Extremismus

Die Genossen Terroristen

Solidarität mit RAF-Terroristen am Ufer des Landwehrkanals im Berliner Bezirk Kreuzberg Foto: picture alliance/dpa

Die Kufiya hat der Demonstration ihren optischen Touch verliehen. Als in den vergangenen Wochen in Berlin Sympathisanten der einstigen Rote Armee Fraktion (RAF) auf die Straße gingen, waren es nicht nur die üblichen martialisch-schwarzen Jacken und Hosen. Auch das Palästinensertuch, oft benutzt zur Vermummung des Gesichts, gab diesem bizarren Aufmarsch eine besondere Ästhetik.

»Es hat in Deutschland nur sehr selten direkte Demonstrationen für die RAF gegeben«, sagt Wolfgang Kraushaar. »Höchstens im Zusammenhang mit einem Hungerstreik oder Ähnlichem. Aber pro-RAF, das ist sehr selten.«

Es gab immer eine Verbindung zwischen RAF-Terror und palästinensischem Terror.

Der Hamburger Politologe forscht seit Jahrzehnten zum Linksterror in Deutschland. Bei den Bildern der vergangenen Woche ist auch er irritiert. »Das muss aufhorchen lassen.« Kraushaar sieht eine mögliche Verbindung von Solidaritätsbekundungen mit der jüngst in Berlin festgenommenen Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette und ihren flüchtigen Genossen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub auf der einen Seite und den als Gaza-Solidarität präsentierten anti-israelischen Ausschreitungen andererseits. »Angesichts der Eskalation im Nahen Osten droht eine neue Form der Militanz nicht nur auf islamischer, sondern auch auf der linken Seite«, sagt Kraushaar.

Erst der Sechstagekrieg sorgte für eine Abkehr vom jüdischen Staat.

Er verweist auf die Vorgeschichte der RAF-Gründung, als die Außerparlamentarische Opposition und der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) zerfaserten und die sozialliberale Koalition mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in Westdeutschland antrat. Schon da spielte in der hiesigen radikalen Linken eine merkwürdige Faszination für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) eine wichtige Rolle – obwohl die deutsche Linke bis 1967 noch mehrheitlich pro-israelisch gewesen war.

Erst der Sechstagekrieg sorgte für eine Abkehr vom jüdischen Staat. Der SDS sprach im September 1967 plötzlich von Israel als »vorgeschobenem Posten des US-Imperialismus«. Wolfgang Kraushaar berichtet: »Der SDS befand sich im Sommer 1969 in einem Ausbildungslager der Fatah. Die Westberliner Tupamaros folgten ihnen wenige Monate später. Dort haben sie eine militärische Ausbildung an Waffen und Sprengstoff erhalten.« Auf das Training folgte der Terror. Am 9. November 1969, als an die Novemberpogrome 1938 erinnert wurde, versuchten diese »Tupamaros West-Berlin« einen Sprengstoffanschlag im Jüdischen Gemeindezentrum in der Fasanenstraße.

»Jede Feierstunde in Westberlin und in der BRD unterschlägt, dass die Kristallnacht von 1938 heute täglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen wiederholt wird«, stand in dem Bekennerschreiben. In einem späteren Flugblatt hieß es mit eindeutigem Bezug zum damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin: »Springer, Senat und die Galinskis wollen uns ihren Judenknacks verkaufen.« Der Zünder funktionierte nicht, eine Putzfrau fand die Bombe am nächsten Tag. Der Mord war erst einmal vertagt.

Die Münchner Tupamaros standen ihren Berliner Genossen in nichts nach. Am 13. Februar 1970 unternahmen sie mutmaßlich einen Brandanschlag auf das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde in München. Sieben Menschen, sie alle hatten die Schoa überlebt, wurden bei dem Anschlag getötet. Die Besonderheit des Münchner Anschlags war: Jahrzehntelang wurden die Täter nicht im linken Milieu gesucht, die Behörden vermuteten, dass es Nazis waren. Letztlich aufgeklärt wurde der Anschlag nicht. Beide antisemitischen Anschläge dürften zur Vorgeschichte der RAF zählen: In palästinensischen Camps ausgebildete Terroristen wandten ihre Kenntnisse an, um in Deutschland Juden zu ermorden.

»Die RAF wäre ohne die Unterstützung palästinensischer Organisationen nicht aktionsfähig gewesen.«

»Die RAF wäre ohne die Unterstützung palästinensischer Organisationen nicht aktionsfähig gewesen«, urteilt Wolfgang Kraushaar. Karl-Heinz Dellwo widerspricht dieser Einschätzung. »Das muss ich verneinen«, sagt er. Dellwo war Mitglied der RAF. Als 1975 in Stockholm die Botschaft der Bundesrepublik gestürmt wurde, war er dabei. Später wurde er zu zweimal lebenslänglicher Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verurteilt. 1995 wurde er aus der Haft entlassen. Seither dreht er Filme, betrieb ein Restaurant, verlegt Bücher und beschäftigt sich – durchaus selbstkritisch – mit der RAF. Dellwo sagt, es habe keine konkrete enge Anbindung an Gruppen wie die »Volksfront zur Befreiung Palästinas« (PFLP) gegeben. »Die palästinensischen Gruppen waren Teil dessen, was man damals Trikont nannte, die drei unterdrückten Kontinente. Und in dem Sinne waren wir mit denen solidarisch und kooperierten mit ihnen.«

Das Konzept der Stadtguerilla oder der Name Tupamaros seien beispielsweise aus Lateinamerika gekommen, nicht aus dem arabischen Raum.Tatsächlich allerdings gab es immer eine enge Verbindung von RAF-Terror und palästinensischem Terror – und zu Morden an Juden.

