Tuvia Tenenbom

»Ich gehe nicht wählen«

Tuvia Tenenbom Foto: Gregor Zielke

Auch in der deutschen Öffentlichkeit ist wochenlang die Frage debattiert worden, wer in den USA Präsident wird. Zeitweise hinterließen die Berichte über Donald Trumps Eskapaden, Hillary Clintons E-Mail-Affäre oder die Analysen ihrer TV-Duelle den Eindruck, die Wahl der Amerikaner würde Deutschland selbst betreffen. Seit Mittwochmorgen ist die Präsidentschaftsfrage geklärt. Die Amerikaner haben sich für Donald Trump entschieden.

Die Wahl hätten sie sich auch sparen können, meint allerdings Tuvia Tenenbom. Der israelisch-amerikanische Autor und Leiter des Jewish Theater of New York saß am Montagabend im Grünen Salon der Berliner Volksbühne. Die Wahl des 45. US-Präsidenten stand noch bevor. Für wen er denn stimmen werde, wollte Sebastian Engelbrecht vom Deutschlandradio von ihm erfahren. »Ich gehe nicht wählen«, erklärte Tuvia Tenenbom mit einer Selbstverständlichkeit, die den Moderator kurzzeitig sprachlos werden ließ.

Verloren Er habe sich gegen die Wahl entschieden, weil es letztendlich egal sei, wer das nächste Staatsoberhaupt ist. Zwischen Hillary Clinton und Donald Trump sah Tenenbom keinen Unterschied. Das Land sei, ob unter demokratischer oder republikanischer Führung, sowieso verloren.

Seine siebenmonatige Reise durch die USA hat Tenenbom zu einem Nichtwähler gemacht. Für den Suhrkamp-Verlag hatte sich der Journalist, der seit 35 Jahren in Manhattan lebt, im vergangenen Jahr zu seiner Recherche aufgemacht. »Als ich begann, habe ich gedacht, ich werde über ein ruhmreiches Land schreiben, dem freiesten auf der ganzen Welt«, sagte Tenenbom. Doch die Geschichte sei eine andere geworden: über eine gespaltene Gesellschaft, in der teils bittere Armut herrscht, für die sich niemand interessiert. Das Schlimmste sei die Gleichgültigkeit.

Sein knapp 500 Seiten langer Reisebericht Allein unter Amerikanern ist vor einem Monat erschienen, allerdings noch nicht in den USA. Ob dort mit seinem Buch eine größere Debatte losgetreten wird, bleibt abzuwarten. Die Zukunft der USA würde nicht der nächste Präsident entscheiden, sondern die Frage, ob sich aus der Bevölkerung heraus Widerstand gegen die gegenwärtige gesellschaftliche Situation herausbildet. Das sei die einzige Chance, um etwas zu verändern, zeigte sich Tuvia Tenenbom am Montag überzeugt.

Zwei Episoden beschäftigen ihn noch heute: die zahlreichen Obdachlosen, die ihr Nachtquartier vor einem Fünf-Sterne-Hotel aufgeschlagen hatten, in dem er untergebracht war. Und das Leben in den »hoods«, den Vierteln der Armen, in denen Schießereien, Drogenhandel und Morde an der Tagesordnung stehen.

Objektivität »Warum guckt dort niemand hin? Wo sind die Medien, die darüber berichten? Warum muss erst ich kommen, um darüber zu schreiben?«, rief Tuvia Tenenbom ins Mikrofon. Die journalistische Objektivität sei in den USA abhandengekommen, stellte er verärgert fest.

Die amerikanische Realität, die er auf seiner Reise vorgefunden hat, bereitet ihm Angst. Neben der Armut, den rechtsfreien Räumen und fehlender öffentlicher Kritik hat er Antisemitismus beobachtet und Juden getroffen, die Israel und israelische Juden hassen. Von einigen sei er sogar als »ugly Jew«, als hässlicher Jude, beschimpft worden. Amerikaner seien Menschen, so Tenenbom, die auf der einen Seite fanatisch Waffen sammeln und auf der anderen Zigaretten verteufeln. Die ihre Welt beschönigen. Jedes Gespräch, das er dort geführt habe, habe damit begonnen, wie toll das Land sei, in dem sie leben. Erst mit der Zeit rückten sie mit der Wahrheit heraus: dass sie beispielsweise obdachlos sind oder unzufrieden mit der Politik.

Die amerikanische Politik habe in den vergangenen Jahrzehnten versagt, davon zeigte sich Tuvia Tenenbom überzeugt. An eine Verbesserung der Situation glaubt er nicht. Insofern ist ihm auch wirklich egal, dass Donald Trump nun im Weißen Haus regiert.

Basel

Farbanschlag auf Yuval Raphael vereitelt

Crew-Mitglied des ESC wurde von Farbe getroffen

 18.05.2025

Nahost

Militärexperte: Vorgehen in Gaza führt zu Erstarken des islamistischen Terrors

Carlo Masala warnt vor einer Erhöhung des Konfliktpotenzials in der Region

 17.05.2025

Karin Prien

»Insofern bin ich eine jüdische Ministerin«

Die neue Bildungs- und Familienministerin will ihren Familienhintergrund auch in ihre Arbeit einbringen

 17.05.2025

Berlin

Weimer kritisiert Drohungen gegen Israel beim ESC

Israel gänzlich vom ESC auszuschließen, ist »das Allerletzte« sagt der Kulturstaatsminister

 17.05.2025

Kommentar

Den Nachkommen der Schoa-Opfer kaltschnäuzig und nassforsch die Leviten gelesen

Ausgerechnet zum 60. Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen kritisiert die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann die Kriegsführung in Gaza, und das auch noch, ohne die Hamas zu erwähnen

von Esther Schapira  16.05.2025

Nahost-Diplomatie

Medien: Syrien und Israel führen indirekte Gespräche. Trump: »Al-Sharaa ist ein starker Typ«

Der US-Präsident forciert bei seinem Nahostbesuch die Idee weiterer Abraham-Abkommen mit Israel - auch Syrien soll Interesse signalisiert haben

 16.05.2025

Justiz

Ankläger von Weltstrafgericht tritt zurück

Chefankläger Karim Khan wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt

 16.05.2025

Interview

»Es hätte viel kürzer und klarer sein müssen«

Peter Neumann über das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes, die internationale Debatte darüber und ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei

von Nils Kottmann  16.05.2025

Gedenken

Sinti und Roma erinnern an Widerstand in Auschwitz-Birkenau

An diesem Tag sollte der Lagerabschnitt B II e, das sogenannte »Zigeunerlager«, in dem Tausende von Sinti und Roma inhaftiert waren, aufgelöst und sämtliche Häftlinge in den Gaskammern ermordet werden

 16.05.2025