sich in Israel erstmals sicher fühlte – mitten in einem Krieg.« Dies sage viel aus über die Zustände in Deutschland.

Laut Schuster muss das Sicherheitsgefühl für Juden wiederhergestellt werden. »Eine große Verantwortung sehe ich bei der Justiz.« Die Gesetze seien ganz gut. Bei Judenhass würden jedoch immer entlastende Argumente gesucht. Für »schärfere und härtere Urteile« sprach er sich erneut aus: »Mit sechs Monaten Bewährung holen Sie niemanden hinter dem Ofen vor.«

Ahmad Mansour stimmte zu: »In dem Moment, in dem Antisemiten Angst davor haben, antisemitisch zu sein und sich Juden sicher fühlen, haben wir eine Gesellschaft, die funktioniert.« Viele Gäste applaudierten an dieser Stelle.

Ahmad Mansour: »Ich mache mir Sorgen um Europa.»Foto: Gregor Matthias Zielke
150.000 Juden und 5,5 Millionen Muslime

Die deutsche Israel-Politik bekam an diesem Abend ebenfalls Kritik ab. Mansour sagte, die wenigsten Menschen in Deutschland wüssten, was Terror sei. »Wenn dann unsere Außenministerin kommt oder andere in Europa meinen, Israel beibringen zu wollen, wie man einen Krieg führt, dann ist dies hochnäsig.«

Hanna Veiler fragte weiter: Es gebe viele Initiativen gegen Judenhass. »Trotzdem sehen wir, was wir sehen.« Die JSUD-Präsidentin fragte: »Hätten wir es kommen sehen sollen? Sind die Initiativen gescheitert? Hätte man ahnen können, was kommt?«

Josef Schuster verneinte letztere Frage. »Selbst die Israelis haben es verschlafen, um es deutlich zu sagen.« Er erwähnte 150.000 Juden und 5,5 Millionen Muslime, die in der Bundesrepublik lebten. Viele Muslime würden indoktriniert. »Bei diesem Missverhältnis wundert es mich nicht«, sagte Schuster. »Aber mich wundert, wie man damit umgeht.«

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»Mehr Empathie«

Hier kam Widerspruch von Ahmad Mansour: »Ich glaube, wir hätten doch ahnen können, dass es in diese Richtung geht.« Die Gesellschaft müsse für Einwanderer klar definieren, was es bedeute, in Deutschland zu leben. »Dies haben wir nicht getan.«

Auch sagte Mansour: »Wir sollten alle unsere Projekte hinterfragen.« Er erteilte interreligiösem Dialog, »in dem alle Probleme ausgeklammert werden«, eine klare Absage. »Wer meint, Juden seien komische Menschen oder wer auf der Straße mit Antisemiten läuft, gehört nicht hierher.«

Als es schließlich um die Zukunft ging, wünschte sich Josef Schuster Änderungen in der Berichterstattung vieler Medien. Es müsse gezeigt werden, dass die Hamas und die Hisbollah Terrororganisationen seien, die Menschen als lebende Schutzschilde missbrauchten. »Dies ist ein Punkt, wo mehr Empathie (mit Israel) geschaffen werden kann.«

Derweil klang Mansour plötzlich optimistisch – zumindest teilweise: »Ich glaube, dass Israel den Krieg gewinnen wird und mehr Zusammenarbeit kommen wird – weit über die Abraham Accords hinaus.« Dann kam die Einschränkung: »Aber ich mache mir Sorgen um Europa.«

Das Buch »Spannungsfelder - Leben in Deutschland« (176 S., 20 €, Herder Verlag) mit den Gesprächen zwischen Josef Schuster und Ahmad Mansour wurde im September veröffentlicht.

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