Außenpolitik

Explosives Terrain

Zeitungskiosk in Aschdod/Israel: Schlagzeilen zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden am 20. Januar Foto: picture alliance / newscom

Mit dem Regierungswechsel in Washington werden auch im Nahen Osten die politischen Karten neu gemischt. Doch auch, wenn Präsident Joe Biden und sein Außenminister Antony Blinken dort deutlich andere Akzente setzen werden als Donald Trump – eine radikale Kursänderung der USA ist in dieser Region nicht zu erwarten.

Dabei sind die Herausforderungen immens. Davon, dass die Trump-Regierung den Nahen Osten »in einem guten Zustand hinterlassen« würde, wie der bisherige US-Botschafter in Israel erklärt hat, kann jedenfalls keine Rede sein. Im Blick auf die katastrophale Lage in Syrien und im Jemen, die explosive Instabilität im Irak und Libanon, vor allem aber auf das ungebrochene Hegemonialstreben des Iran und seiner zuletzt wieder mit voller Kraft vorangetriebenen Nuklearrüstung klingt diese Aussage vielmehr zynisch.

einfluss Durch ihre bereits unter Barack Obama begonnene und in der Ära Trump massiv forcierte Politik des Rückzugs haben die USA in der Region stark an Einfluss verloren. Die neue US-Präsidentschaft wird sich daran messen lassen müssen, ob sie strategisches Terrain zurückgewinnen kann, das an gegnerische autoritäre Mächte – allen voran Russland – verloren gegangen ist.

Durch ihre bereits unter Barack Obama begonnene und in der Ära Trump massiv forcierte Politik des Rückzugs haben die USA in der Region stark an Einfluss verloren.

In einem Punkt waren die USA unter Trump jedoch tatsächlich erfolgreich: Die Normalisierung der Beziehungen Israels zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain sowie die weit fortgeschrittene Einigung mit Marokko stellen für die Sicherheit des jüdischen Staats einen historischen Durchbruch dar.

Den als »Abraham-Vereinbarungen« bezeichneten Abkommen war zwar eine jahrelang zielstrebig betriebene Annäherung zwischen Israel und den sunnitisch-arabischen Mächten um Saudi-Arabien vorausgegangen. Doch das Verdienst, diesen Prozess aktiv gefördert und beschleunigt zu haben, ist Trump und seinen Nahost-Emissären nicht abzusprechen.

kontinuität Die Zustimmung Bidens zu den Abraham-Vereinbarungen bürgt in dieser Frage für Kontinuität. In absehbarer Zeit könnte die Aufnahme offizieller Beziehungen auch zwischen Israel und Saudi-Arabien folgen. Allerdings hatte der rasche Vollzug der Friedensvereinbarungen auch einen Preis, den die neue Führung in Washington nicht ungeprüft entrichten will.

Die von Trump zugesagten Lieferungen von Waffen an die VAE in Höhe von 23 Milliarden Dollar sowie von 8000 lenkbaren Präzisionsbomben an Saudi-Arabien wurden vorerst auf Eis gelegt. Doch vermutlich wird das Weiße Haus den Rüstungsexport in die VAE am Ende freigeben, während die Saudis leer ausgehen könnten – wegen ihres ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung geführten Kriegs im Jemen.

Sowohl Biden als auch Blinken gelten als enge, verlässliche Freunde Israels.

Generell kann die saudische Autokratie jetzt nicht mehr mit der bedingungslosen Rückendeckung rechnen, die ihr Trump gewährt hatte. Doch auch eine tendenziell iranfreundliche Politik wie unter Obama wird es unter der neuen Präsidentschaft nicht geben. Sowohl Biden als auch Blinken gelten als enge, verlässliche Freunde Israels, die von Obamas ideologischen Vorbehalten gegenüber dem jüdischen Staat frei sind.

friedenswillen In der Siedlungspolitik wird Israels Regierung zwar wieder mehr Gegenwind aus Washington zu spüren bekommen, und die von Premier Netanjahu angestrebte Annexion von Teilen des Westjordanlands ist mit dem neuen US-Präsidenten nicht zu machen. Doch Illusionen in Bezug auf den Friedenswillen der palästinensischen Führung sind bei Biden und Blinken kaum zu erkennen – und schon gar nicht auf den des iranischen Regimes.

Die USA werden jedenfalls nicht einfach wieder in den 2015 abgeschlossenen Atomdeal mit dem Iran einsteigen, wie das etwa beim Pariser Klimaabkommen der Fall ist. Als Vorbedingung dafür hat Blinken genannt, dass sich Teheran wieder strikt an die eingegangenen Verpflichtungen hält, gegen die das Land derzeit erklärtermaßen verstößt.

Und selbst in diesem Fall würden die USA den Wiedereintritt in das Abkommen nur als Ausgangspunkt für Verhandlungen über eine erweiterte Übereinkunft betrachten, die unter anderem auch eine Begrenzung des iranischen Raketenprogramms beinhalten müsse.

atomdeal Von einer solchen Lösung sei man jedoch »noch weit entfernt«. Mit anderen Worten: Die Rückkehr zu dem von Anfang an verfehlten Atomdeal ist irreal. Die Forderung an die neue US-Außenpolitik muss nun lauten, den Iran auf allen Ebenen effektiv einzudämmen und gegebenenfalls an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Die Forderung an die neue US-Außenpolitik muss nun lauten, den Iran auf allen Ebenen effektiv einzudämmen und gegebenenfalls an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Bleibt die Frage, was die EU und namentlich Deutschland dazu beitragen wollen und können. Konkrete Perspektiven sucht man hier leider vergebens. Außenminister Heiko Maas bekräftigte kürzlich einmal mehr die deutsche Treue zur Zweistaatenlösung sowie zum Atomdeal mit dem Iran, beließ es aber bei dem üblichen Appell an »alle Seiten«, wieder »in einen konstruktiven Dialog zu treten«.

Zwar räumt Maas ein, dass man sich »auch mit dem gefährlichen Raketenprogramm Irans und seinem aggressiven Verhalten in der Region auseinandersetzen« müsse. Doch angesichts des deutschen Unwillens, Sanktionsdruck auf Teheran auszuüben, ist das nur eine folgenlose Floskel. Berlin hinkt den neuen Entwicklungen im Nahen Osten weiterhin ratlos hinterher.

Der Autor ist Publizist in Berlin. Seit Kurzem ist seine eigene Seite »Herzinger - hold these truths« online.

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