Bis 1967 war die deutsche Linke noch größtenteils pro-israelisch.

Als während der Olympischen Spiele 1972 in München das Kommando »Schwarzer September« das Quartier der israelischen Mannschaft überfiel und elf Sportler getötet wurden, jubelte die RAF.

Es gibt auch Hinweise, dass deutsche Linksterroristen logistische Hilfe boten – neben der eindeutig nachgewiesenen Unterstützung durch deutsche Neonazis.

Das in Haft einsitzende RAF-Mitglied Ulrike Meinhof glaubte, der Olympia-Anschlag habe »eine Sensibilität für historische und politische Zusammenhänge dokumentiert (in Westdeutschland, früher Nazideutschland, jetzt imperialistisches Zentrum)« und die israelische Regierung habe ihre »Sportler verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik«. Karl-Heinz Dellwo sagt, er halte »vieles in der Erklärung von Ulrike Meinhof für falsch«, aber Antisemitismus mag er darin nicht unbedingt erkennen. »Ich habe sie anders gelesen: als eine sehr devote Erklärung. Da hat sie, als jemand aus der Metropole, den Hut gezogen vor denen aus dem Trikont, die ihre Sache selbst in die Hand genommen haben.«

Wolfgang Kraushaar hat herausgefunden, dass Meinhofs Hass-Pamphlet in der RAF nicht unumstritten war. »Diejenige, die sich intern gegen dieses Papier ausgesprochen hat, war Gudrun Ensslin. Sie hatte die Meinhof-Erklärung, die ja zunächst nur ganz allgemein als RAF-Papier galt, Horst Mahler zugeordnet«, berichtet Kraushaar. »Erst dann musste Meinhof einräumen, dass sie es geschrieben hatte.«

Horst Mahler, mittlerweile Neonazi und verurteilter Schoa-Leugner, damals zentrale Figur der linksterroristischen RAF, hatte sich bald auch selbst zu Wort gemeldet: Er lobte die »mutige Kommandoaktion« gegen die Olympischen Spiele, denn diese seien doch bloß eine »imperialistische KdF-Schau«. Dellwo hat sich von seiner terroristischen Vergangenheit distanziert.

1998 löste sich die RAF auf.

Aber auf Vorhalt, die RAF sei antisemitisch gewesen, antwortet Dellwo noch heute: »Das ist so formuliert falsch. Wie hätte in einer Gesellschaft, die so NS-verseucht war, die Generation, die nachfolgte, nicht auch so einen Dreck in sich haben können?« Zugleich legt er Wert darauf, heute nicht gegen den jüdischen Staat zu sein. »Wenn die Frage gestellt wird: ›Wie hältst du es mit Israel?‹, bin ich sofort auf der Seite Israels. Anders jedoch ist es, wenn die Frage gestellt wird: ›Wie hältst du es mit der israelischen Regierung?‹« Zum aktuellen Gazakrieg sagt er: »Die Hamas hat ein schlimmes Verbrechen begangen, aber es gibt Kausalitäten. Wie Israel derzeit agiert, ist maßlos überzog

en.« Wolfgang Kraushaar hält die oft verbreitete Erzählung, die erste Generation der RAF habe sich aus Protest gegen ihre Nazi-Eltern für militanten Protest entschieden, für ein Märchen. Ganz offensichtlich wurde dies 1976 in den Personen von Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann. Beide gehörten nicht zur RAF, sondern zu den »Revolutionären Zellen«. Zu Beginn seiner politischen Karriere hatte Böse sogar noch mit jüdischen Intellektuellen wie Micha Brumlik zusammengearbeitet.

Doch 1976 beteiligten sich beide, Böse und Kuhlmann, an der Entführung einer Air-France-Maschine durch palästinensische Terroristen ins ugandische Entebbe. Die beiden Deutschen übernahmen dabei den Job, jüdische Passagiere von anderen zu »selektieren« – aufgrund ihrer Namen oder anderem. Israelische Spezialkräfte stürmten die Maschine, die Terroristen wurden getötet. Dass aber deutsche Linke sich 31 Jahre nach der Schoa an der »Selektion« und Ermordung von Juden beteiligten – unter anderem mit dem Ziel, RAF-Gefangene aus Gefängnissen freizupressen –, das bewirkte weder in der RAF noch bei ihrer Unterstützerszene ein selbstkritisches Nachdenken.

Eine Konstante war die Feindschaft zu Israel und die enge PLO-Bindung.

Die Feindschaft zu Israel und die enge Bindung an die PLO blieb eine Konstante. Noch im Dezember 1991 halfen deutsche Linksterroristen – unter anderem das ehemalige RAF-Mitglied Horst Ludwig Meyer – einem palästinensischen Kommando bei einem Anschlag auf einen Bus, in dem 31 jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion saßen. Der versuchte Mord scheiterte, vier Insassen des Busses und zwei Polizisten wurden verletzt.

1998 löste sich die RAF auf. In der Erklärung, die veröffentlicht wurde, stellen sich die Linksterroristen in die Tradition des jüdischen, kommunistischen und jedes anderen antifaschistischen Widerstands. Zugleich wird dort der »GenossInnen der palästinensischen Befreiungsfront PFLP« gedacht – und volle Hochachtung wird toten RAF-, Revolutionäre-Zellen- und 2.-Juni-Kämpfern entgegengebracht – auch Brigitte Kuhlmann und Wilfried Böse.

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