Prozess

»Ich erhoffe mir Aufklärung«

Igor Matviyets Foto: Florian Korb

Herr Matviyets, zum Prozessauftakt gegen den Halle-Attentäter hatten sich am Montag vor dem Gericht in Magdeburg Nebenkläger und Unterstützer versammelt. Welche Stimmung haben Sie wahrgenommen?
Ich habe eine große Frustration gespürt, weil offenbar erst dieser ungeheuerliche Anschlag passieren musste, ehe das Thema die politische Tagesordnung aufschreckte.

Rücken die Menschen näher zusammen?
Unter den etwa 150 Teilnehmern der Kundgebung herrschte Solidarität. Viele kamen mit Israelfahnen. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist nicht die breite Zivilgesellschaft, die sich für das Thema interessiert, sondern es sind ohnehin politisch Aktive – und Minderheiten, die es betrifft.

Der Anschlag hat also nicht zu einem stärkeren Bewusstsein geführt?
Nein. So wie der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag von Hanau nicht das Wissen verankert haben, dass Hetze in Gewalt und Mord mündet, hat auch das Attentat vom 9. Oktober nicht dafür sensibilisiert, dass Juden sich permanent bedroht fühlen. Ich spüre eine größere Aufmerksamkeit, ja, aber keinen grundlegenden Wandel.

Woran liegt das?
Es fehlt eine couragierte Zivilgesellschaft, insbesondere in Ostdeutschland. Der Anschlag von Halle wird auf ein »Minderheitenproblem« reduziert. Dass Antisemitismus und Rassismus das Problem aller sind, erreicht die breite Gesellschaft einfach nicht. Die Menschen fühlen sich nicht betroffen.

Ist dieses Desinteresse Teil des Problems?
Die deutsche Gesellschaft ist alles andere als homogen – das blenden viele Menschen in Sachsen-Anhalt aus. Aber es wird ihnen auch widergespiegelt, denn Personen des öffentlichen Lebens mit Migrationshintergrund kann man hier an einer Hand abzählen. Solange Juden und andere Minderheiten als isoliert, nicht zugehörig empfunden werden, wundert mich das Desinteresse nicht.

Wie kann man das ändern?
Es müsste viel deutlicher und vehementer vermittelt werden, dass Deutschland eine vielfältige Gesellschaft ist – und es vor 1933 war! Unsere Unterschiede sind nicht irgendwelche Spleens, sondern Aspekte des respektvollen, sensiblen Zusammenlebens.

Welche Fragen bewegen die Menschen vor Ort, die der Prozess klären soll?
Wie sich der Täter so radikalisieren konnte. Es kann in seinem Umfeld kein Geheimnis gewesen sein. Die Gefahr sehe ich in diesen Räumen, in denen Menschenhass hemmungslos verbreitet wird, ohne dass jemand widerspricht oder eingreift.

Was erhoffen Sie sich sonst vom Prozess?
Dass der Attentäter für seine Tat eine angemessen harte Strafe bekommt. Und klar wird, dass der Rechtsstaat an dieser Stelle funktioniert – wenigstens im Nachhinein.

Mit dem Hallenser SPD-Politiker und Gemeindemitglied sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

Berlin

Altbundespräsident: »Wir brauchen mehr Entschlossenheit«

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck fordert mehr Beschäftigung mit dem Antisemitismus aus dem arabischen Raum und von links

 09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

9. November

Erinnerung ohne Empathie ist leer

Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben

von Tobias Kühn  09.11.2025

Deutschland

Auschwitz-Komitee: Demokratie vor Attacken schützen

Das Internationale Auschwitz Komitee sieht mit Sorge einen Rechtsruck. Zum Jahrestag der Reichspogromnacht fordert es Solidarität mit den Schoa-Überlebenden

 09.11.2025

Berlin

Israels Botschafter: Linker Antisemitismus am gefährlichsten

Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland, differenziert zwischen linkem, rechtem und islamistischem Antisemitismus. Und erläutert, welchen er für den gefährlichsten hält

 09.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 08.11.2025

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  08.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025