Strategie

Hinterm Horizont

Überblick behalten: Wer kann schon absehen, was auf uns zukommt? Foto: Fotolia

In ihrer neuesten Studie beklagt die Berliner »stiftung neue verantwortung« die Kurzsichtigkeit der politischen Führung. Nach Meinung der Autoren führen verschiedene Faktoren dazu, dass Politiker und Manager in der Gegenwart entscheiden, ohne in die Zukunft zu schauen, ja, ohne in diese Zukunft schauen zu wollen.

Wer Nachhaltigkeit hört, denkt meistens an Umwelt. Doch längst ist Nachhaltigkeit nicht auf die Ökologie beschränkt. Neuerdings wollen wir nachhaltig wirtschaften, wir wollen nachhaltig bauen und nachhaltig entwickeln. Dafür braucht man eines: Wir müssen nachhaltig planen. Nicht kurzfristig denken, sondern in die Zukunft blicken, unsere Entscheidungen auf ihre langfristigen gesamtgesellschaftlichen Folgen überprüfen. Das ist nachhaltiges Entscheiden, das ist nachhaltiges Regieren, ob im Staat, in einem Großunternehmen oder in einer kleinen jüdischen Gemeinde. So viel zur Theorie. Gilt dies auch für die Praxis? Fehlanzeige!

Problem Wer an dieser Stelle die übliche Politikerschelte erwartet, kann zum nächsten Artikel übergehen. Hier wird er sie nicht finden. Denn Politiker selbst sind nur ein Teil des Problems. Der Rest liegt an den Ausmaßen heutiger Herausforderungen, an unserem politischen System und, ja, auch an uns selbst – den Wählern.

Spätestens, wenn unsere Politiker wiedergewählt werden wollen, nämlich in vier bis maximal fünf Jahren, müssen sie schon geliefert haben, was der Wähler von ihnen erwartet. In den USA, wo sich die Kongressabgeordnete alle zwei Jahre zur Wahl stellen, ist diese Zeitspanne noch kürzer. Und so reicht der Planungshorizont vieler von ihnen höchstens bis zum nächsten eigenen Wahlkampf. Manchmal ist er noch kürzer, wenn Wahlkämpfe, wie bei Landtagswahlen in der Bundesrepublik, sich in dichter Abfolge auf verschiedenen Ebenen überschneiden.

Und so überrascht es nur wenig, dass vorausschauendes Regieren heutzutage ein knappes Gut ist. Wer soll denn da auch vorausschauen, wenn schon das Durchblicken kaum möglich ist? Nicht mal die Experten können erklären, was heute passiert. Wie sollen da die Politiker voraussehen, was morgen auf uns zukommt? Die Krisen werden global, die Zusammenhänge unübersichtlicher.

Gesellschaft Und wir, die Wähler? Ist es nicht an der Zeit, dass wir angesichts permanenter Krisen und Katastrophen auch unsere Erwartungen an die Politiker reduzieren? 20 Jahre lang lebten wir im Bewusstsein der Geschichtsauflösung, wie sie vom amerikanischen Denker Francis Fukuyama beschrieben wurde. Wir bildeten uns ein, mit dem Mauerfall in unseren Demokratien den endgültigen (zugleich den idealen) Zustand der Gesellschaftsentwicklung erreicht zu haben.

Damit glaubten wir zugleich, den Zauber der demokratischen Legitimation zu beherrschen, der aus jedem Politiker einen Harry Potter mit Bundestagsmandat machen kann. Auf alles würde ein solcher Politiker eine Antwort haben, jede Krise würde er bewältigen. Dann kamen die Krisen unserer Gegenwart, vom Klimawandel bis zur Finanz- und Eurokrise. Und plötzlich kann die Kanzlerin nicht zaubern. Und ihre Herausforderer ebenso wenig.

Und wie reagiert die politische Klasse auf diese zunehmende Komplexität der Herausforderungen? Eine der Beobachtungen der Studie der »stiftung neue verantwortung« ist, dass die befragten Politiker zunehmend werteorientiert argumentieren. Dies ist auch ein Symptom der neuen Lage.

Können Politiker schon wegen der Komplexität der zu lösenden Probleme ihre Politik nicht mehr vorausschauend planen, so dienen ihnen die Werte oft als einziger Orientierungsersatz. Auch diese Entwicklung ist, wie so oft, zweischneidig. Einerseits sorgt sie für die nötige Unterscheidbarkeit verschiedener politischer Kräfte, zeigt den jeweiligen Parteien zugleich die wertebedingten Grenzen ihrer politischen Flexibilität.

Andererseits kann die Überbetonung der Werte die Wählerschaft von den objektiv schwer lösbaren Herausforderungen ablenken und über die Unfähigkeit der Politiker hinwegtäuschen, diese Probleme effektiv und nachhaltig anzugehen. Die Schwierigkeit der politischen Führung in einer komplexen Welt besteht also darin, das Erste zu gewährleisten, ohne sich von dem Zweiten verführen zu lassen.

Die Gemengelage verschiedener Interessen, Werte und Umstände macht die Beantwortung der Frage, wie wir Politik und Verwaltung verantwortlich und vorausschauend üben, kaum möglich. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass kluge und überlegte Führungspersönlichkeiten mit Blick für das »große Ganze« gefordert sind. Und die Wähler sind gefordert, solche Menschen dadurch zu unterstützen, dass sie von ihnen keine Wunder erwarten. Jedenfalls nicht zum Ende einer jeden Legislaturperiode.

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 20.12.2025

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel unterzeichnet weiteren Vertrag mit Deutschland über Raketenabwehr

Es handelt sich um das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des jüdischen Staates

 19.12.2025

Sydney/Canberra

Nach Terroranschlag von Bondi Beach: Australien plant nationalen Trauertag

Die Regierung kündigt zudem umfassende Maßnahmen an. Dazu gehört eine landesweite Rückkaufaktion für Schusswaffen

 19.12.2025