Bremen

»Die israelische Demokratie ist eine sehr viel vitalere als die deutsche«

Michel Friedman Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

Der Publizist Michel Friedman hat Kritik an der Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Deutschland geübt. Im Interview mit dem »Weser Kurier« äußerte er auch Enttäuschung darüber, dass nicht mehr Deutsche gegen den aktuellen Rechtsextremismus demonstrierten.

Bis weit in die 80er Jahre hinein hätten sich die meisten Menschen nicht mit ihrer eigenen Geschichte oder ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt. »Dass Eltern, die die Nazizeit erlebt haben, ihren Kindern nicht ermöglichten, durch Erzählen und Wahrhaftigkeit eine emotionale Brücke zu schlagen zu ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und damit auch zu einer gemeinsamen Zukunft«, sieht Friedman als problematisch an.

»Diese Verdrängung war für meine Familie und mich ein großer Schmerz,
denn wir konnten nicht verdrängen«, erklärte er gegenüber dem Blatt. »Ich hatte aber auch viele nichtjüdische Schulfreunde, die sehr darunter gelitten haben, dass ihre Eltern nichts erzählten.«

»Lebensgefährlich für die Demokratie«

Die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik sei »in großen Teilen eine Fata Morgana«. Viele Versprechen wie »Wehret den Anfängen« und »Nie wieder!« seien angesichts der heutigen Situation von jüdischem Leben
in Deutschland leer geblieben. »Und das ist lebensgefährlich für die Demokratie.«

Lesen Sie auch

Sein Sicherheitsgefühl in Deutschland habe sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, sagte Michel Friedman in dem Interview. »Der Rechtsextremismus und auch die AfD halten die Würde des Menschen für
antastbar. Diese Kräfte wollen bestimmen, ob ein Mensch ein Mensch ist. Das widerspricht unserem Grundgesetz und dem Selbstverständnis dieser Republik, die sich auf die Menschenrechte als Voraussetzung der demokratischen Entwicklung geeinigt hat.«

Die AfD habe als antidemokratische Partei in allen Parlamenten immer
mehr Macht bekommen. Dies ermutige Menschen in der Mitte der Gesellschaft, sich zu enthemmen, was wiederum auch Schwarze und queere Menschen bedrohe.

Größer und aggressiver

Friedman erwähnte auch den radikalen Islam, der ebenfalls größer und aggressiver geworden sei. »Er bedroht spätestens seit dem 7. Oktober 2023 die jüdische Gemeinschaft in ihrem Alltag. Zudem hat sich der Linksextremismus an diese sehr gewalttätige Bewegung drangehängt.« Dies werde auch an Universitäten sichtbar sowie an Schulen und bei israelfeindlichen Demonstrationen.

Wenn jüdische Studenten Angst haben müssten, den Campus zu betreten, sei dies nicht mehr hinnehmbar. »Ich finde erschreckend, wie viele Universitätsleitungen dies zugelassen haben«, sagte Friedman dem »Weser Kurier«.

Er erwähnte auch, dass Juden in Deutschland stets auf die Politik Israels angesprochen würden. Dies bezeichnete er als »verdächtig«, denn: »Man verlangt ja auch keine Stellungnahme von mir zur Politik in den USA, in Russland oder Nordkorea.«

Friedman bezeichnete sich als Gegner der israelischen Regierung, »denn in der sitzt ein verurteilter Rechtsextremist.« Er fügte hinzu, dass aber selbst im Krieg Hunderttausende Menschen gegen die eigene Regierung demonstrierten. »Ich wäre ja froh, wenn in Sachsen mal zehntausend gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen. Die israelische Demokratie ist also eine sehr viel vitalere als die deutsche.« im

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  24.11.2025

Potsdam

BSW-Fraktionsvize tritt nach Reaktion auf AfD-Zitat zurück

Die Landtagsfraktion in Brandenburg ist nach vier Parteiaustritten in einer Krise. Nun tritt auch noch Fraktionsvize Dorst von seinem Amt zurück. Die Hintergründe

 24.11.2025

Soziale Medien

Plattform X: Israelfeindliche und antisemitische Inhalte aus Pakistan und der Türkei

Ein neues Transparenz-Feature zeigt: Angeblich von westlichen »Israelkritikern« betriebene Konten werden in Wirklichkeit aus anderen Teilen der Welt bearbeitet

 24.11.2025

Washington D.C.

Trump kündigt Einstufung der Muslimbrüder als Terrororganisation an

Der Organisation würde mit diesem Schritt der Zugang zu finanzieller Unterstützung verwehrt. Die Muslimbruderschaft wird immer wieder mit radikalen Ablegern in Verbindung gebracht

 24.11.2025

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025