Rassismus

Die Hintergründe zu den »Prosecco-Nazis« auf Sylt

Foto: picture alliance/dpa

Abendsonne über Sylt, Kampen - der Hotspot für reiche Urlauber. Eine ausgelassene Feier - aber das, was auf dem kurzen Video zu hören und zu sehen ist, macht fassungslos. Die jungen Partygäste grölen zu einem Pop-Hit rassistische Parolen, ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruß denken lässt.

Die, die auf dem Video zu sehen sind, haben augenscheinlich nichts gemeinsam mit dem Bild, was die meisten wohl von Rechtsextremen haben dürften. Sie feiern mit Schampus, in hellen Blusen und Hemden, tragen Sonnenbrillen und goldene Kreolen im Ohr. Das Klischee der Sylt-Schickeria, die Insel der Reichen und Schönen. Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen grölen sie »Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!«.

Seit Donnerstagabend wird der kurze Clip zigfach in den sozialen Medien geteilt, das Entsetzen ist groß. Der Staatsschutz ermittelt, Politikerinnen und Politiker äußern sich schockiert, der Betreiber der bekannten Bar, in der die Party stattfand, distanziert sich. Laut »Bild«-Zeitung soll das Video zu Pfingsten im Lokal Pony in Kampen entstanden sein.

Faeser fordert: Rassisten müssen lauten Widerspruch erfahren

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »Wer Nazi-Parolen wie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus« grölt, ist eine Schande für Deutschland«. Es stelle sich die Frage, »ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt.« Die Frage sei auch, welches hasserfüllte Klima solche Leute dazu ermutige, sich so abgrundtief rassistisch in aller Öffentlichkeit zu äußern.

»Hier darf es keinerlei schleichende Normalisierung geben«, forderte die Ministerin. Rassisten müssten neben möglichen strafrechtlichen Konsequenzen überall – im Freundeskreis, bei der Arbeit, im Sport – lauten Widerspruch erfahren. »Es ist wichtig, den Mund aufzumachen und gegenzuhalten gegen solchen Menschenhass«, rief Faeser zur Zivilcourage auf.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, es sei wichtig, dass die schleswig-holsteinische Polizei ermittle, auch müsse die Echtheit des Videos geprüft werden. »Klar ist jedenfalls: Was man da sehen und hören kann, ist zutiefst rassistisch, ist zutiefst menschenverachtend.« Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Parolen als »ekelig« und »nicht akzeptabel«.

Wie die Polizei in Flensburg mitteilte, ermittelt nun der Staatsschutz - wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. Das Video sei der Polizei zugespielt worden. »Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Flensburg und der Polizei richten sich zunächst gegen die Personen, die auf dem Video offensichtlich die oben genannten Äußerungen mitsingen bzw. Kennzeichen tätigen«, hieß es in der Mitteilung.

Es sei aber nicht auszuschließen, »dass im Rahmen der Ermittlungen weitere Tatverdächtige hinzukommen, die auf diesem Video nicht abgebildet worden sind«.

Alter Party-Hit wird plötzlich zur Vorlage für Rassisten

Das besungene Lied ist wie die schicke Insel: eigentlich völlig harmlos. Die Feiernden singen und wippen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits »L’amour Toujours« von Gigi D’Agostino. Dass Lieder für politische Botschaften umgedichtet werden, ist kein neues Phänomen. Aber dieses Lied hat es in jüngster Vergangenheit besonders oft getroffen.

In der Oberpfalz etwa ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar. Bei der Veranstaltung in Stulln habe eine Gruppe von Zuschauern »Ausländer raus« skandiert, als von einem Wagen das Lied des Italieners gespielt wurde, sagte ein Zeuge örtlichen Pressevertretern. Auch auf anderen Veranstaltungen war es in den vergangenen Monaten zu ähnlichen Zwischenfällen gekommen. 

Rupert Grübl, Leiter der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, sagte dem Bayerischen Rundfunk Mitte Mai dazu: »Junge Leute erkennen den Ernst womöglich gar nicht.« Es sei eine Taktik der Rechten, »zu sagen: Ist ja alles gar nicht so ernst gemeint, war ja nur als Scherz. Aber mit solchen Dingen etabliert man natürlich über das gesprochene Wort Gedanken in der Gesellschaft. Und man nutzt die Macht des Wortes aus, um solche Tabubrüche zu begehen.«

Rechtsextremismus und Rassismus »kein sogenanntes Randphänomen«

Tim Becker, der Inhaber des Lokals Pony, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man wolle das Lied nun künftig nicht mehr spielen. »Uns war das komplett neu, dass das missbraucht wird.« Und er fürchtet, das etwas hängen bleiben wird, »auch wenn wir da wirklich aus unserer Sicht nichts für können«.

Man werde die Gäste künftig stärker animieren, rassistische Vorfälle den Türstehern zu melden. Und man habe die Namen der fünf Beteiligten sowie die Aufnahme der Überwachungskamera der Polizei übermittelt. 

Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, sagte der dpa,
es mache fassungslos, dass keiner der Gäste einschreite und die Aussagen ächte. »Es zeigt deutlich, dass Rechtsextremismus und Rassismus sich durch alle gesellschaftlichen Gruppen ziehen und eben kein sogenanntes Randphänomen sind – sie reichen bis tief ins bürgerliche Milieu.«

Diese gefährliche Ideologie, die bestärkt worden sei durch verhetzende und enthemmte Debatten in den letzten Jahren, zersetze den Zusammenhalt der Gesellschaft. »Dem müssen wir uns entschlossen mit aller Kraft entgegenstellen.« 

»Prosecco-Nazis« und »faschistoide Schnösel«

Es bleibt die Sorge. Die Sorge um den Zusammenhalt der Gesellschaft, dass Rassismus und Feindseligkeit salonfähig werden könnten. Von denen, die so gar nichts mit scheinbaren Nazi-Schmuddelecken zu tun haben, die es sich leisten können, Pfingsten im Promi-Lokal auf Sylt zu feiern. »Kult, Glamour, Nightlife«, heißt es auf der Website des Clubs, wo laut Speisekarte Currywurst mit Pommes 16 Euro kosten und wo man sechs Austern für 30 Euro schlürfen kann. 

Der langjährige Grünen-Politiker Jürgen Trittin schreibt auf der Plattform X von »Prosecco-Nazis«, die Co-Chefin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, spricht von »faschistoiden Schnöseln«.

Und Moderatorin Dunja Hayali twittert: »Mit Hitlerbärtchen und Schampus, aber ohne »Ausländer«. #Sylt. 2024.« Am Freitag steht auf der Website des Pony-Lokals auch: »Kein Platz für Nazis! Wir distanzieren uns von jeder Art von Rassismus und Diskriminierung.«

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