Jewrovision und Karneval

Grund zum Feiern

Es muss nicht immer problembehaftet sein: junges Judentum bei der Jewrovision 2017 Foto: Gregor Zielke

Fragt man Nichtjuden, welche Assoziationen sie rund um den Themenkomplex »Judentum« haben, bekommt man überwiegend die alte, nicht sehr lebensfrohe Platte aufgelegt: Holocaust, Israel, Nahostkonflikt, Antisemitismus. In der Öffentlichkeit scheinen Juden nur im Zusammenhang mit Problemen stattzufinden. Das zeigt sich in den Diskussionen über Anti-Israelismus sowie jüngst in den Publikationen, TV- und Radiosendungen rund um den 27. Januar.

Seit mehr als 20 Jahren ist dieses Datum offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Wie wenig die Debatte um aktives Gedenken seit Einführung des Tages 1996 an Aktualität verloren hat, war jüngst in Talkrunden wie etwa bei Anne Will zu beobachten, wo Historiker, Zeitzeugen und Politiker zusammensaßen und gemeinsam nach einer Antwort auf die Frage »Wie antisemitisch ist Deutschland heute?« suchten.

Positiv Sehen wir es positiv: Nach allen Ereignissen der vergangenen Jahre ist es bereits ein großer Fortschritt, wenn über das Thema Judenhass in Deutschland heute ernsthaft gesprochen wird und endlich auch so etwas wie ein Problembewusstsein für die häufigste Manifestation des gegenwärtigen Antisemitismus, die »legitime Israelkritik«, entstanden ist. Jeder in diesem Land, ob Jude oder nicht, hat ein Interesse daran, solchen Auswüchsen entgegenzutreten.

Leider müssen wir aber auch feststellen, dass der Kampf gegen Antisemitismus bis heute oft der dominierende, wenn nicht sogar einzige Zugang geblieben ist, den die Mehrheitsgesellschaft zum jüdischen Leben in Deutschland hat. Umso begrüßenswerter sind daher alle Veranstaltungen, die diese Wahrnehmung korrigieren und zeigen, dass Juden in Deutschland den Antisemiten eben nicht den Gefallen tun, sich von früh bis spät nur mit ihnen zu beschäftigen.

Eine zentrale Rolle für eine positivere Außendarstellung spielt dabei, ganz banal, Entertainment. Mit Events, die sich thematisch nicht in Gedenken und religiösem Kultus erschöpfen (so wichtig diese für sich genommen natürlich sind), ist der nichtjüdischen Öffentlichkeit noch am besten zu vermitteln, dass jüdisches Leben aus viel mehr als nur aus Schweigeminuten und Kranzniederlegungen besteht.

Dresden Zu den Flaggschiffen des jungen, positiven jüdischen Lebens gehört die Jewrovision. Dieser europaweit größte Musikwettbewerb für junge Juden findet am kommenden Wochenende in Dresden statt. Mit seinen bescheidenen Anfängen aus der Zeit kurz nach der Jahrtausendwende hat der Contest heute nicht mehr viel gemein. Über 1200 Teilnehmer und mehr als 1000 Gäste werden in der sächsischen Hauptstadt erwartet. Mit 18 Beiträgen ist man dabei rein quantitativ vom Vorbild Eurovision schon nicht mehr allzu weit entfernt.

Jüdisches Leben zeigt sich erfrischend unbekümmert.
Auch wenn es in Dresden natürlich einen Sieger geben wird, geht es bei der Jewrovision nur auf den ersten Blick um Musik. In Wirklichkeit steht vor allem die selbstbewusste Präsentation im Mittelpunkt, der einprägsame Auftritt und das Gemeinschaftsgefühl.

Mit diesem Rezept ist der Wettbewerb nicht nur zum Jahreshöhepunkt des jüdischen Jugendentertainments in Deutschland und zu einem Leuchtturmevent jüdischer Kultur insgesamt aufgestiegen, er hat sogar das Unmögliche möglich gemacht und dem Großmeister des gepflegten Verrisses, Henryk M. Broder höchstselbst, ein Lob abgerungen.

Dieser schrieb nach seinem Besuch der Jewrovision 2015 in der »Welt«, wie »angenehm überrascht« er von der Veranstaltung war und wie sehr die Teilnehmer es ihm angetan hatten: »Die platzen vor Selbstbewusstsein und trauen sich etwas, drängen sich buchstäblich ins Rampenlicht, die leben im Hier und Heute, und für die ist ›Jude‹ kein Schimpfwort und kein Grund, sich zu schämen.«

Freiheit Es ist wohl diese Freiheit, einmal einen Abend lang ohne reflektierende Brechung oder soziokulturelle Standortbestimmungen auszukommen und ganz zwanglos ein Unterhaltungsprogramm von jungen Juden für junge Juden erleben zu können, die das Erfolgsgeheimnis der Jewrovision und ihre Attraktivität auch für ein nichtjüdisches Publikum ausmacht. Hier wird nicht mühsam um Identität gerungen, hier stehen keine »jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger« auf der Bühne, sondern das Jüdischsein ist die launige Grundierung, auf die die einzelnen Beiträge ihre individuellen Farbtöne aufbringen können.

Wer übrigens nach einem durchgefeierten Wochenende an der Elbe noch Kraft und Muße genug hat, der kann am Montag in Düsseldorf Zeuge einer historischen Premiere werden: Erstmals beteiligt sich hier die jüdische Gemeinde der Landeshauptstadt mit einem eigenen Motivwagen am traditionellen Rosenmontagszug.

Egal, ob wie in Dresden mit Musik oder wie in Düsseldorf mit Heine und koscheren Kamellen: Jüdisches Leben wird zunehmend in der Öffentlichkeit und mit einer erfrischenden Nonchalance zelebriert, die optimistisch stimmt. Der 27. Januar wird auch in Zukunft ein wichtiges Datum bleiben – jüdisches Selbstbewusstsein dieser Art braucht es aber das ganze Jahr hindurch.

Der Autor ist Vorstandsreferent der Europäischen Janusz Korczak Akademie in München. Er schreibt für die »Bild« und den Autorenblog »Salonkolumnisten«.

Ostdeutschland

Zentralrat warnt vor AfD-Regierung: »Echte Gefahr für jüdisches Leben«

Der Präsident des Dachverbands der jüdischen Gemeinden sieht in den hohen Umfragewerten der AfD zehn Monate vor den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt einen »Weckruf«

von Joshua Schultheis  05.11.2025

Berlin

Dobrindt verbietet islamistische Vereinigung Muslim Interaktiv

Zudem laufen gegen die Vereine Generation Islam und Realität Islam vereinsrechtliche Ermittlungen

von Martina Herzog  05.11.2025 Aktualisiert

Medien

So erzeugt man einen gefährlichen Spin

Wie das Medienunternehmen »Correctiv« den Versuch unternimmt, die Arbeit des israelischen Psychologen Ahmad Mansour fragwürdig erscheinen zu lassen

von Susanne Schröter  05.11.2025

USA

Sozialist Mamdani wird neuer Bürgermeister von New York

Die Demokraten-Hochburg New York bekommt einen neuen Bürgermeister

 05.11.2025

Judenhass

Berlin-Kreuzberg: Antisemitische Parolen in Schule - Lehrerin angespuckt

Die Hintergründe

 04.11.2025

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  04.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025