Meinung

Ghettorenten: Viel zu lange hinausgezögert

Volker Beck Foto: Marco Limberg

Die Bundesrepublik Deutschland hält sich zugute, die Verbrechen des Nationalsozialismus umfassend aufgearbeitet und Beachtliches für die Entschädigung der Opfer geleistet zu haben. In der Tat wurden mit 75,5 Milliarden Euro bis 2017 erhebliche Beträge zum Ausgleich des Unrechts, das sich eben weder wiedergutmachen noch entschädigen lässt, aufgewendet.

Rechnet man die Zahlungen auf die Zahl der Opfer um, kommen allerdings überschaubare Beträge heraus. Kein Opfer eines Verkehrsunfalls würde sich mit solchen Beträgen abspeisen lassen. Für viele der ermordeten sechs Millionen Juden hat Deutschland an Angehörige überhaupt nie etwas bezahlt.

fristen Deutschland hat anfangs mehr auf außenpolitischen Druck hin als aus gemeinsamer Überzeugung gehandelt. Die ersten Entschädigungsregelungen konnte Adenauer nur aufgrund der Unterstützung der SPD gegen Teile seiner eigenen Koalition durchsetzen. Von Anfang an wurde durch Fristen, hohe Beweislasten und anderes erfolgreich versucht, die Leistungen an die Überlebenden nicht zu hoch ausfallen zu lassen.

Erst in den 90er-Jahren wurden Tatbestände wie Sklaven- und Zwangsarbeit oder entzogene Rentenansprüche für Arbeit in den Ghettos überhaupt als entschädigungsfähig anerkannt. Das Warten hatte sich für den Bundeshaushalt gelohnt. Ein großer Teil derer, die die NS-Herrschaft überlebt hatten, konnte dies nicht mehr erleben. All dies ist bitter.

gerichte Vor dem Berliner Sozialgericht streiten nun erneut, mehr als 70 Jahre nach dem Ende von Krieg und NS-Diktatur, Überlebende, die in Ghettos gearbeitet haben, oder deren Angehörige um Renten. Das Ghettorentengesetz, vom Gesetzgeber ursprünglich großzügig und unbürokratisch geplant, ist ein besonders trauriges Kapitel des Rechtens mit den Opfern. Die Rentenversicherungsbehörden dachten sich zunächst abenteuerliche Anforderungen an Freiwilligkeit und Entlohnung eines Arbeitsverhältnisses im Ghetto aus.

Nur wegen engagierter Richter wie Jan-Robert von Renesse kam es schließlich zu Urteilen des Bundessozialgerichts und zu viel zu spätem, erneutem Handeln des Gesetzgebers, damit eine größere Zahl der Opfer endlich Leistungen erhielt.

Selbstverständlich muss bei Anträgen geprüft werden, ob die Antragssteller zu dem berechtigten Personenkreis gehören und ihr Vortrag der Wahrheit entsprechen kann. Aber man sollte es mit den Beweisanforderungen nicht übertreiben, will und soll die Rede von Verantwortung für unsere Geschichte nicht hohl klingen.

Der Autor war Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Senat

Mehrere Berliner Abgeordnete verlassen Linkspartei

Wegen eines Antisemitismus-Streits kehren einige Politiker der Linkspartei den Rücken - auch der ehemalige Senator Klaus Lederer

 23.10.2024

Straßburg

Alle Klarheiten beseitigt

Der Streit über EU-Gelder für die Palästinenser und die UNRWA entzweit das Europäische Parlament

von Michael Thaidigsmann  23.10.2024

USA/Israel

FBI übernimmt Ermittlungen nach Geheimdienstleck

Dokumente über Israels Vorbereitungen für einen Angriff gegen den Iran gelangten an die Öffentlichkeit. Wer steckt dahinter?

 23.10.2024

Washington D.C.

Trump wollte »Militärs wie Hitlers Generäle«

Sein ehemaliger Stabschef John Kelly erinnert sich an höchst problematische Aussagen

 23.10.2024

Herta Müller

»Das Wort ›Märtyrer‹ verachtet das Leben schlechthin«

Die Literaturnobelpreisträgerin wurde mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Herta Müller  23.10.2024

Dokumentation

»Eine Welt ohne Herta Müllers kompromisslose Literatur ist unvorstellbar«

Herta Müller ist mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio von Josef Joffe

von Josef Joffe  23.10.2024

Antisemitismus

Auch in Halle Stolpersteine gestohlen

In Halle wurden ebenfalls Stolpersteine aus dem Boden gebrochen

 22.10.2024

USA

Israelfeindliche Gruppen an Unis werden immer radikaler

Auch an der Columbia University ist die Situation alarmierend

von Imanuel Marcus  22.10.2024

Umfrage

Grüne am ehesten für Waffenexporte nach Israel

Die Mehrheit der Deutschen lehnt Waffenlieferungen an den jüdischen Staat jedoch ab

 22.10.2024